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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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zweierlei Vögte in einer Handlung vorzufinden. Die jetzt herrschende Vorstellung
verlangt nicht mehr als einen Tell und einen Geßler, zu jenem seine drei
Bundesbrüder oder Eidgenossen, zu diesem etwa noch seine Landsknechte. Nach
dieser allgemein gewordenen Personcnzählung verfährt nun ursprünglich auch
Ruoffs Stück; wenn es später von ihr abweicht, so geschieht dies aus histo¬
rischen Gründen, die für die Schweizergeschichte sehr belangreich sind.

Drei Opfer des landvögtischen Uebermuthes treten im ersten Act auf,
jeder aus einer andern Waldstatt. Staufacher, aus Steinen in Schwyz, ent¬
flieht vor dem ungenannten Vogte zu Schwyz, dessen Sitz entweder auf
Schwanau oder zu Küßnach gedacht wird.

Erni von Mclchthal aus Unterwalden entflieht vor dem Vogt Landenberg,

Tell von Bürgem in Uri, der auf diese beiden Flüchtlinge zu Altorf trifft
und mit ihnen sympathisirt, hat alsbald das gleiche Schicksal, vor Geßler
flüchtig zu werden.

Es läßt sich erweisen, daß bis zum Schluß des sechzehnten Jahrhunderts
nur diese drei Namen als die der drei Teilen oder Gründer der Schweizcrfreiheit
amtlich gegolten haben. Der Graveur Stampfer aus Zürich, gestorben 1383, giebt
auf dcmIvers seiner schweizerischen Denkmünze die Wappen der XIII. Eantone
und der VII. zugewandten Orte unter dem Mittelbilde des eidgenössischen
Kreuzes. Auf dem Revers lautet die Umschrift: "Wilhelm Tell von Vre,
Stouffacber von Schwytz, Erni von Unterwald. Anfang deß Puntz im jar
Christi 1296." Ein Exemplar dieses Schauthalers liegt uns beim Niederschreiben
dieser Worte vor, es ist im Besitze des Herrn Nothpletz, Bahnhvfinspectors
zu Aarau und Mitglieds der Aargauischen Histor. Gesellschaft. Dieselbe Zählungs-
weise und Namengebung der.drei Bundesgenossen, wie auf diesem unter
hoheitlicher Uebereinkunft geprägten Bundesthaler, findet sich auch im ersten Act
des ruoffschen Stückes und stützt sich dabei eingcstandner Maßen auf das Tellcn-
spiel aus Uri, welches von Alters her oft und noch bis zum Jahre 1765 zu
Altorf unter obrigkeitlicher Erlaubniß aufgeführt worden ist. Wie auffallend
aber ist es nun, daß jener Thaler und dieses urner Tellenspicl gerade den
Namen des Walter Fürst aus Uri noch nicht kennen, ohne den die nach¬
maligen Erzählungen der Bundesgcschichte und der Schillersche Tell nicht bestehen
können?

Vorerst ist die alte Dreizahl der Eidgenossen angemessen der Dreizahl der
Vögte, gegen die sie sich empören.

Geßler, der Erbauer von Zwing-Uri, fällt durch Teils Pfeil.

Wolfenschießen auf dem Noßberg in Nidwalden, wird durch Kuno ab
Altzellen (genannt Baumgarten) im Bad erschlagen.

Landenberg zu Tamm in Unterwalden wird auf seinem Schlosse über¬
rumpelt, schwört Urfehde und geht flüchtig.


zweierlei Vögte in einer Handlung vorzufinden. Die jetzt herrschende Vorstellung
verlangt nicht mehr als einen Tell und einen Geßler, zu jenem seine drei
Bundesbrüder oder Eidgenossen, zu diesem etwa noch seine Landsknechte. Nach
dieser allgemein gewordenen Personcnzählung verfährt nun ursprünglich auch
Ruoffs Stück; wenn es später von ihr abweicht, so geschieht dies aus histo¬
rischen Gründen, die für die Schweizergeschichte sehr belangreich sind.

Drei Opfer des landvögtischen Uebermuthes treten im ersten Act auf,
jeder aus einer andern Waldstatt. Staufacher, aus Steinen in Schwyz, ent¬
flieht vor dem ungenannten Vogte zu Schwyz, dessen Sitz entweder auf
Schwanau oder zu Küßnach gedacht wird.

Erni von Mclchthal aus Unterwalden entflieht vor dem Vogt Landenberg,

Tell von Bürgem in Uri, der auf diese beiden Flüchtlinge zu Altorf trifft
und mit ihnen sympathisirt, hat alsbald das gleiche Schicksal, vor Geßler
flüchtig zu werden.

Es läßt sich erweisen, daß bis zum Schluß des sechzehnten Jahrhunderts
nur diese drei Namen als die der drei Teilen oder Gründer der Schweizcrfreiheit
amtlich gegolten haben. Der Graveur Stampfer aus Zürich, gestorben 1383, giebt
auf dcmIvers seiner schweizerischen Denkmünze die Wappen der XIII. Eantone
und der VII. zugewandten Orte unter dem Mittelbilde des eidgenössischen
Kreuzes. Auf dem Revers lautet die Umschrift: „Wilhelm Tell von Vre,
Stouffacber von Schwytz, Erni von Unterwald. Anfang deß Puntz im jar
Christi 1296." Ein Exemplar dieses Schauthalers liegt uns beim Niederschreiben
dieser Worte vor, es ist im Besitze des Herrn Nothpletz, Bahnhvfinspectors
zu Aarau und Mitglieds der Aargauischen Histor. Gesellschaft. Dieselbe Zählungs-
weise und Namengebung der.drei Bundesgenossen, wie auf diesem unter
hoheitlicher Uebereinkunft geprägten Bundesthaler, findet sich auch im ersten Act
des ruoffschen Stückes und stützt sich dabei eingcstandner Maßen auf das Tellcn-
spiel aus Uri, welches von Alters her oft und noch bis zum Jahre 1765 zu
Altorf unter obrigkeitlicher Erlaubniß aufgeführt worden ist. Wie auffallend
aber ist es nun, daß jener Thaler und dieses urner Tellenspicl gerade den
Namen des Walter Fürst aus Uri noch nicht kennen, ohne den die nach¬
maligen Erzählungen der Bundesgcschichte und der Schillersche Tell nicht bestehen
können?

Vorerst ist die alte Dreizahl der Eidgenossen angemessen der Dreizahl der
Vögte, gegen die sie sich empören.

Geßler, der Erbauer von Zwing-Uri, fällt durch Teils Pfeil.

Wolfenschießen auf dem Noßberg in Nidwalden, wird durch Kuno ab
Altzellen (genannt Baumgarten) im Bad erschlagen.

Landenberg zu Tamm in Unterwalden wird auf seinem Schlosse über¬
rumpelt, schwört Urfehde und geht flüchtig.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/202>, abgerufen am 18.06.2024.