Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr spinnen in gewohnter Güte und Menge. Ohne Zweifel liegt es daran,
daß ihre Nahrung schlechter geworden, und dies, weil der Maulbeerbaum im
Boden nicht mehr genügend die Stoffe findet, die er zum schönen Gedeihen
bedarf. Nun giebt es in allen neapolitanischen Provinzen zahllose Plätze auf
und zwischen den Berghöhen, wo in der reinen Luft Maulbeerpflanzungen präch¬
tig gedeihen würden, geschützte Lagen, wo sich die feinsten Blätter zur Nahrung
der Seidenraupe erzielen ließen, wo man nur etwas Sorge für sie brauchte,
damit sie von der Kälte nicht leide. Cocons zu gewinnen, ist ein so leichter
und sicherer Erwerb: man sehe sich nur danach um in der Gegend bei Catania
und Messina. Dieser Nahrungszweig könnte schon allein ganzen Landstrichen
aushelfen.

Das Feld aber, von welchem das Land wieder seine größte Bedeutung
holen muß, ist das Meer. Rings an den Küsten ist noch reichlicher Wohlstand
aus den Gewässern zu ziehen, der höhere Bürgerstand aber sollte sich wieder
am Seehandel betheiligen. Ein großer Theil dieser Classe ist jetzt in eine Le¬
bensart versunken. deren Müßiggang nur durch kleine Geschäftchen unterbrochen
wird. Man lebt in den Städten vom Zins seiner Ländereien, welchen draußen
der Pächter mit blutigem Schweiße erarbeitet. Der kleine Anbauer des Lan¬
des erhält für seine Arbeit nicht genug zum Leben, und der kleine Eigenthü¬
mer des Landes erwirbt nichts hinzu: beide kommen niemals einen Schritt
weiter, als durch eines Andern Ruin, natürlich kommen sie also häusiger zurück.
In Sicilien ist der Sinn für den überseeischen Handel rege geworden, und mit
Glück und Erfolg. Allein noch längst besteht nicht, wie es sein müßte, ein
lebendiger Verkehr italienischer Schiffe mit europäischen und überseeischen Häfen,
noch immer sind Malta und Korfu Stapelplätze für Waaren aus und nach
Süditalien. Muß das denn immer so bleiben? Aendern sich nicht die orienta¬
lischen Geschicke in einer Weise, daß den Italienern wieder ein größerer Antheil
am Welthandel entgegenblüht?

Griechenland hat sich befreit und liegt im schweren Ringen nach besserer
Zukunft. In Algier wirthschaften bereits die Franzosen, wovon der Sicilianische
Handel sogleich Vortheil hatte. Die Häfen in Aegypten, Syrien und Kleinasien
werden von europäischen Levantefahrern wieder belebt. Das große Hemmniß ist
noch das türkische Reich; wenn es zusammenstürzt, werden sich aus seinem Ge¬
biete die europäischen Ansiedler tausendfach vermehren.

Gedenken wir endlich noch einer Richtung der Volksthätigkeit, in welcher
die letzten Jahre entschiedene 'Fortschritte machten. Seit Ofsizierstellen nicht
mehr Eigenthum einer bevorrechteten Classe, sondern Aemter sind, die Kennt¬
nisse und vieljährige Uebung nicht minder erfordern, als der Beruf des Arztes
und Juristen, ist der Dienst im Heere und auf der Flotte unter die bürgerliche
Thätigkeit zu rechnen. Nun Haben zwar die Neapolitaner einen alten bösen


mehr spinnen in gewohnter Güte und Menge. Ohne Zweifel liegt es daran,
daß ihre Nahrung schlechter geworden, und dies, weil der Maulbeerbaum im
Boden nicht mehr genügend die Stoffe findet, die er zum schönen Gedeihen
bedarf. Nun giebt es in allen neapolitanischen Provinzen zahllose Plätze auf
und zwischen den Berghöhen, wo in der reinen Luft Maulbeerpflanzungen präch¬
tig gedeihen würden, geschützte Lagen, wo sich die feinsten Blätter zur Nahrung
der Seidenraupe erzielen ließen, wo man nur etwas Sorge für sie brauchte,
damit sie von der Kälte nicht leide. Cocons zu gewinnen, ist ein so leichter
und sicherer Erwerb: man sehe sich nur danach um in der Gegend bei Catania
und Messina. Dieser Nahrungszweig könnte schon allein ganzen Landstrichen
aushelfen.

Das Feld aber, von welchem das Land wieder seine größte Bedeutung
holen muß, ist das Meer. Rings an den Küsten ist noch reichlicher Wohlstand
aus den Gewässern zu ziehen, der höhere Bürgerstand aber sollte sich wieder
am Seehandel betheiligen. Ein großer Theil dieser Classe ist jetzt in eine Le¬
bensart versunken. deren Müßiggang nur durch kleine Geschäftchen unterbrochen
wird. Man lebt in den Städten vom Zins seiner Ländereien, welchen draußen
der Pächter mit blutigem Schweiße erarbeitet. Der kleine Anbauer des Lan¬
des erhält für seine Arbeit nicht genug zum Leben, und der kleine Eigenthü¬
mer des Landes erwirbt nichts hinzu: beide kommen niemals einen Schritt
weiter, als durch eines Andern Ruin, natürlich kommen sie also häusiger zurück.
In Sicilien ist der Sinn für den überseeischen Handel rege geworden, und mit
Glück und Erfolg. Allein noch längst besteht nicht, wie es sein müßte, ein
lebendiger Verkehr italienischer Schiffe mit europäischen und überseeischen Häfen,
noch immer sind Malta und Korfu Stapelplätze für Waaren aus und nach
Süditalien. Muß das denn immer so bleiben? Aendern sich nicht die orienta¬
lischen Geschicke in einer Weise, daß den Italienern wieder ein größerer Antheil
am Welthandel entgegenblüht?

Griechenland hat sich befreit und liegt im schweren Ringen nach besserer
Zukunft. In Algier wirthschaften bereits die Franzosen, wovon der Sicilianische
Handel sogleich Vortheil hatte. Die Häfen in Aegypten, Syrien und Kleinasien
werden von europäischen Levantefahrern wieder belebt. Das große Hemmniß ist
noch das türkische Reich; wenn es zusammenstürzt, werden sich aus seinem Ge¬
biete die europäischen Ansiedler tausendfach vermehren.

Gedenken wir endlich noch einer Richtung der Volksthätigkeit, in welcher
die letzten Jahre entschiedene 'Fortschritte machten. Seit Ofsizierstellen nicht
mehr Eigenthum einer bevorrechteten Classe, sondern Aemter sind, die Kennt¬
nisse und vieljährige Uebung nicht minder erfordern, als der Beruf des Arztes
und Juristen, ist der Dienst im Heere und auf der Flotte unter die bürgerliche
Thätigkeit zu rechnen. Nun Haben zwar die Neapolitaner einen alten bösen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189449"/>
          <p xml:id="ID_1458" prev="#ID_1457"> mehr spinnen in gewohnter Güte und Menge. Ohne Zweifel liegt es daran,<lb/>
daß ihre Nahrung schlechter geworden, und dies, weil der Maulbeerbaum im<lb/>
Boden nicht mehr genügend die Stoffe findet, die er zum schönen Gedeihen<lb/>
bedarf. Nun giebt es in allen neapolitanischen Provinzen zahllose Plätze auf<lb/>
und zwischen den Berghöhen, wo in der reinen Luft Maulbeerpflanzungen präch¬<lb/>
tig gedeihen würden, geschützte Lagen, wo sich die feinsten Blätter zur Nahrung<lb/>
der Seidenraupe erzielen ließen, wo man nur etwas Sorge für sie brauchte,<lb/>
damit sie von der Kälte nicht leide. Cocons zu gewinnen, ist ein so leichter<lb/>
und sicherer Erwerb: man sehe sich nur danach um in der Gegend bei Catania<lb/>
und Messina. Dieser Nahrungszweig könnte schon allein ganzen Landstrichen<lb/>
aushelfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1459"> Das Feld aber, von welchem das Land wieder seine größte Bedeutung<lb/>
holen muß, ist das Meer. Rings an den Küsten ist noch reichlicher Wohlstand<lb/>
aus den Gewässern zu ziehen, der höhere Bürgerstand aber sollte sich wieder<lb/>
am Seehandel betheiligen. Ein großer Theil dieser Classe ist jetzt in eine Le¬<lb/>
bensart versunken. deren Müßiggang nur durch kleine Geschäftchen unterbrochen<lb/>
wird. Man lebt in den Städten vom Zins seiner Ländereien, welchen draußen<lb/>
der Pächter mit blutigem Schweiße erarbeitet. Der kleine Anbauer des Lan¬<lb/>
des erhält für seine Arbeit nicht genug zum Leben, und der kleine Eigenthü¬<lb/>
mer des Landes erwirbt nichts hinzu: beide kommen niemals einen Schritt<lb/>
weiter, als durch eines Andern Ruin, natürlich kommen sie also häusiger zurück.<lb/>
In Sicilien ist der Sinn für den überseeischen Handel rege geworden, und mit<lb/>
Glück und Erfolg. Allein noch längst besteht nicht, wie es sein müßte, ein<lb/>
lebendiger Verkehr italienischer Schiffe mit europäischen und überseeischen Häfen,<lb/>
noch immer sind Malta und Korfu Stapelplätze für Waaren aus und nach<lb/>
Süditalien. Muß das denn immer so bleiben? Aendern sich nicht die orienta¬<lb/>
lischen Geschicke in einer Weise, daß den Italienern wieder ein größerer Antheil<lb/>
am Welthandel entgegenblüht?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1460"> Griechenland hat sich befreit und liegt im schweren Ringen nach besserer<lb/>
Zukunft. In Algier wirthschaften bereits die Franzosen, wovon der Sicilianische<lb/>
Handel sogleich Vortheil hatte. Die Häfen in Aegypten, Syrien und Kleinasien<lb/>
werden von europäischen Levantefahrern wieder belebt. Das große Hemmniß ist<lb/>
noch das türkische Reich; wenn es zusammenstürzt, werden sich aus seinem Ge¬<lb/>
biete die europäischen Ansiedler tausendfach vermehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1461" next="#ID_1462"> Gedenken wir endlich noch einer Richtung der Volksthätigkeit, in welcher<lb/>
die letzten Jahre entschiedene 'Fortschritte machten. Seit Ofsizierstellen nicht<lb/>
mehr Eigenthum einer bevorrechteten Classe, sondern Aemter sind, die Kennt¬<lb/>
nisse und vieljährige Uebung nicht minder erfordern, als der Beruf des Arztes<lb/>
und Juristen, ist der Dienst im Heere und auf der Flotte unter die bürgerliche<lb/>
Thätigkeit zu rechnen.  Nun Haben zwar die Neapolitaner einen alten bösen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0354] mehr spinnen in gewohnter Güte und Menge. Ohne Zweifel liegt es daran, daß ihre Nahrung schlechter geworden, und dies, weil der Maulbeerbaum im Boden nicht mehr genügend die Stoffe findet, die er zum schönen Gedeihen bedarf. Nun giebt es in allen neapolitanischen Provinzen zahllose Plätze auf und zwischen den Berghöhen, wo in der reinen Luft Maulbeerpflanzungen präch¬ tig gedeihen würden, geschützte Lagen, wo sich die feinsten Blätter zur Nahrung der Seidenraupe erzielen ließen, wo man nur etwas Sorge für sie brauchte, damit sie von der Kälte nicht leide. Cocons zu gewinnen, ist ein so leichter und sicherer Erwerb: man sehe sich nur danach um in der Gegend bei Catania und Messina. Dieser Nahrungszweig könnte schon allein ganzen Landstrichen aushelfen. Das Feld aber, von welchem das Land wieder seine größte Bedeutung holen muß, ist das Meer. Rings an den Küsten ist noch reichlicher Wohlstand aus den Gewässern zu ziehen, der höhere Bürgerstand aber sollte sich wieder am Seehandel betheiligen. Ein großer Theil dieser Classe ist jetzt in eine Le¬ bensart versunken. deren Müßiggang nur durch kleine Geschäftchen unterbrochen wird. Man lebt in den Städten vom Zins seiner Ländereien, welchen draußen der Pächter mit blutigem Schweiße erarbeitet. Der kleine Anbauer des Lan¬ des erhält für seine Arbeit nicht genug zum Leben, und der kleine Eigenthü¬ mer des Landes erwirbt nichts hinzu: beide kommen niemals einen Schritt weiter, als durch eines Andern Ruin, natürlich kommen sie also häusiger zurück. In Sicilien ist der Sinn für den überseeischen Handel rege geworden, und mit Glück und Erfolg. Allein noch längst besteht nicht, wie es sein müßte, ein lebendiger Verkehr italienischer Schiffe mit europäischen und überseeischen Häfen, noch immer sind Malta und Korfu Stapelplätze für Waaren aus und nach Süditalien. Muß das denn immer so bleiben? Aendern sich nicht die orienta¬ lischen Geschicke in einer Weise, daß den Italienern wieder ein größerer Antheil am Welthandel entgegenblüht? Griechenland hat sich befreit und liegt im schweren Ringen nach besserer Zukunft. In Algier wirthschaften bereits die Franzosen, wovon der Sicilianische Handel sogleich Vortheil hatte. Die Häfen in Aegypten, Syrien und Kleinasien werden von europäischen Levantefahrern wieder belebt. Das große Hemmniß ist noch das türkische Reich; wenn es zusammenstürzt, werden sich aus seinem Ge¬ biete die europäischen Ansiedler tausendfach vermehren. Gedenken wir endlich noch einer Richtung der Volksthätigkeit, in welcher die letzten Jahre entschiedene 'Fortschritte machten. Seit Ofsizierstellen nicht mehr Eigenthum einer bevorrechteten Classe, sondern Aemter sind, die Kennt¬ nisse und vieljährige Uebung nicht minder erfordern, als der Beruf des Arztes und Juristen, ist der Dienst im Heere und auf der Flotte unter die bürgerliche Thätigkeit zu rechnen. Nun Haben zwar die Neapolitaner einen alten bösen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/354
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/354>, abgerufen am 28.09.2024.