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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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überall nur der todte Buchstabe und die leere Form zur Geltung kommen.
Man hatte 1859 mit Recht getadelt, daß die Oestreichs von dem Bajonnet nur
selten und in ungenügendem Maße Gebrauch gemacht hatten. Die Führer
hatten die überwiegende Körperkraft des östreichischen Soldaten nicht zu benutzen
verstanden und sich auf das Feuer desselben verlassen, wo es theils wegen des
Terrains, theils wegen der Unbekanntschaft der Mannschaft mit den neuen
Präcisionsgewehren ohne bedeutende Wirkung bleiben mußte, daher denn fast
regelmäßig die östreichischen Truppen von den in Massen über sie herfallenden
Franzosen über den Hausen gerannt wurden, ehe sie nur zur Besinnung ge¬
langt waren. Nun wurde der beständige kräftige Gebrauch des Bajonnets
gepredigt und auf allen Exercirplätzen geübt, und den Schluß jeder Uebung,
dieselbe mochte welch immer für einen Gegenstand betreffen, mühte ein Ba-
jonnetangriff mit obligatem "Hurrcch" bilden. Solche eindringliche Lehren blie¬
ben nicht unbeachtet, die östreichischen Soldaten und ihre Offiziere glaubten
aber von jetzt an unter allen Umständen und gegen jeden Feind immer nur
mit dem Bajonnet losstürzen zu müssen, was in dem gegenwärtigen Falle zwar
heroisch, aber durchaus nicht klug war, da die Däne", welche mehr passiven als
activen Muth besitzen, in der Benutzung der vorhandenen natürlichen Deckungs-
mittel besonders gewandt sind. Auch die Preußen wissen, wie Düppel und
Alsen gezeigt haben, das Bajonnet vortrefflich zu brauchen, aber sie waren so
klug, den Gegner durch ein sicheres und wohlgenährtes Feuer zuvor mürbe zu
machen, und erlangten dann weit vollständiger und mit verhältnißmäßig gerin¬
gen Verlusten dasselbe, was die Oestreicher nur theilweise und mit großen
Opfern erreichten.

Freilich gereicht der östreichischen Infanterie zur Entschuldigung, daß der
größte Theil ihrer Gewehre gar nicht losging, weil alle Eisentheile dick ver¬
rostet und Ladung wie Zündhütchen durch die Feuchtigkeit verdorben waren.
Indeß lag darin wieder ein bitterer Vvttvurf. Die Führer der Oestreicher,
bei denen in der Regel der äußere Glanz dem wirklich Nützlichen, die Neben¬
dinge der Hauptsache vorgezogen werden, hatten auch hier ihre Gewohnheit
nicht vergessen und eher auf alles Andere, als auf die Anleitung zur zweck¬
mäßigen Behandlung und Conservirung der kostspieligen Präcisionsgcwchre ihr
Augenmerk gerichtet, daher die Soldaten, von der Strenge des Friedensgama¬
schendienstes befreit, sich nun in allem gehen ließen und sich um ihre Ge¬
wehre so wenig kümmerten, daß es weit vortheilhafter gewesen wäre, wenn
man sie bei ihrem Abmärsche mit einfachen Spießen bewaffnet hätte, da die¬
selben jedenfalls länger, leichter und minder kostspielig gewesen und auch die
Patrontaschen, Bajvnnetscheiden und Ladestocke entbehrlich geworden wären.

Die Jäger ließen, vorwärts stürmend, wobei sie einen Knick nach dem
andern nehmen mußten, binnen einer Stunde fast den sechsten Theil ihres Ba-


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überall nur der todte Buchstabe und die leere Form zur Geltung kommen.
Man hatte 1859 mit Recht getadelt, daß die Oestreichs von dem Bajonnet nur
selten und in ungenügendem Maße Gebrauch gemacht hatten. Die Führer
hatten die überwiegende Körperkraft des östreichischen Soldaten nicht zu benutzen
verstanden und sich auf das Feuer desselben verlassen, wo es theils wegen des
Terrains, theils wegen der Unbekanntschaft der Mannschaft mit den neuen
Präcisionsgewehren ohne bedeutende Wirkung bleiben mußte, daher denn fast
regelmäßig die östreichischen Truppen von den in Massen über sie herfallenden
Franzosen über den Hausen gerannt wurden, ehe sie nur zur Besinnung ge¬
langt waren. Nun wurde der beständige kräftige Gebrauch des Bajonnets
gepredigt und auf allen Exercirplätzen geübt, und den Schluß jeder Uebung,
dieselbe mochte welch immer für einen Gegenstand betreffen, mühte ein Ba-
jonnetangriff mit obligatem „Hurrcch" bilden. Solche eindringliche Lehren blie¬
ben nicht unbeachtet, die östreichischen Soldaten und ihre Offiziere glaubten
aber von jetzt an unter allen Umständen und gegen jeden Feind immer nur
mit dem Bajonnet losstürzen zu müssen, was in dem gegenwärtigen Falle zwar
heroisch, aber durchaus nicht klug war, da die Däne», welche mehr passiven als
activen Muth besitzen, in der Benutzung der vorhandenen natürlichen Deckungs-
mittel besonders gewandt sind. Auch die Preußen wissen, wie Düppel und
Alsen gezeigt haben, das Bajonnet vortrefflich zu brauchen, aber sie waren so
klug, den Gegner durch ein sicheres und wohlgenährtes Feuer zuvor mürbe zu
machen, und erlangten dann weit vollständiger und mit verhältnißmäßig gerin¬
gen Verlusten dasselbe, was die Oestreicher nur theilweise und mit großen
Opfern erreichten.

Freilich gereicht der östreichischen Infanterie zur Entschuldigung, daß der
größte Theil ihrer Gewehre gar nicht losging, weil alle Eisentheile dick ver¬
rostet und Ladung wie Zündhütchen durch die Feuchtigkeit verdorben waren.
Indeß lag darin wieder ein bitterer Vvttvurf. Die Führer der Oestreicher,
bei denen in der Regel der äußere Glanz dem wirklich Nützlichen, die Neben¬
dinge der Hauptsache vorgezogen werden, hatten auch hier ihre Gewohnheit
nicht vergessen und eher auf alles Andere, als auf die Anleitung zur zweck¬
mäßigen Behandlung und Conservirung der kostspieligen Präcisionsgcwchre ihr
Augenmerk gerichtet, daher die Soldaten, von der Strenge des Friedensgama¬
schendienstes befreit, sich nun in allem gehen ließen und sich um ihre Ge¬
wehre so wenig kümmerten, daß es weit vortheilhafter gewesen wäre, wenn
man sie bei ihrem Abmärsche mit einfachen Spießen bewaffnet hätte, da die¬
selben jedenfalls länger, leichter und minder kostspielig gewesen und auch die
Patrontaschen, Bajvnnetscheiden und Ladestocke entbehrlich geworden wären.

Die Jäger ließen, vorwärts stürmend, wobei sie einen Knick nach dem
andern nehmen mußten, binnen einer Stunde fast den sechsten Theil ihres Ba-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/219>, abgerufen am 20.10.2024.