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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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als neue Gattin eines Urners seien ihre Reize vor Geßlers Absichten beschützt,
und sie könne noch Segen über das Land verbreiten. Die Verbündeten treten
plötzlich ein, überbringen Teils Gruß nebst der Kunde von seiner Befreiung
und von des Vogtes Tod. An diesem heutigen Tag schon sind die drei Schlösser
Lauwerz, Tamm und Noßberg angegriffen und zerstört worden. Meinhard
wird von seinen Landsleuten ausgestoßen und seiner ewigen Schande überlassen.

In Begleitung des Volkes tritt Tell ein. Sein Schlußwort heißt: Nur
der erste Schritt zur Freiheit ist gethan. Sie wird noch viele Kämpfe kosten,
erst die spätern Enkel werden die Frucht unsrer Treue genießen. --

Wohl das mißlungenste unter den gleichen Stücken des vorigen Jahrhun-
derts. roh in Anlage, Scenenfolge, Stoffbehandlung und Ausdrucksweise ist
nachfolgendes anonym erschienene:

Der Drey-Bund. Ein vaterländisches Original-Schauspiel in vier Auf¬
zügen. 1791. 8°. S. 78.


Was nützet der Väter Tugend
Ohne Nacheifer?

Der Verfasser ist Joh. Balth. Petri (vgl. Gödeke, Grundriß, S, 1076).
der nicht angegebene Druckort ist Basel. -- Tell erscheint nicht im Personen¬
verzeichnisse, dagegen tritt sein Weib Therese in der sechsten Scene des Schlu߬
actes auf als stumme Person. Das Volk reißt die Stange mit dem Hute
nieder, verbrennt Geßlers Wappenschild, da kommt sie mit ihren Kindern über
den Platz gegangen "bitterlich weinend"; denn ihr ist Teils glückliches Ent¬
kommen noch unbekannt. Einer aus dem Volkshaufen spricht zu ihr: "Was
weinest du, Therese? Siehe, dein Mann ist der Edelste unter uns. Ihm ver¬
danken wir es, daß wir frei sind. Glaube mir, Schweizer vergessen nie, daß
er ihr Retter war. Und wenn dein Mann nicht mehr ist, so wollen wir dich
und deine Kinder erhalten." Die Menge nimmt Weib und Kinder in die Mitte
und ruft mit ihnen abgehend: Es lebe Tell, es lebe die freie Schweiz, es leben,
Teils Nachkommen! -- Schluß,

Joh. Ludwig Ambühl ist 1760 zu Walton im Toggenburg geboren, in
jenem Dörflein, in welchem gleichzeitig der Leineweber Ulrich Bräker lebte, der
seine eignen Schicksale in dem vielgenannten Buche: Der arme Mann im
Toggenburg so bleibend schön beschrieben hat. Ambühls Vater war ein über
nächtlichen Schreibereien geschichtlicher Kompilationen erblindeter Dorfschul¬
meister, der seinem zwölfjährigen Sohne das Schulamt abtreten mußte. Der
junge Gehilfe hatte von nun an täglich sechs bis sieben Stunden Unterricht
zu geben, dann die laufenden Geschäfte in Haus und Stall mit zu besorgen,
um schließlich die etwa noch übrige Zeit an seine eigene Ausbildung zu wenden.
So lernte er frühzeitig Maß und Werth seiner Kräfte kennen, steigerte sein
Selbstvertrauen und bildete sich jenen männlichen Unabhängigkeitssinrt, welcher


als neue Gattin eines Urners seien ihre Reize vor Geßlers Absichten beschützt,
und sie könne noch Segen über das Land verbreiten. Die Verbündeten treten
plötzlich ein, überbringen Teils Gruß nebst der Kunde von seiner Befreiung
und von des Vogtes Tod. An diesem heutigen Tag schon sind die drei Schlösser
Lauwerz, Tamm und Noßberg angegriffen und zerstört worden. Meinhard
wird von seinen Landsleuten ausgestoßen und seiner ewigen Schande überlassen.

In Begleitung des Volkes tritt Tell ein. Sein Schlußwort heißt: Nur
der erste Schritt zur Freiheit ist gethan. Sie wird noch viele Kämpfe kosten,
erst die spätern Enkel werden die Frucht unsrer Treue genießen. —

Wohl das mißlungenste unter den gleichen Stücken des vorigen Jahrhun-
derts. roh in Anlage, Scenenfolge, Stoffbehandlung und Ausdrucksweise ist
nachfolgendes anonym erschienene:

Der Drey-Bund. Ein vaterländisches Original-Schauspiel in vier Auf¬
zügen. 1791. 8°. S. 78.


Was nützet der Väter Tugend
Ohne Nacheifer?

Der Verfasser ist Joh. Balth. Petri (vgl. Gödeke, Grundriß, S, 1076).
der nicht angegebene Druckort ist Basel. — Tell erscheint nicht im Personen¬
verzeichnisse, dagegen tritt sein Weib Therese in der sechsten Scene des Schlu߬
actes auf als stumme Person. Das Volk reißt die Stange mit dem Hute
nieder, verbrennt Geßlers Wappenschild, da kommt sie mit ihren Kindern über
den Platz gegangen „bitterlich weinend"; denn ihr ist Teils glückliches Ent¬
kommen noch unbekannt. Einer aus dem Volkshaufen spricht zu ihr: „Was
weinest du, Therese? Siehe, dein Mann ist der Edelste unter uns. Ihm ver¬
danken wir es, daß wir frei sind. Glaube mir, Schweizer vergessen nie, daß
er ihr Retter war. Und wenn dein Mann nicht mehr ist, so wollen wir dich
und deine Kinder erhalten." Die Menge nimmt Weib und Kinder in die Mitte
und ruft mit ihnen abgehend: Es lebe Tell, es lebe die freie Schweiz, es leben,
Teils Nachkommen! — Schluß,

Joh. Ludwig Ambühl ist 1760 zu Walton im Toggenburg geboren, in
jenem Dörflein, in welchem gleichzeitig der Leineweber Ulrich Bräker lebte, der
seine eignen Schicksale in dem vielgenannten Buche: Der arme Mann im
Toggenburg so bleibend schön beschrieben hat. Ambühls Vater war ein über
nächtlichen Schreibereien geschichtlicher Kompilationen erblindeter Dorfschul¬
meister, der seinem zwölfjährigen Sohne das Schulamt abtreten mußte. Der
junge Gehilfe hatte von nun an täglich sechs bis sieben Stunden Unterricht
zu geben, dann die laufenden Geschäfte in Haus und Stall mit zu besorgen,
um schließlich die etwa noch übrige Zeit an seine eigene Ausbildung zu wenden.
So lernte er frühzeitig Maß und Werth seiner Kräfte kennen, steigerte sein
Selbstvertrauen und bildete sich jenen männlichen Unabhängigkeitssinrt, welcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/263>, abgerufen am 28.09.2024.