Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hätte. Doch niemand kann aus seiner Haut. Die Piemontesen wollen einmal
mit allem, was wie genial aussieht, nichts zu thun haben. Sie sind lang¬
weilige Bureaukraten, ein Jegliches möchten sie auf dem Papier haben, Num¬
mer eins, zwei, drei, und alles bedächtig entscheiden nach Paragraph eins, zwei,
drei. Dabei sind sie immer etwas pfiffig, immer etwas hungrig nach Ehre
und Besitz. Solche Leute schwingen sich nicht auf zu hochherzigen Maßregeln,
welche die gesammte Volkskraft an die Arbeit rufen. Freilich, wer könnte es
läugnen, die Ausgabe war eine ungeheure. Das kleine Piemont sah sich durch
etwas Muth und Glück auf einmal im Besitze des großen Süditaliens, dessen
Bewohnern der Piemontese unbekannt und sofort, als sie ihn von sich ver¬
schieden sahen, verhaßt war. Nur den Besitz Süditaliens festzuhalten, erforderte
keine geringe Anstrengung. Also glaubte man in Turin, es sei genug, wenn
man den Städten freie Hand lasse, Schulen zu gründen, an Straßen ins In¬
nere zu denken und Anlehen aufzunehmen, um ihre Angelegenheiten zu bessern.
Schon dies, daß man jetzt wußte, der Regierung sei solche Selbstthätigkeit der
Gemeinden nicht mehr zuwider, war ein unschätzbarer Vortheil. Denn es ist
der Fluch mißtrauischer Regierungen, daß auch das Gute sich nicht hervorwagt.
Im Uebrigen denken die Piemontesen, die Hauptsache sei, sich im Lande mili¬
tärisch zu behaupten, und deshalb bilden sie mit allen Kräften ihr Heer, und
bauen Eisenbahnen, damit sie Soldaten und Polizei rasch befördern.

Die Eisenbahn wird bald an der adriatischen Küste bis Bari gehen und
soll von da quer durchs Land bis Avellino und Salerno geführt werden.
Gewiß ist schleunige Vollendung der Hauptbahnen eine unschätzbare Wohlthat:
allein sie genügt nicht. nöthiger noch sind fahrbare Straßen, die überall aus
dem Innern des Landes nach den Markt- und Aussuhrplätzen gehen. Die
meisten Gegenden Neapels ersticken im eigenen Fett und sind doch arm und
Verwildert.

Die Gebirge stecken an vielen Orten noch voll Metalle. Allein der Berg¬
bau will nicht gedeihen in den Händen von Einheimischen. Fremde zeigen noch
wenig Lust, Gesellschaften zu stiften, um Bergwerke auszubeuten. Gelder, die
sich am Betriebe betheiligen, würden sich auch im Lande finden.

Ein Achtel des Landes ist mit Wald bedeckt. Herrlich steht er in einigen
Gegenden, in den meisten ist es eine Schande, wie die Waldung zerstört und
vernachlässigt wird. Von drei Zehnteln des Landes, die jeglichen Anbaues für
unfähig gelten, würde mehr als ein Drittel bewaldet sein, lägen sie in Deutsch¬
land. Die kahlen Steinboden wieder zu bewalden, ist freilich alle Hoffnung
verloren. Allein überall zwischen ihren Gipfeln giebt es Stellen, wo die Erd¬
krume tiefer ist und Wasser sich leichter sammelt. Dort verdorrt jetzt auf der
kahlen Bergweide sehr frühe das aufsprießende Gras, und der Hirt, der jeden
Waldanflug gleich abbrennt, findet nur eine kärgliche Weide. Waldung auf


hätte. Doch niemand kann aus seiner Haut. Die Piemontesen wollen einmal
mit allem, was wie genial aussieht, nichts zu thun haben. Sie sind lang¬
weilige Bureaukraten, ein Jegliches möchten sie auf dem Papier haben, Num¬
mer eins, zwei, drei, und alles bedächtig entscheiden nach Paragraph eins, zwei,
drei. Dabei sind sie immer etwas pfiffig, immer etwas hungrig nach Ehre
und Besitz. Solche Leute schwingen sich nicht auf zu hochherzigen Maßregeln,
welche die gesammte Volkskraft an die Arbeit rufen. Freilich, wer könnte es
läugnen, die Ausgabe war eine ungeheure. Das kleine Piemont sah sich durch
etwas Muth und Glück auf einmal im Besitze des großen Süditaliens, dessen
Bewohnern der Piemontese unbekannt und sofort, als sie ihn von sich ver¬
schieden sahen, verhaßt war. Nur den Besitz Süditaliens festzuhalten, erforderte
keine geringe Anstrengung. Also glaubte man in Turin, es sei genug, wenn
man den Städten freie Hand lasse, Schulen zu gründen, an Straßen ins In¬
nere zu denken und Anlehen aufzunehmen, um ihre Angelegenheiten zu bessern.
Schon dies, daß man jetzt wußte, der Regierung sei solche Selbstthätigkeit der
Gemeinden nicht mehr zuwider, war ein unschätzbarer Vortheil. Denn es ist
der Fluch mißtrauischer Regierungen, daß auch das Gute sich nicht hervorwagt.
Im Uebrigen denken die Piemontesen, die Hauptsache sei, sich im Lande mili¬
tärisch zu behaupten, und deshalb bilden sie mit allen Kräften ihr Heer, und
bauen Eisenbahnen, damit sie Soldaten und Polizei rasch befördern.

Die Eisenbahn wird bald an der adriatischen Küste bis Bari gehen und
soll von da quer durchs Land bis Avellino und Salerno geführt werden.
Gewiß ist schleunige Vollendung der Hauptbahnen eine unschätzbare Wohlthat:
allein sie genügt nicht. nöthiger noch sind fahrbare Straßen, die überall aus
dem Innern des Landes nach den Markt- und Aussuhrplätzen gehen. Die
meisten Gegenden Neapels ersticken im eigenen Fett und sind doch arm und
Verwildert.

Die Gebirge stecken an vielen Orten noch voll Metalle. Allein der Berg¬
bau will nicht gedeihen in den Händen von Einheimischen. Fremde zeigen noch
wenig Lust, Gesellschaften zu stiften, um Bergwerke auszubeuten. Gelder, die
sich am Betriebe betheiligen, würden sich auch im Lande finden.

Ein Achtel des Landes ist mit Wald bedeckt. Herrlich steht er in einigen
Gegenden, in den meisten ist es eine Schande, wie die Waldung zerstört und
vernachlässigt wird. Von drei Zehnteln des Landes, die jeglichen Anbaues für
unfähig gelten, würde mehr als ein Drittel bewaldet sein, lägen sie in Deutsch¬
land. Die kahlen Steinboden wieder zu bewalden, ist freilich alle Hoffnung
verloren. Allein überall zwischen ihren Gipfeln giebt es Stellen, wo die Erd¬
krume tiefer ist und Wasser sich leichter sammelt. Dort verdorrt jetzt auf der
kahlen Bergweide sehr frühe das aufsprießende Gras, und der Hirt, der jeden
Waldanflug gleich abbrennt, findet nur eine kärgliche Weide. Waldung auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189447"/>
          <p xml:id="ID_1449" prev="#ID_1448"> hätte. Doch niemand kann aus seiner Haut. Die Piemontesen wollen einmal<lb/>
mit allem, was wie genial aussieht, nichts zu thun haben. Sie sind lang¬<lb/>
weilige Bureaukraten, ein Jegliches möchten sie auf dem Papier haben, Num¬<lb/>
mer eins, zwei, drei, und alles bedächtig entscheiden nach Paragraph eins, zwei,<lb/>
drei. Dabei sind sie immer etwas pfiffig, immer etwas hungrig nach Ehre<lb/>
und Besitz. Solche Leute schwingen sich nicht auf zu hochherzigen Maßregeln,<lb/>
welche die gesammte Volkskraft an die Arbeit rufen. Freilich, wer könnte es<lb/>
läugnen, die Ausgabe war eine ungeheure. Das kleine Piemont sah sich durch<lb/>
etwas Muth und Glück auf einmal im Besitze des großen Süditaliens, dessen<lb/>
Bewohnern der Piemontese unbekannt und sofort, als sie ihn von sich ver¬<lb/>
schieden sahen, verhaßt war. Nur den Besitz Süditaliens festzuhalten, erforderte<lb/>
keine geringe Anstrengung. Also glaubte man in Turin, es sei genug, wenn<lb/>
man den Städten freie Hand lasse, Schulen zu gründen, an Straßen ins In¬<lb/>
nere zu denken und Anlehen aufzunehmen, um ihre Angelegenheiten zu bessern.<lb/>
Schon dies, daß man jetzt wußte, der Regierung sei solche Selbstthätigkeit der<lb/>
Gemeinden nicht mehr zuwider, war ein unschätzbarer Vortheil. Denn es ist<lb/>
der Fluch mißtrauischer Regierungen, daß auch das Gute sich nicht hervorwagt.<lb/>
Im Uebrigen denken die Piemontesen, die Hauptsache sei, sich im Lande mili¬<lb/>
tärisch zu behaupten, und deshalb bilden sie mit allen Kräften ihr Heer, und<lb/>
bauen Eisenbahnen, damit sie Soldaten und Polizei rasch befördern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1450"> Die Eisenbahn wird bald an der adriatischen Küste bis Bari gehen und<lb/>
soll von da quer durchs Land bis Avellino und Salerno geführt werden.<lb/>
Gewiß ist schleunige Vollendung der Hauptbahnen eine unschätzbare Wohlthat:<lb/>
allein sie genügt nicht. nöthiger noch sind fahrbare Straßen, die überall aus<lb/>
dem Innern des Landes nach den Markt- und Aussuhrplätzen gehen. Die<lb/>
meisten Gegenden Neapels ersticken im eigenen Fett und sind doch arm und<lb/>
Verwildert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1451"> Die Gebirge stecken an vielen Orten noch voll Metalle. Allein der Berg¬<lb/>
bau will nicht gedeihen in den Händen von Einheimischen. Fremde zeigen noch<lb/>
wenig Lust, Gesellschaften zu stiften, um Bergwerke auszubeuten. Gelder, die<lb/>
sich am Betriebe betheiligen, würden sich auch im Lande finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1452" next="#ID_1453"> Ein Achtel des Landes ist mit Wald bedeckt. Herrlich steht er in einigen<lb/>
Gegenden, in den meisten ist es eine Schande, wie die Waldung zerstört und<lb/>
vernachlässigt wird. Von drei Zehnteln des Landes, die jeglichen Anbaues für<lb/>
unfähig gelten, würde mehr als ein Drittel bewaldet sein, lägen sie in Deutsch¬<lb/>
land. Die kahlen Steinboden wieder zu bewalden, ist freilich alle Hoffnung<lb/>
verloren. Allein überall zwischen ihren Gipfeln giebt es Stellen, wo die Erd¬<lb/>
krume tiefer ist und Wasser sich leichter sammelt. Dort verdorrt jetzt auf der<lb/>
kahlen Bergweide sehr frühe das aufsprießende Gras, und der Hirt, der jeden<lb/>
Waldanflug gleich abbrennt, findet nur eine kärgliche Weide.  Waldung auf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] hätte. Doch niemand kann aus seiner Haut. Die Piemontesen wollen einmal mit allem, was wie genial aussieht, nichts zu thun haben. Sie sind lang¬ weilige Bureaukraten, ein Jegliches möchten sie auf dem Papier haben, Num¬ mer eins, zwei, drei, und alles bedächtig entscheiden nach Paragraph eins, zwei, drei. Dabei sind sie immer etwas pfiffig, immer etwas hungrig nach Ehre und Besitz. Solche Leute schwingen sich nicht auf zu hochherzigen Maßregeln, welche die gesammte Volkskraft an die Arbeit rufen. Freilich, wer könnte es läugnen, die Ausgabe war eine ungeheure. Das kleine Piemont sah sich durch etwas Muth und Glück auf einmal im Besitze des großen Süditaliens, dessen Bewohnern der Piemontese unbekannt und sofort, als sie ihn von sich ver¬ schieden sahen, verhaßt war. Nur den Besitz Süditaliens festzuhalten, erforderte keine geringe Anstrengung. Also glaubte man in Turin, es sei genug, wenn man den Städten freie Hand lasse, Schulen zu gründen, an Straßen ins In¬ nere zu denken und Anlehen aufzunehmen, um ihre Angelegenheiten zu bessern. Schon dies, daß man jetzt wußte, der Regierung sei solche Selbstthätigkeit der Gemeinden nicht mehr zuwider, war ein unschätzbarer Vortheil. Denn es ist der Fluch mißtrauischer Regierungen, daß auch das Gute sich nicht hervorwagt. Im Uebrigen denken die Piemontesen, die Hauptsache sei, sich im Lande mili¬ tärisch zu behaupten, und deshalb bilden sie mit allen Kräften ihr Heer, und bauen Eisenbahnen, damit sie Soldaten und Polizei rasch befördern. Die Eisenbahn wird bald an der adriatischen Küste bis Bari gehen und soll von da quer durchs Land bis Avellino und Salerno geführt werden. Gewiß ist schleunige Vollendung der Hauptbahnen eine unschätzbare Wohlthat: allein sie genügt nicht. nöthiger noch sind fahrbare Straßen, die überall aus dem Innern des Landes nach den Markt- und Aussuhrplätzen gehen. Die meisten Gegenden Neapels ersticken im eigenen Fett und sind doch arm und Verwildert. Die Gebirge stecken an vielen Orten noch voll Metalle. Allein der Berg¬ bau will nicht gedeihen in den Händen von Einheimischen. Fremde zeigen noch wenig Lust, Gesellschaften zu stiften, um Bergwerke auszubeuten. Gelder, die sich am Betriebe betheiligen, würden sich auch im Lande finden. Ein Achtel des Landes ist mit Wald bedeckt. Herrlich steht er in einigen Gegenden, in den meisten ist es eine Schande, wie die Waldung zerstört und vernachlässigt wird. Von drei Zehnteln des Landes, die jeglichen Anbaues für unfähig gelten, würde mehr als ein Drittel bewaldet sein, lägen sie in Deutsch¬ land. Die kahlen Steinboden wieder zu bewalden, ist freilich alle Hoffnung verloren. Allein überall zwischen ihren Gipfeln giebt es Stellen, wo die Erd¬ krume tiefer ist und Wasser sich leichter sammelt. Dort verdorrt jetzt auf der kahlen Bergweide sehr frühe das aufsprießende Gras, und der Hirt, der jeden Waldanflug gleich abbrennt, findet nur eine kärgliche Weide. Waldung auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/352>, abgerufen am 28.09.2024.