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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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und die Anerkennung erworben, es war fast mehr als sie verdiente, und noch
für ihr letztes Votum am Bunde (den 21. Juli, die Aufforderung an den Prinzen
von Augustenburg betreffend), wo sie nicht an der Seite der "befreundeten"
Regierungen, sondern unter der Majorität zu finden war, ist sie glimpflich genug
von der Kammer behandelt worden. Daß sie wirkliches Vertrauen genösse, dazu
fehlt viel, aber sie läßt doch mit sich reden, sie hat gezeigt, daß sie sich nach
den Umständen richtet.

Was das Land vom neuen König erwartet, hat die zweite Kammer i"
ihrer Autwortsadresse auf die Thronrede ausgesprochen.

Die Verfassungsurkunde schreibt vor, daß bei jeder Regierungsveränderung
die Stände innerhalb der ersten vier Wochen versammelt werden. Der Hul^
digungseid wird dem Fürsten erst abgelegt, wenn er in einer den Ständen
auszustellenden Urkunde die unverbrüchliche Festhaltung der Verfassung zugesichert
hat. Am 2S. Juni war König Wilhelm gestorben. Am 12. Juli wurde die
Ständeversammlung durch König Karl mit einer Thronrede eröffne! und am
26. Juli wieder vertagt. Ausgefüllt war die kurze Session vornehmlich durch
die Berathung der Antwortsadressen, die in der zweiten Kammer manches
Interessante bot.

Die Rechte und die Linke stehen sich in der Kammer, in der noch 23 Pri-
vilegirte. Ritter und Prälaten, ihren Sitz haben, annähernd gleich. Doch gaben
einige Nachwahlen der Linken, die wenigstens in inneren Fragen meist zu^
sammenhält, das Uebergewicht. Es gelang ihr, die Adreßcvmmisfivn in ihrem
Sinn zu besetzen, Holder war der Referent, und er entledigte sich seiner Aufgabe
in höchst anerkennungswerther Weise. In freimüthiger Sprache waren die
Desiderien des Landes aufgezählt und dem Regenten ans Herz gelegt. Dabei
war die Form so kalt-und maßvoll, daß die Rechte sich in ihrem Project eines
Gegencntwurfs durchkreuzt sah, nur wenige Angriffspunkte fand und sich in
verbissenem Aerger auf kleinliche Ausstellungen werfen mußte; daß die Adresse
aus demselben Grund auf den Beifall der extremen Linken, jener kleinen skandal-
süchtigen Faction verzichten mußte, welche im "Beobachter" seit einem halben
Jahr ihre wenig beachtete Lärmtrommel rührt, ist selbstverständlich. Der
Gang der Berathung und die schließliche Annahme der Adresse, die fast ein¬
stimmig erfolgte, war ein entschiedener Triumph Hölders und seiner politischen
Freunde.

Es waren der Gravamina manche zu verzeichnen. Verfassungsmäßige Rege¬
lung der Preßverhältnisse und des Vereinswesens, Entwickelung des Eisenbahn¬
netzes, Vereinfachung des öffentlichen Dienstes, Beschleunigung der gesetzgebe¬
rischen Arbeiten, insbesondere Durchführung des öffentlichen und mündlichen
Rechtsversahrens, Weiterentwickelung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden
und Körperschaften, endlich -- mit besonderer Betonung -- zeitgemäße Reform


Meiijbotcn III. 1804, M

und die Anerkennung erworben, es war fast mehr als sie verdiente, und noch
für ihr letztes Votum am Bunde (den 21. Juli, die Aufforderung an den Prinzen
von Augustenburg betreffend), wo sie nicht an der Seite der „befreundeten"
Regierungen, sondern unter der Majorität zu finden war, ist sie glimpflich genug
von der Kammer behandelt worden. Daß sie wirkliches Vertrauen genösse, dazu
fehlt viel, aber sie läßt doch mit sich reden, sie hat gezeigt, daß sie sich nach
den Umständen richtet.

Was das Land vom neuen König erwartet, hat die zweite Kammer i»
ihrer Autwortsadresse auf die Thronrede ausgesprochen.

Die Verfassungsurkunde schreibt vor, daß bei jeder Regierungsveränderung
die Stände innerhalb der ersten vier Wochen versammelt werden. Der Hul^
digungseid wird dem Fürsten erst abgelegt, wenn er in einer den Ständen
auszustellenden Urkunde die unverbrüchliche Festhaltung der Verfassung zugesichert
hat. Am 2S. Juni war König Wilhelm gestorben. Am 12. Juli wurde die
Ständeversammlung durch König Karl mit einer Thronrede eröffne! und am
26. Juli wieder vertagt. Ausgefüllt war die kurze Session vornehmlich durch
die Berathung der Antwortsadressen, die in der zweiten Kammer manches
Interessante bot.

Die Rechte und die Linke stehen sich in der Kammer, in der noch 23 Pri-
vilegirte. Ritter und Prälaten, ihren Sitz haben, annähernd gleich. Doch gaben
einige Nachwahlen der Linken, die wenigstens in inneren Fragen meist zu^
sammenhält, das Uebergewicht. Es gelang ihr, die Adreßcvmmisfivn in ihrem
Sinn zu besetzen, Holder war der Referent, und er entledigte sich seiner Aufgabe
in höchst anerkennungswerther Weise. In freimüthiger Sprache waren die
Desiderien des Landes aufgezählt und dem Regenten ans Herz gelegt. Dabei
war die Form so kalt-und maßvoll, daß die Rechte sich in ihrem Project eines
Gegencntwurfs durchkreuzt sah, nur wenige Angriffspunkte fand und sich in
verbissenem Aerger auf kleinliche Ausstellungen werfen mußte; daß die Adresse
aus demselben Grund auf den Beifall der extremen Linken, jener kleinen skandal-
süchtigen Faction verzichten mußte, welche im „Beobachter" seit einem halben
Jahr ihre wenig beachtete Lärmtrommel rührt, ist selbstverständlich. Der
Gang der Berathung und die schließliche Annahme der Adresse, die fast ein¬
stimmig erfolgte, war ein entschiedener Triumph Hölders und seiner politischen
Freunde.

Es waren der Gravamina manche zu verzeichnen. Verfassungsmäßige Rege¬
lung der Preßverhältnisse und des Vereinswesens, Entwickelung des Eisenbahn¬
netzes, Vereinfachung des öffentlichen Dienstes, Beschleunigung der gesetzgebe¬
rischen Arbeiten, insbesondere Durchführung des öffentlichen und mündlichen
Rechtsversahrens, Weiterentwickelung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden
und Körperschaften, endlich — mit besonderer Betonung — zeitgemäße Reform


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/225>, abgerufen am 28.09.2024.