Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hauptsächlich folgen, giebt auch hiervon eine Anzahl interessanter Beispiele.
Indeß würde eine Ausdehnung unseres Berichts über dieses Gebiet mehr Raum
beanspruchen, als uns zu Gebote steht, und so beschäftigen wir uns für jetzt
nur mit dem Anfangs genannten beschränkteren Kreise der erzgebirgischen Be¬
völkerung.

Es war hohe Zeit, hier zu sammeln; denn mit Macht dringt die nivel-
lirende Tendenz der Zeit, seit die Eisenbahnen ihre Zweige hier herausstrecken,
auch in die abgelegensten Thäler. Schon längst jäten die Schulmeister aus,
was von altem Glauben sich bis in das Jahrhundert hinein erhalten hat. Nur
die Alten bewahren noch Sitte, Spruch und Tracht der Väter, und die Alten
von jenseits dieses Sciculums fangen an auszusterben. Die junge Welt folgt
neuer Mode und nennt Thorheit, was dem Geschlecht vor ihr probates Her¬
kommen war.

Der erzgebirgische Bauer von altem Schrot und Korn kleidet sich im
Wesentlichen noch so wie vor fünfzig Jahren. Bei der häuslichen Arbeit trägt
er ein Käppchen von schwarzem Baumwollensammet oder eine "Schwanzmütze"
(gewirkte Zipfelmütze von buntem Garn), auf dem Felde einen groben Filz¬
oder Strohhut. Einzelne ganz alte Leute halten das lange Haar hinten über
dem Nacken mit einem Messingkamm zusammen und setzen darauf den sogenann¬
ten "Nagelzwicker", einen grotesken Dreispitz. Häufig tragen auch Männer
Ohrringe, die gewöhnlich von Silber sind. Die Weste, hier "Brustlatz" ge¬
nannt, muß bunt, von blauem Sammet oder rothem Wollenstoff und mit einer
Reihe zinnerner oder messingner Knöpfe geschmückt sein. Wohlhabende ver¬
wenden bisweilen noch Zwanziger oder halbe Gulden zu Westenknöpfen. Die
Beine bedecken schwarze oder hellgelbe Lederhosen, die meist bis an die Knöchel,
mitunter noch blos bis zum Knie reichen. Der Rock, von dunkelblauer Lein¬
wand und in den Schößen roth gefüttert oder von blauem Tuch, geht bis zu
den Fersen. Die Jacke ist gewöhnlich von Manchestersammet und mit großen
Metallknöpfen besetzt. Die Frauen kleiden sich wie im Niederland und haben
in ihren Sonntagsstaat mehr wie die Männer neue Moden aufgenommen. Daß
sie schreiende Farben lieben, haben sie mit andern Frauen vom Lande gemein.

Das Gehöft des erzgebirgischen Bauern bildet in der Regel ein geschlossenes
Viereck, und das Wohngebäude hat ein oberes Stock, wie auch sonst in Sachsen.
Die Wände bestehen gewöhnlich aus Balkenwerk mit buntem Anstrich, welches
mit Lehmklebwerk ausgefüllt ist; letzteres ist immer weiß getüncht. Ueber der
Hausthür, die meist in eine am Tage offenstehende Ober- und eine Unterthür
zerfällt, liest man die Jahreszahl der Erbauung und die Anfangsbuchstaben des
Namens des Erbauers, bisweilen auch einen kurzen Bibelspruch. Das Dach
ist mit Stroh, mitunter auch mit Schiefer oder Schindeln gedeckt. Der Dünger¬
haufen im Hofe wird in zierlichem Stande gehalten; denn "ein Misthaufen mit


hauptsächlich folgen, giebt auch hiervon eine Anzahl interessanter Beispiele.
Indeß würde eine Ausdehnung unseres Berichts über dieses Gebiet mehr Raum
beanspruchen, als uns zu Gebote steht, und so beschäftigen wir uns für jetzt
nur mit dem Anfangs genannten beschränkteren Kreise der erzgebirgischen Be¬
völkerung.

Es war hohe Zeit, hier zu sammeln; denn mit Macht dringt die nivel-
lirende Tendenz der Zeit, seit die Eisenbahnen ihre Zweige hier herausstrecken,
auch in die abgelegensten Thäler. Schon längst jäten die Schulmeister aus,
was von altem Glauben sich bis in das Jahrhundert hinein erhalten hat. Nur
die Alten bewahren noch Sitte, Spruch und Tracht der Väter, und die Alten
von jenseits dieses Sciculums fangen an auszusterben. Die junge Welt folgt
neuer Mode und nennt Thorheit, was dem Geschlecht vor ihr probates Her¬
kommen war.

Der erzgebirgische Bauer von altem Schrot und Korn kleidet sich im
Wesentlichen noch so wie vor fünfzig Jahren. Bei der häuslichen Arbeit trägt
er ein Käppchen von schwarzem Baumwollensammet oder eine „Schwanzmütze"
(gewirkte Zipfelmütze von buntem Garn), auf dem Felde einen groben Filz¬
oder Strohhut. Einzelne ganz alte Leute halten das lange Haar hinten über
dem Nacken mit einem Messingkamm zusammen und setzen darauf den sogenann¬
ten „Nagelzwicker", einen grotesken Dreispitz. Häufig tragen auch Männer
Ohrringe, die gewöhnlich von Silber sind. Die Weste, hier „Brustlatz" ge¬
nannt, muß bunt, von blauem Sammet oder rothem Wollenstoff und mit einer
Reihe zinnerner oder messingner Knöpfe geschmückt sein. Wohlhabende ver¬
wenden bisweilen noch Zwanziger oder halbe Gulden zu Westenknöpfen. Die
Beine bedecken schwarze oder hellgelbe Lederhosen, die meist bis an die Knöchel,
mitunter noch blos bis zum Knie reichen. Der Rock, von dunkelblauer Lein¬
wand und in den Schößen roth gefüttert oder von blauem Tuch, geht bis zu
den Fersen. Die Jacke ist gewöhnlich von Manchestersammet und mit großen
Metallknöpfen besetzt. Die Frauen kleiden sich wie im Niederland und haben
in ihren Sonntagsstaat mehr wie die Männer neue Moden aufgenommen. Daß
sie schreiende Farben lieben, haben sie mit andern Frauen vom Lande gemein.

Das Gehöft des erzgebirgischen Bauern bildet in der Regel ein geschlossenes
Viereck, und das Wohngebäude hat ein oberes Stock, wie auch sonst in Sachsen.
Die Wände bestehen gewöhnlich aus Balkenwerk mit buntem Anstrich, welches
mit Lehmklebwerk ausgefüllt ist; letzteres ist immer weiß getüncht. Ueber der
Hausthür, die meist in eine am Tage offenstehende Ober- und eine Unterthür
zerfällt, liest man die Jahreszahl der Erbauung und die Anfangsbuchstaben des
Namens des Erbauers, bisweilen auch einen kurzen Bibelspruch. Das Dach
ist mit Stroh, mitunter auch mit Schiefer oder Schindeln gedeckt. Der Dünger¬
haufen im Hofe wird in zierlichem Stande gehalten; denn „ein Misthaufen mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189454"/>
          <p xml:id="ID_1476" prev="#ID_1475"> hauptsächlich folgen, giebt auch hiervon eine Anzahl interessanter Beispiele.<lb/>
Indeß würde eine Ausdehnung unseres Berichts über dieses Gebiet mehr Raum<lb/>
beanspruchen, als uns zu Gebote steht, und so beschäftigen wir uns für jetzt<lb/>
nur mit dem Anfangs genannten beschränkteren Kreise der erzgebirgischen Be¬<lb/>
völkerung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1477"> Es war hohe Zeit, hier zu sammeln; denn mit Macht dringt die nivel-<lb/>
lirende Tendenz der Zeit, seit die Eisenbahnen ihre Zweige hier herausstrecken,<lb/>
auch in die abgelegensten Thäler. Schon längst jäten die Schulmeister aus,<lb/>
was von altem Glauben sich bis in das Jahrhundert hinein erhalten hat. Nur<lb/>
die Alten bewahren noch Sitte, Spruch und Tracht der Väter, und die Alten<lb/>
von jenseits dieses Sciculums fangen an auszusterben. Die junge Welt folgt<lb/>
neuer Mode und nennt Thorheit, was dem Geschlecht vor ihr probates Her¬<lb/>
kommen war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1478"> Der erzgebirgische Bauer von altem Schrot und Korn kleidet sich im<lb/>
Wesentlichen noch so wie vor fünfzig Jahren. Bei der häuslichen Arbeit trägt<lb/>
er ein Käppchen von schwarzem Baumwollensammet oder eine &#x201E;Schwanzmütze"<lb/>
(gewirkte Zipfelmütze von buntem Garn), auf dem Felde einen groben Filz¬<lb/>
oder Strohhut. Einzelne ganz alte Leute halten das lange Haar hinten über<lb/>
dem Nacken mit einem Messingkamm zusammen und setzen darauf den sogenann¬<lb/>
ten &#x201E;Nagelzwicker", einen grotesken Dreispitz. Häufig tragen auch Männer<lb/>
Ohrringe, die gewöhnlich von Silber sind. Die Weste, hier &#x201E;Brustlatz" ge¬<lb/>
nannt, muß bunt, von blauem Sammet oder rothem Wollenstoff und mit einer<lb/>
Reihe zinnerner oder messingner Knöpfe geschmückt sein. Wohlhabende ver¬<lb/>
wenden bisweilen noch Zwanziger oder halbe Gulden zu Westenknöpfen. Die<lb/>
Beine bedecken schwarze oder hellgelbe Lederhosen, die meist bis an die Knöchel,<lb/>
mitunter noch blos bis zum Knie reichen. Der Rock, von dunkelblauer Lein¬<lb/>
wand und in den Schößen roth gefüttert oder von blauem Tuch, geht bis zu<lb/>
den Fersen. Die Jacke ist gewöhnlich von Manchestersammet und mit großen<lb/>
Metallknöpfen besetzt. Die Frauen kleiden sich wie im Niederland und haben<lb/>
in ihren Sonntagsstaat mehr wie die Männer neue Moden aufgenommen. Daß<lb/>
sie schreiende Farben lieben, haben sie mit andern Frauen vom Lande gemein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1479" next="#ID_1480"> Das Gehöft des erzgebirgischen Bauern bildet in der Regel ein geschlossenes<lb/>
Viereck, und das Wohngebäude hat ein oberes Stock, wie auch sonst in Sachsen.<lb/>
Die Wände bestehen gewöhnlich aus Balkenwerk mit buntem Anstrich, welches<lb/>
mit Lehmklebwerk ausgefüllt ist; letzteres ist immer weiß getüncht. Ueber der<lb/>
Hausthür, die meist in eine am Tage offenstehende Ober- und eine Unterthür<lb/>
zerfällt, liest man die Jahreszahl der Erbauung und die Anfangsbuchstaben des<lb/>
Namens des Erbauers, bisweilen auch einen kurzen Bibelspruch. Das Dach<lb/>
ist mit Stroh, mitunter auch mit Schiefer oder Schindeln gedeckt. Der Dünger¬<lb/>
haufen im Hofe wird in zierlichem Stande gehalten; denn &#x201E;ein Misthaufen mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] hauptsächlich folgen, giebt auch hiervon eine Anzahl interessanter Beispiele. Indeß würde eine Ausdehnung unseres Berichts über dieses Gebiet mehr Raum beanspruchen, als uns zu Gebote steht, und so beschäftigen wir uns für jetzt nur mit dem Anfangs genannten beschränkteren Kreise der erzgebirgischen Be¬ völkerung. Es war hohe Zeit, hier zu sammeln; denn mit Macht dringt die nivel- lirende Tendenz der Zeit, seit die Eisenbahnen ihre Zweige hier herausstrecken, auch in die abgelegensten Thäler. Schon längst jäten die Schulmeister aus, was von altem Glauben sich bis in das Jahrhundert hinein erhalten hat. Nur die Alten bewahren noch Sitte, Spruch und Tracht der Väter, und die Alten von jenseits dieses Sciculums fangen an auszusterben. Die junge Welt folgt neuer Mode und nennt Thorheit, was dem Geschlecht vor ihr probates Her¬ kommen war. Der erzgebirgische Bauer von altem Schrot und Korn kleidet sich im Wesentlichen noch so wie vor fünfzig Jahren. Bei der häuslichen Arbeit trägt er ein Käppchen von schwarzem Baumwollensammet oder eine „Schwanzmütze" (gewirkte Zipfelmütze von buntem Garn), auf dem Felde einen groben Filz¬ oder Strohhut. Einzelne ganz alte Leute halten das lange Haar hinten über dem Nacken mit einem Messingkamm zusammen und setzen darauf den sogenann¬ ten „Nagelzwicker", einen grotesken Dreispitz. Häufig tragen auch Männer Ohrringe, die gewöhnlich von Silber sind. Die Weste, hier „Brustlatz" ge¬ nannt, muß bunt, von blauem Sammet oder rothem Wollenstoff und mit einer Reihe zinnerner oder messingner Knöpfe geschmückt sein. Wohlhabende ver¬ wenden bisweilen noch Zwanziger oder halbe Gulden zu Westenknöpfen. Die Beine bedecken schwarze oder hellgelbe Lederhosen, die meist bis an die Knöchel, mitunter noch blos bis zum Knie reichen. Der Rock, von dunkelblauer Lein¬ wand und in den Schößen roth gefüttert oder von blauem Tuch, geht bis zu den Fersen. Die Jacke ist gewöhnlich von Manchestersammet und mit großen Metallknöpfen besetzt. Die Frauen kleiden sich wie im Niederland und haben in ihren Sonntagsstaat mehr wie die Männer neue Moden aufgenommen. Daß sie schreiende Farben lieben, haben sie mit andern Frauen vom Lande gemein. Das Gehöft des erzgebirgischen Bauern bildet in der Regel ein geschlossenes Viereck, und das Wohngebäude hat ein oberes Stock, wie auch sonst in Sachsen. Die Wände bestehen gewöhnlich aus Balkenwerk mit buntem Anstrich, welches mit Lehmklebwerk ausgefüllt ist; letzteres ist immer weiß getüncht. Ueber der Hausthür, die meist in eine am Tage offenstehende Ober- und eine Unterthür zerfällt, liest man die Jahreszahl der Erbauung und die Anfangsbuchstaben des Namens des Erbauers, bisweilen auch einen kurzen Bibelspruch. Das Dach ist mit Stroh, mitunter auch mit Schiefer oder Schindeln gedeckt. Der Dünger¬ haufen im Hofe wird in zierlichem Stande gehalten; denn „ein Misthaufen mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/359>, abgerufen am 28.09.2024.