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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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dreier gekränkter Herzen nicht ohne Glück ausgedrückt. So spricht der Vater
dem Knaben zu. der in der Angst vor dem bevorstehenden Ereigniß auf den
Knieen liegt: "Bester Sohn, viel tausend liebe Kinder, die wirklich leben oder
die lang nach dir in künftigen Jahrhunderten geboren werden, müssen einen
Geßler fürchten, der sie und ihre Eltern grausam verfolgt. Sag mir, wenn
du alle diese frommen Kinder, ihr bekümmerten Mütter, ihre im Elend schmach¬
tenden Väter alle auf einmal erretten könntest--hättest du Muth genug,
zu sterben?" Walther, ihn umhalsend, antwortet: "Wenn nur du leben bleibst,
sterb ich mit Freuden!" und zur Mutter gewendet: "Weine doch nicht, den Apfel
trifft der Pfeil, nicht mich."


Hedwig:

Ach, ich bins, die dieses mörderische Gebot dem Wütherich ab¬

gepreßt hat! der Lasterhafte machte mir Versprechen, bot mir Geschenke an . . .


Teil:

der Fluchwürdige! dies entscheidet unser Glück, Gott krönet deine

Treue, besorge nichts.

Hedwig blickt den Abgehenden nach, dann mit wieder erwachender Mutter¬
zärtlichkeit: Halt! es ist ja auch mein Blut! (wieder sich fassend) Es fließe!
Zum Heil des Vaterlandes hab ich ihn geboren! O, ihr Mütter alle eilet her!
u. s. w.

Vierter Aufzug.

Der Schuß ist bereits geschehen. Noch sind die Verbündeten auf dem
Marktplatze zurückgeblieben, den Hergang, die Angst des Volkes schildernd, den
Aufschrei nach der That. Geßler und bald darauf Teil erscheinen abermals auf
dem Platze; letzterer verwünscht sich selbst über seine unväterliche Wagethat; er
ruft (S. 69): "Die Nachwelt wird es nicht glauben können; sie hat recht!"
Er erbittert sich und dringt heftig redend gegen Geßler vor. Dieser erblickt in
Teils Goller den andern noch übrigen Pfeil, fragt um den Zweck dieser Be¬
waffnung und erhält in der Hitze des Wortwechsels den bekannten Aufschluß.
Da läßt er ihn sogleich nach Küßnach abführen. Im Abgehen spricht der
Gefangene: "Gebunden bleibet Tell noch Teil; dies sei der Gattin Trost!" Dies
Wort ist entlehnt aus Lavaters Tellenlied, Strophe 14:

Geßler geht mit nach Küßnach ab, inzwischen übergiebt er seinem Statthalter
Meinhard die Gewalt über das Urnerland. Dieser hofft sie sogleich gegen Teils
Frau anzuwenden.

Fünfter Auszug.

Der Knabe Walther meldet der Mutter die Nachricht, die ein heimgekehrter
Schiffer verbreite, der Vater sei entweder im Seesturm ertrunken oder zu Kü߬
nach vom Vogt hingerichtet. Dies hat Meinhard ausstreuen lassen; nun er¬
scheint er bei der bedrängten Frau, bedauert ihre Wittwenveriassenheil, aber


dreier gekränkter Herzen nicht ohne Glück ausgedrückt. So spricht der Vater
dem Knaben zu. der in der Angst vor dem bevorstehenden Ereigniß auf den
Knieen liegt: „Bester Sohn, viel tausend liebe Kinder, die wirklich leben oder
die lang nach dir in künftigen Jahrhunderten geboren werden, müssen einen
Geßler fürchten, der sie und ihre Eltern grausam verfolgt. Sag mir, wenn
du alle diese frommen Kinder, ihr bekümmerten Mütter, ihre im Elend schmach¬
tenden Väter alle auf einmal erretten könntest--hättest du Muth genug,
zu sterben?" Walther, ihn umhalsend, antwortet: „Wenn nur du leben bleibst,
sterb ich mit Freuden!" und zur Mutter gewendet: „Weine doch nicht, den Apfel
trifft der Pfeil, nicht mich."


Hedwig:

Ach, ich bins, die dieses mörderische Gebot dem Wütherich ab¬

gepreßt hat! der Lasterhafte machte mir Versprechen, bot mir Geschenke an . . .


Teil:

der Fluchwürdige! dies entscheidet unser Glück, Gott krönet deine

Treue, besorge nichts.

Hedwig blickt den Abgehenden nach, dann mit wieder erwachender Mutter¬
zärtlichkeit: Halt! es ist ja auch mein Blut! (wieder sich fassend) Es fließe!
Zum Heil des Vaterlandes hab ich ihn geboren! O, ihr Mütter alle eilet her!
u. s. w.

Vierter Aufzug.

Der Schuß ist bereits geschehen. Noch sind die Verbündeten auf dem
Marktplatze zurückgeblieben, den Hergang, die Angst des Volkes schildernd, den
Aufschrei nach der That. Geßler und bald darauf Teil erscheinen abermals auf
dem Platze; letzterer verwünscht sich selbst über seine unväterliche Wagethat; er
ruft (S. 69): „Die Nachwelt wird es nicht glauben können; sie hat recht!"
Er erbittert sich und dringt heftig redend gegen Geßler vor. Dieser erblickt in
Teils Goller den andern noch übrigen Pfeil, fragt um den Zweck dieser Be¬
waffnung und erhält in der Hitze des Wortwechsels den bekannten Aufschluß.
Da läßt er ihn sogleich nach Küßnach abführen. Im Abgehen spricht der
Gefangene: „Gebunden bleibet Tell noch Teil; dies sei der Gattin Trost!" Dies
Wort ist entlehnt aus Lavaters Tellenlied, Strophe 14:

Geßler geht mit nach Küßnach ab, inzwischen übergiebt er seinem Statthalter
Meinhard die Gewalt über das Urnerland. Dieser hofft sie sogleich gegen Teils
Frau anzuwenden.

Fünfter Auszug.

Der Knabe Walther meldet der Mutter die Nachricht, die ein heimgekehrter
Schiffer verbreite, der Vater sei entweder im Seesturm ertrunken oder zu Kü߬
nach vom Vogt hingerichtet. Dies hat Meinhard ausstreuen lassen; nun er¬
scheint er bei der bedrängten Frau, bedauert ihre Wittwenveriassenheil, aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/262>, abgerufen am 28.09.2024.