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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Jahrhunderts wurden nicht nur viele Dramen Shakespeares (z. B. Othello,
1769, Cymbeline, 1772, die Komödie der Irrungen, 1777, Macbeth, der
Kaufmann von Venedig und die gezähmte Widerspenstige', 1783, Maß für
Maß. 1784, Julius Cäsar. 1788. die lustigen Weiber von Windsor. 1793,
und Antonius und Cleopatra, 1796) übersetzt und bearbeitet, sondern zu gleicher
Zeit führte man auch andere englische Dramatiker, wie Farquhar, Cibber,
Steele, Dryden. Lillo, Otway, Congreve, Cumberland und Home bei unsrer
Lesewelt und auf unsrer Bühne ein. Die hervorragendste Rolle spielte dabei
der Hamlet; durch ihn hauptsächlich brach Shakespeare sich bei uns Bahn, und
wie- es in unsrer Literatur eine Robinsvnsche, eine Richardsonsche. eine Sterensche
und eine Ossianische Periode gab, so hat dieselbe auch ein Hamlet-Stadium
durchlaufen. Der ganze Shakespeare aber hat sich behauptet. Sein Einfluß
war nicht blos, wie der Einfluß Miltons oder der Essayisten, eine vorüber¬
gehende Phase, sondern er ist seitdem unzertrennlich mit unserm ganzen Poetischen
Schaffen verwachsen und hat unsre Schicksale wie einer der Unsern getheilt.

Gewiß, fast ebenso massenhaft wie aus dem Englischen, wurde aus dem
Französischen, dem Italienischen und dem Spanischen übersetzt. Aber wenn
wir alle Umstände erwägen, so war in diesem krassen literarischen Eklekticismus
und Weltbürgerthum doch der englische Einfluß der am tiefsten eingreifende und
zugleich der am wenigsten nachtheilige. "Im Gegentheil strömte er," wie
unsere Schrift recht bezeichnend sagt, "in diesem Meere tausendfach sich kreu¬
zender Wogen wie ein warmer Golfstrom zu uns herüber und fachte in
unsrer dramatischen Poesie einen freiern männlichen Geist, ein bewußteres Nach¬
denken und eine reinere und natürlichere Sprache an."

Nicht weniger wichtig war die Einwirkung Englands auf die deutsche
Wissenschaft, zunächst auf die Theologie und Philosophie, wobei an den Deis¬
mus zu erinnern ist, dann auf die historischen Disciplinen und andere; nament¬
lich übte es nächst den Alten auf Lessings Reform der Kritik und der Kunst¬
lehre einen bedeutenden Einfluß. Doch ist hier nicht der Ort, darauf ausführ¬
licher einzugehen. Es möge daher genügen, wenn wir nur einen Blick auf die
vorbereitende Einwirkung werfen, durch welche englische Aesthetiker und Kritiker
jener Reform Lessings in Deutschland Bahn machten, und dann die Bedeutung
der englischen Literatur für die Entwickelung der deutschen im Ganzen noch
einmal betrachten.

Der von Gottsched wie von Breitinger aufgestellte oberste Grundsatz der
Kunstlehre, daß sämmtliche Künste in der geschickten Nachahmung der Natur be¬
ständen, war schon von E. A. Schlegel näher untersucht und beschränkt worden
und wurde^von Batteux dahin ausgebildet, daß nicht die Nachahmung der Natur
schlechthin, sondern die Nachahmung der schönen Natur das Wesen der Kunst
ausmache. Diese Theorie wurde in Deutschland vorzüglich j durch Schlegel und


Jahrhunderts wurden nicht nur viele Dramen Shakespeares (z. B. Othello,
1769, Cymbeline, 1772, die Komödie der Irrungen, 1777, Macbeth, der
Kaufmann von Venedig und die gezähmte Widerspenstige', 1783, Maß für
Maß. 1784, Julius Cäsar. 1788. die lustigen Weiber von Windsor. 1793,
und Antonius und Cleopatra, 1796) übersetzt und bearbeitet, sondern zu gleicher
Zeit führte man auch andere englische Dramatiker, wie Farquhar, Cibber,
Steele, Dryden. Lillo, Otway, Congreve, Cumberland und Home bei unsrer
Lesewelt und auf unsrer Bühne ein. Die hervorragendste Rolle spielte dabei
der Hamlet; durch ihn hauptsächlich brach Shakespeare sich bei uns Bahn, und
wie- es in unsrer Literatur eine Robinsvnsche, eine Richardsonsche. eine Sterensche
und eine Ossianische Periode gab, so hat dieselbe auch ein Hamlet-Stadium
durchlaufen. Der ganze Shakespeare aber hat sich behauptet. Sein Einfluß
war nicht blos, wie der Einfluß Miltons oder der Essayisten, eine vorüber¬
gehende Phase, sondern er ist seitdem unzertrennlich mit unserm ganzen Poetischen
Schaffen verwachsen und hat unsre Schicksale wie einer der Unsern getheilt.

Gewiß, fast ebenso massenhaft wie aus dem Englischen, wurde aus dem
Französischen, dem Italienischen und dem Spanischen übersetzt. Aber wenn
wir alle Umstände erwägen, so war in diesem krassen literarischen Eklekticismus
und Weltbürgerthum doch der englische Einfluß der am tiefsten eingreifende und
zugleich der am wenigsten nachtheilige. „Im Gegentheil strömte er," wie
unsere Schrift recht bezeichnend sagt, „in diesem Meere tausendfach sich kreu¬
zender Wogen wie ein warmer Golfstrom zu uns herüber und fachte in
unsrer dramatischen Poesie einen freiern männlichen Geist, ein bewußteres Nach¬
denken und eine reinere und natürlichere Sprache an."

Nicht weniger wichtig war die Einwirkung Englands auf die deutsche
Wissenschaft, zunächst auf die Theologie und Philosophie, wobei an den Deis¬
mus zu erinnern ist, dann auf die historischen Disciplinen und andere; nament¬
lich übte es nächst den Alten auf Lessings Reform der Kritik und der Kunst¬
lehre einen bedeutenden Einfluß. Doch ist hier nicht der Ort, darauf ausführ¬
licher einzugehen. Es möge daher genügen, wenn wir nur einen Blick auf die
vorbereitende Einwirkung werfen, durch welche englische Aesthetiker und Kritiker
jener Reform Lessings in Deutschland Bahn machten, und dann die Bedeutung
der englischen Literatur für die Entwickelung der deutschen im Ganzen noch
einmal betrachten.

Der von Gottsched wie von Breitinger aufgestellte oberste Grundsatz der
Kunstlehre, daß sämmtliche Künste in der geschickten Nachahmung der Natur be¬
ständen, war schon von E. A. Schlegel näher untersucht und beschränkt worden
und wurde^von Batteux dahin ausgebildet, daß nicht die Nachahmung der Natur
schlechthin, sondern die Nachahmung der schönen Natur das Wesen der Kunst
ausmache. Diese Theorie wurde in Deutschland vorzüglich j durch Schlegel und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/255>, abgerufen am 28.09.2024.