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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Statt Tiefe des Geistes haben sie eine helle Lebendigkeit, statt Gemüthes Lei¬
denschaft: rasch entschlossen und rasch gethan --das ist ihr Wesen. Der schnelle
Wechsel vieler Empfindungen ist ihr Ersatz für die Dauer einer einzigen starken.
Hätten diese Italiener unsern grauen Regcnhimmel, unsere lange Dämmerung
an Morgen und Abend, ohne Zweifel, sie waren anders geartet. So aber um¬
giebt sie die Natur in wundervoller Klarheit: Gebirge und Meer und Steil¬
küste, alles hat helle scharfe Umrisse, bestimmte Farbe. Die Lichtfülle, welche
mit dem ersten Blitzen der Sonne sich gleich in machtvollen Strom durch ihre
Welt ergießt, dringt auch unwiderstehlich in die inneren Sinne. Die Sprache
wird leicht und klar und einfach verständig. Die Gedanken reichen nicht ins
Ungewisse und Dunkle, sondern umgreifen Faßbares. Selbst die Frauen sind
in ihrem Innern so klar und bestimmt wie die Umrisse ihrer Berge.

Sie sind wie die Kinder, diese Süditaliener, aber -- und das sei das letzte
Stück ihres Gegensatzes zu allem, was germanischer Art und Herkunft -- sie
bleiben gar leicht Kinder ihr Leben lang. Bei heftigsten Leidenschaften, bei
größtem Talent zum Handeln und Plänemachen wird der Italiener aus dem
Volte doch selten ein ganzer Mann: Geist und Kraft bleiben ihm noch immer
ein paar Spannen zu kurz. Nie gewinnt er die feste schöne Herrschaft über
das heiße Ungestüm seines Blutes, nie lernt er sein Leben im Großen aus¬
münzen.

Wer möchte diesem Volke jetzt nicht gescheidte Führer wünschen! Wer seine
Statur nicht völlig versteht, kann arge Dinge erfahren: wer es zu behandeln
weiß, kann es spielend führen, noch mehr, er kann raschen Erfolges sicher sein.
Die Geschichte hat es noch immer bewiesen: gute Aussaat brachte hier reich¬
liche Frucht in kurzer Zeit.

Als die Piemontesen, -- denn diese sind doch Kern und Salz der italie¬
nischen Regierung, -- Unteritalien besetzten, war nichts nöthiger für sie, als
rasch das ganze Volk in Bewegung zu bringen, daß es selbst seine Zustände
bessere. Der Eifer, die Größe und Wohlthat der neuen Maßregeln hätte das
Land fortwährend in Athem erhalten und es zugleich an die fremde Regie¬
rung heranziehen müssen. Wie Straßen und Schulen anzulegen, wie Gewerbe
und Handel in Schwung zu setzen, wie der Landbau zu steigern, wie zu dem
allen Mittel zu beschaffen: das mußte in Presse, Vereinen und Behörden die
Leute unaufhörlich beschäftigen, alles mußte dafür an die Arbeit gestellt, die
Regierung aber mußte überall fühlbar, überall unentbehrlich werden als die
Macht, von welcher Antrieb, Rath und Vollzug ausging. Das Volk Neapels
und Siciliens hat Liebe, Leidenschaft und Ehrgeiz für sein schönes Land; jetzt
war es in Gluth und Eifer und Hoffnung, jetzt war es möglich, daß ein Auf¬
treten der neuen Regierung, wie geschildert, der Süditaliener schlimmen Hang
zum Trägen und Kleinlichen sammt ihrer unseligen Parteisüchtelei überwunden


Statt Tiefe des Geistes haben sie eine helle Lebendigkeit, statt Gemüthes Lei¬
denschaft: rasch entschlossen und rasch gethan —das ist ihr Wesen. Der schnelle
Wechsel vieler Empfindungen ist ihr Ersatz für die Dauer einer einzigen starken.
Hätten diese Italiener unsern grauen Regcnhimmel, unsere lange Dämmerung
an Morgen und Abend, ohne Zweifel, sie waren anders geartet. So aber um¬
giebt sie die Natur in wundervoller Klarheit: Gebirge und Meer und Steil¬
küste, alles hat helle scharfe Umrisse, bestimmte Farbe. Die Lichtfülle, welche
mit dem ersten Blitzen der Sonne sich gleich in machtvollen Strom durch ihre
Welt ergießt, dringt auch unwiderstehlich in die inneren Sinne. Die Sprache
wird leicht und klar und einfach verständig. Die Gedanken reichen nicht ins
Ungewisse und Dunkle, sondern umgreifen Faßbares. Selbst die Frauen sind
in ihrem Innern so klar und bestimmt wie die Umrisse ihrer Berge.

Sie sind wie die Kinder, diese Süditaliener, aber — und das sei das letzte
Stück ihres Gegensatzes zu allem, was germanischer Art und Herkunft — sie
bleiben gar leicht Kinder ihr Leben lang. Bei heftigsten Leidenschaften, bei
größtem Talent zum Handeln und Plänemachen wird der Italiener aus dem
Volte doch selten ein ganzer Mann: Geist und Kraft bleiben ihm noch immer
ein paar Spannen zu kurz. Nie gewinnt er die feste schöne Herrschaft über
das heiße Ungestüm seines Blutes, nie lernt er sein Leben im Großen aus¬
münzen.

Wer möchte diesem Volke jetzt nicht gescheidte Führer wünschen! Wer seine
Statur nicht völlig versteht, kann arge Dinge erfahren: wer es zu behandeln
weiß, kann es spielend führen, noch mehr, er kann raschen Erfolges sicher sein.
Die Geschichte hat es noch immer bewiesen: gute Aussaat brachte hier reich¬
liche Frucht in kurzer Zeit.

Als die Piemontesen, — denn diese sind doch Kern und Salz der italie¬
nischen Regierung, — Unteritalien besetzten, war nichts nöthiger für sie, als
rasch das ganze Volk in Bewegung zu bringen, daß es selbst seine Zustände
bessere. Der Eifer, die Größe und Wohlthat der neuen Maßregeln hätte das
Land fortwährend in Athem erhalten und es zugleich an die fremde Regie¬
rung heranziehen müssen. Wie Straßen und Schulen anzulegen, wie Gewerbe
und Handel in Schwung zu setzen, wie der Landbau zu steigern, wie zu dem
allen Mittel zu beschaffen: das mußte in Presse, Vereinen und Behörden die
Leute unaufhörlich beschäftigen, alles mußte dafür an die Arbeit gestellt, die
Regierung aber mußte überall fühlbar, überall unentbehrlich werden als die
Macht, von welcher Antrieb, Rath und Vollzug ausging. Das Volk Neapels
und Siciliens hat Liebe, Leidenschaft und Ehrgeiz für sein schönes Land; jetzt
war es in Gluth und Eifer und Hoffnung, jetzt war es möglich, daß ein Auf¬
treten der neuen Regierung, wie geschildert, der Süditaliener schlimmen Hang
zum Trägen und Kleinlichen sammt ihrer unseligen Parteisüchtelei überwunden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/351>, abgerufen am 28.09.2024.