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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Zu andern Ergebnissen führte das Studium der Engländer die Schweizer,
obwohl sie theilweise ebenfalls von den Essayisten ausgingen; denn zu diesen
traten bei ihnen noch das religiöse Epos und die Balladenpoesie, welche letztere
zu einer Neugestaltung unserer Dichtung im volksthümlichen Sinne wesentlich
beitrug. Bodmers Uebersetzung des miltonschen Paradieses ist bereits erwählt!.
Später ging er an eine Übertragung des "Hudibras", an Popcs "Dunciadc"
und zuletzt an die altenglischen Balladen, welche er laut der Borrede "im
Silbenmaß der altschwäbischen Minnesinger" wieder gab.

In Deutschland erging es inzwischen dem spectator wie dem Robinson,
in allen deutschen Städten, vorzüglich in Leipzig und Hamburg, tauchten die so¬
genannten "sittlichen" Wochenschriften unter den versckicdensten Titeln, wie "der
Vernünftler", "der Patriot", "der deutsche Sokrates", "der Druide" u. d. auf,
und in Gottscheds "neuesten aus der anmuthigen Gelehrsamkeit" werden deren
während des Zeitraumes von 1713 bis 1761 nicht weniger als 182 aufgezählt.

Hierzu trat dann die Nachtgedanken-Poesie und der Familienroman.
Uoungs Nachtgedanken wurden von Ebert in wiederholten Ausgaben der
deutschen Lesewelt zugänglich gemacht. Klopstock sang den Verfasser derselben in
einer Ode an, Cramer erklärte denselben für ein Genie, welches, weit über
Milton stehend, unter allen Menschen am nächsten an den Geist Davids und
der Propheten grenze, und gegen das Ende der fünfziger Jahre erscholl bei
uns ein ganzer Chor dieser Sänger der Schwermuth, dieser Nachtwandler und
schwarzen Propheten. Die Verpflanzung der englischen Familienromane nach
Deutschland begann um die Mitte des Jahrhunderts mit der Übersetzung von
Fieldings "Joseph Andrews", der später der "Tom Jones" und die "Amalie"
folgten. Noch größern Anklang fand, namentlich bei der Frauenwelt, Richardson,
dessen Werte von den besten Schriftstellern des damaligen Deutschland übersetzt wur¬
den und dessen "Pcnnela" die Mutter von Gellerts "Schwedischer Gräfin" wurde.
Andere Nachahmungen blieben nicht aus, und man hielt es, wie Lessing, der
Richardson ebenfalls hoch schätzte, sich lebhaft beklagt, nun, seit "Richardson
und Fielding ein gutes Borurtheil für die englischen Romane erweckt, für er¬
laubt, uns allen Schund aus dieser Sprache aufzudrängen." Erst Muscius,
welcher in seinem Grandison dem Zweiten um 1760 die thörichten Vergötterer
Richardsons verspottete , machte dieser Schwärmerei ein Ende; aber nicht sobald
war dies geschehen, als an Richardsons Stelle Sterne eine Zeit lang auf den
Thron gehoben wurde. "Tristram Shandy" und die "Empfindsame Reise" wurden
vielfältig übersetzt, z. B. von Bode, und noch öfter nachgeahmt, z. B. von
Hermes in "Sophiens Reise" und von I. G. Jacobi in seiner Sommerreise
und seiner Winterreise, doch kamen diese Schüler Sternes dessen Meisterwerken,
wie Koberstein sehr richtig bemerkt, größtentheils nicht viel näher als die aller¬
meisten Originalgenies den dramatischen Schöpfungen Shakespeares.


Zu andern Ergebnissen führte das Studium der Engländer die Schweizer,
obwohl sie theilweise ebenfalls von den Essayisten ausgingen; denn zu diesen
traten bei ihnen noch das religiöse Epos und die Balladenpoesie, welche letztere
zu einer Neugestaltung unserer Dichtung im volksthümlichen Sinne wesentlich
beitrug. Bodmers Uebersetzung des miltonschen Paradieses ist bereits erwählt!.
Später ging er an eine Übertragung des „Hudibras", an Popcs „Dunciadc"
und zuletzt an die altenglischen Balladen, welche er laut der Borrede „im
Silbenmaß der altschwäbischen Minnesinger" wieder gab.

In Deutschland erging es inzwischen dem spectator wie dem Robinson,
in allen deutschen Städten, vorzüglich in Leipzig und Hamburg, tauchten die so¬
genannten „sittlichen" Wochenschriften unter den versckicdensten Titeln, wie „der
Vernünftler", „der Patriot", „der deutsche Sokrates", „der Druide" u. d. auf,
und in Gottscheds „neuesten aus der anmuthigen Gelehrsamkeit" werden deren
während des Zeitraumes von 1713 bis 1761 nicht weniger als 182 aufgezählt.

Hierzu trat dann die Nachtgedanken-Poesie und der Familienroman.
Uoungs Nachtgedanken wurden von Ebert in wiederholten Ausgaben der
deutschen Lesewelt zugänglich gemacht. Klopstock sang den Verfasser derselben in
einer Ode an, Cramer erklärte denselben für ein Genie, welches, weit über
Milton stehend, unter allen Menschen am nächsten an den Geist Davids und
der Propheten grenze, und gegen das Ende der fünfziger Jahre erscholl bei
uns ein ganzer Chor dieser Sänger der Schwermuth, dieser Nachtwandler und
schwarzen Propheten. Die Verpflanzung der englischen Familienromane nach
Deutschland begann um die Mitte des Jahrhunderts mit der Übersetzung von
Fieldings „Joseph Andrews", der später der „Tom Jones" und die „Amalie"
folgten. Noch größern Anklang fand, namentlich bei der Frauenwelt, Richardson,
dessen Werte von den besten Schriftstellern des damaligen Deutschland übersetzt wur¬
den und dessen „Pcnnela" die Mutter von Gellerts „Schwedischer Gräfin" wurde.
Andere Nachahmungen blieben nicht aus, und man hielt es, wie Lessing, der
Richardson ebenfalls hoch schätzte, sich lebhaft beklagt, nun, seit „Richardson
und Fielding ein gutes Borurtheil für die englischen Romane erweckt, für er¬
laubt, uns allen Schund aus dieser Sprache aufzudrängen." Erst Muscius,
welcher in seinem Grandison dem Zweiten um 1760 die thörichten Vergötterer
Richardsons verspottete , machte dieser Schwärmerei ein Ende; aber nicht sobald
war dies geschehen, als an Richardsons Stelle Sterne eine Zeit lang auf den
Thron gehoben wurde. „Tristram Shandy" und die „Empfindsame Reise" wurden
vielfältig übersetzt, z. B. von Bode, und noch öfter nachgeahmt, z. B. von
Hermes in „Sophiens Reise" und von I. G. Jacobi in seiner Sommerreise
und seiner Winterreise, doch kamen diese Schüler Sternes dessen Meisterwerken,
wie Koberstein sehr richtig bemerkt, größtentheils nicht viel näher als die aller¬
meisten Originalgenies den dramatischen Schöpfungen Shakespeares.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/253>, abgerufen am 28.09.2024.