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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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dessen Unhaltbarl'an für die Tellenbegebenheit durch Kvpps Untersuchungen dar-
gethan worden ist, indem ein Landvogt Hermann Geßler weder zu Uri noch
zu Küßnach je regiert hat und weder vor noch nach der Tellenbegebenheit ur¬
kundlich in den Waldstätten nachgewiesen werden kann.

Wir gehen über zu dem anderen dramatischen Zwillingsstücke, das über
Tell die französische Schweiz im vorigen Jahrhundert hervorgebracht hat.

Im Jahre 1767 erschien, gedruckt zu Neuenburg und zu Paris verlegt bei
Vallat 1a LKaxells, unter Genehmigung des französischen Staatskanzlers:
(Fuillauwö 1rg.Male Mi- ^Virt. Rara I." Nierro. Dieser Tell war be¬
reits ein Jahr zuvor zu Paris durch die königlichen Schauspieler aufgeführt
worden; "den mit anzuschauen, für einen ehrlichen Schweizer ein wahrer Bu߬
artikel ist," heißt es darüber in einem damaligen Briefe, gedruckt in der Monats¬
schrift Isis, Zürich 1805. 1. 213.

Die Personen des Stückes sind: Geßler, Statthalter von Uri. Ulrich sein
Vertrauter. Die vier verschwornen Schweizer: Werner. Melchthal, Fürst und
Tell. Cleofa ist Teils Gemahlin, sein Sohn spielt eine stumme Rolle. Die
Scene ist zugleich im Gebirge, in Altorf und am flüelener Seegestade.
Es ist ein fünfactiges Alexandrinerstück, dem aller dramatische Zuschnitt fehlt,
nicht minder schwach ist Personenzeichnung, Handlung und Verwicklung. Fort¬
schritt der Begebenheit und Zweck. Um so schwieriger fällt es, in Kürze einen
Auszug davon zu geben, der nicht ganz überflüssig erscheinen und doch die Scenen¬
folge einhalten soll.

I. Act. Melchthal. auf Besuch bei Tell zu Altorf. erzählt diesem das Mi߬
geschick, das er sich und seinem alten Vater zu Uri bei dein jüngsten Zusammen¬
treffen mit Geßlers Trabanten zugezogen habe. Tell beschwört den Freund,
nicht blos den mißhandelten Vater zu rächen, sondern auch das Urnerland zu
befreien, er ruft seine l'eiden Mitverschwornen herbei. Fürst und Werner, und
so leisten sich die Viere den Eid gegen den Despoten Albrecht und dessen
Landvogt, Tell schärft den Abgehenden ein. ihre Weiber ja nicht in ein un¬
nützes Vertrauen über den Plan zu ziehen und macht davon gegen seine eigne
Cleofa sogleich eine sehr unhöfliche Anwendung.

II. Act. Geßler macht seinem Vertrauten Ulrich eine geschichtliche Aus¬
einandersetzung in aristokratischem Stil. Er hat Anzeichen, daß eine grobe
Bauernbcmde von Unzufriedenen sich um den Flecken Altorf sammele. Allein
diese jetzigen Schweizer sind nicht mehr jenes Volk der Helvetier. das seiner
Freiheit zum Opfer alle seine Ortschaften niederlncmnte und die Heimath ver¬
ließ, einem Cäsar zum Trotze, Dieses schwächliche Völklein bedarf eines
besondern Schreckmittels, um zu gehorsamen, dies wird der Vvgtshut sein, den
Ulrich von Stund an in Altorf auf die Stange pflanzen soll. Da Ulrich
weg ist, tritt dem Vogt ein Unbekannter in den Weg, Melchthal, der die Freunde


dessen Unhaltbarl'an für die Tellenbegebenheit durch Kvpps Untersuchungen dar-
gethan worden ist, indem ein Landvogt Hermann Geßler weder zu Uri noch
zu Küßnach je regiert hat und weder vor noch nach der Tellenbegebenheit ur¬
kundlich in den Waldstätten nachgewiesen werden kann.

Wir gehen über zu dem anderen dramatischen Zwillingsstücke, das über
Tell die französische Schweiz im vorigen Jahrhundert hervorgebracht hat.

Im Jahre 1767 erschien, gedruckt zu Neuenburg und zu Paris verlegt bei
Vallat 1a LKaxells, unter Genehmigung des französischen Staatskanzlers:
(Fuillauwö 1rg.Male Mi- ^Virt. Rara I.« Nierro. Dieser Tell war be¬
reits ein Jahr zuvor zu Paris durch die königlichen Schauspieler aufgeführt
worden; „den mit anzuschauen, für einen ehrlichen Schweizer ein wahrer Bu߬
artikel ist," heißt es darüber in einem damaligen Briefe, gedruckt in der Monats¬
schrift Isis, Zürich 1805. 1. 213.

Die Personen des Stückes sind: Geßler, Statthalter von Uri. Ulrich sein
Vertrauter. Die vier verschwornen Schweizer: Werner. Melchthal, Fürst und
Tell. Cleofa ist Teils Gemahlin, sein Sohn spielt eine stumme Rolle. Die
Scene ist zugleich im Gebirge, in Altorf und am flüelener Seegestade.
Es ist ein fünfactiges Alexandrinerstück, dem aller dramatische Zuschnitt fehlt,
nicht minder schwach ist Personenzeichnung, Handlung und Verwicklung. Fort¬
schritt der Begebenheit und Zweck. Um so schwieriger fällt es, in Kürze einen
Auszug davon zu geben, der nicht ganz überflüssig erscheinen und doch die Scenen¬
folge einhalten soll.

I. Act. Melchthal. auf Besuch bei Tell zu Altorf. erzählt diesem das Mi߬
geschick, das er sich und seinem alten Vater zu Uri bei dein jüngsten Zusammen¬
treffen mit Geßlers Trabanten zugezogen habe. Tell beschwört den Freund,
nicht blos den mißhandelten Vater zu rächen, sondern auch das Urnerland zu
befreien, er ruft seine l'eiden Mitverschwornen herbei. Fürst und Werner, und
so leisten sich die Viere den Eid gegen den Despoten Albrecht und dessen
Landvogt, Tell schärft den Abgehenden ein. ihre Weiber ja nicht in ein un¬
nützes Vertrauen über den Plan zu ziehen und macht davon gegen seine eigne
Cleofa sogleich eine sehr unhöfliche Anwendung.

II. Act. Geßler macht seinem Vertrauten Ulrich eine geschichtliche Aus¬
einandersetzung in aristokratischem Stil. Er hat Anzeichen, daß eine grobe
Bauernbcmde von Unzufriedenen sich um den Flecken Altorf sammele. Allein
diese jetzigen Schweizer sind nicht mehr jenes Volk der Helvetier. das seiner
Freiheit zum Opfer alle seine Ortschaften niederlncmnte und die Heimath ver¬
ließ, einem Cäsar zum Trotze, Dieses schwächliche Völklein bedarf eines
besondern Schreckmittels, um zu gehorsamen, dies wird der Vvgtshut sein, den
Ulrich von Stund an in Altorf auf die Stange pflanzen soll. Da Ulrich
weg ist, tritt dem Vogt ein Unbekannter in den Weg, Melchthal, der die Freunde


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[0239] dessen Unhaltbarl'an für die Tellenbegebenheit durch Kvpps Untersuchungen dar- gethan worden ist, indem ein Landvogt Hermann Geßler weder zu Uri noch zu Küßnach je regiert hat und weder vor noch nach der Tellenbegebenheit ur¬ kundlich in den Waldstätten nachgewiesen werden kann. Wir gehen über zu dem anderen dramatischen Zwillingsstücke, das über Tell die französische Schweiz im vorigen Jahrhundert hervorgebracht hat. Im Jahre 1767 erschien, gedruckt zu Neuenburg und zu Paris verlegt bei Vallat 1a LKaxells, unter Genehmigung des französischen Staatskanzlers: (Fuillauwö 1rg.Male Mi- ^Virt. Rara I.« Nierro. Dieser Tell war be¬ reits ein Jahr zuvor zu Paris durch die königlichen Schauspieler aufgeführt worden; „den mit anzuschauen, für einen ehrlichen Schweizer ein wahrer Bu߬ artikel ist," heißt es darüber in einem damaligen Briefe, gedruckt in der Monats¬ schrift Isis, Zürich 1805. 1. 213. Die Personen des Stückes sind: Geßler, Statthalter von Uri. Ulrich sein Vertrauter. Die vier verschwornen Schweizer: Werner. Melchthal, Fürst und Tell. Cleofa ist Teils Gemahlin, sein Sohn spielt eine stumme Rolle. Die Scene ist zugleich im Gebirge, in Altorf und am flüelener Seegestade. Es ist ein fünfactiges Alexandrinerstück, dem aller dramatische Zuschnitt fehlt, nicht minder schwach ist Personenzeichnung, Handlung und Verwicklung. Fort¬ schritt der Begebenheit und Zweck. Um so schwieriger fällt es, in Kürze einen Auszug davon zu geben, der nicht ganz überflüssig erscheinen und doch die Scenen¬ folge einhalten soll. I. Act. Melchthal. auf Besuch bei Tell zu Altorf. erzählt diesem das Mi߬ geschick, das er sich und seinem alten Vater zu Uri bei dein jüngsten Zusammen¬ treffen mit Geßlers Trabanten zugezogen habe. Tell beschwört den Freund, nicht blos den mißhandelten Vater zu rächen, sondern auch das Urnerland zu befreien, er ruft seine l'eiden Mitverschwornen herbei. Fürst und Werner, und so leisten sich die Viere den Eid gegen den Despoten Albrecht und dessen Landvogt, Tell schärft den Abgehenden ein. ihre Weiber ja nicht in ein un¬ nützes Vertrauen über den Plan zu ziehen und macht davon gegen seine eigne Cleofa sogleich eine sehr unhöfliche Anwendung. II. Act. Geßler macht seinem Vertrauten Ulrich eine geschichtliche Aus¬ einandersetzung in aristokratischem Stil. Er hat Anzeichen, daß eine grobe Bauernbcmde von Unzufriedenen sich um den Flecken Altorf sammele. Allein diese jetzigen Schweizer sind nicht mehr jenes Volk der Helvetier. das seiner Freiheit zum Opfer alle seine Ortschaften niederlncmnte und die Heimath ver¬ ließ, einem Cäsar zum Trotze, Dieses schwächliche Völklein bedarf eines besondern Schreckmittels, um zu gehorsamen, dies wird der Vvgtshut sein, den Ulrich von Stund an in Altorf auf die Stange pflanzen soll. Da Ulrich weg ist, tritt dem Vogt ein Unbekannter in den Weg, Melchthal, der die Freunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/239>, abgerufen am 28.09.2024.