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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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mayr und die östreichischen Truppen, wenige Ausreißer ausgenommen, hatten
es verlassen, die Behörden waren machtlos, die Landstiirmer trunken von ihrem
Siege. Nichts war natürlicher, als daß jetzt ein Bauer an die Spitze trat,
nur ein solcher entsprach dem Geschmacke der rohen Stutzenträger, die stets
vom Todtschläger der "Herren" sprachen, und nicht minder jenem der Geist¬
lichen, die allein noch Ansehen und Einfluß behielten. Hofer hatte sich schon
bei der letzten Wiederaufnahme der Feindseligkeiten auf Eingebung des fana¬
tischen Kolb mit dem Gedanken befreundet, "so lang es Gott geliebt", den
Grafen von Tirol zu spielen; nur seine Flucht hinderte ihn an der Ausführung
dieses Vorhabens, die Landstürmer erkannten ihn aber als obersten Führer
bereits zur Zeit an, als er sie zum Kampfe aufrief und auf den Platz der
Entscheidung beorderte. Nach seinem Einzug in Innsbruck am 19. August nahm
er den Titel eines "Obercommandanten von Tirol" an, das erste Schriftstück,
das er als solcher unterzeichnete, war eine offene Ordre an die Commandant-
schast von Meran, worin er ihr befahl, mit den noch ausstehenden Schützen¬
compagnien zu Hause zu bleiben Seine Freunde und wohl auch er selbst
waren aber damit nicht zufrieden, er sollte auch die Verwaltung des Landes
übernehmen oder wenigstens seinen Namen dafür hergeben, und wie Staffler
versichert*), war es vorzüglich der .Klerus, der dazu drängte, Adel und Bürger
der Landeshauptstadt, ja selbst die Bureaukratie zeigten sich damit einverstanden.
Bald darauf bezog er die Hofburg.

Er mochte schon in den ersten Augenblicken fühlen, daß er seiner neuen
Stellung nicht gewachsen war, und lud daher sogleich den alten Grafen Leopold
Künigl zu einer Besprechung ein. Der Graf wollte die Verantwortlichkeit für
das neue Regiment nicht allein übernehmen, er versammelte einige und zwanzig
Beamte und führte ihnen die . Gefahr einer völligen Anarchie zu Gemüthe.
Wie sehr davon alle überzeugt waren, beweist der Eingang der von Hofer
unterfertigten Kundmachung vom 23. August, worin die Einsetzung eines Pro¬
visoriums mit der Lockerung aller Bande der gesetzlichen Ordnung, der be¬
drohten Sicherheit 'der Personen und des Eigenthums gerechtfertigt wurde.
Anfänglich schien es auf eine ständische Verwaltung abgesehen, als aber Joseph
v. Röggla, den man zum Generalreferenten ernennen wollte, diese Bürde aus¬
schlug, einigte man sich schon in der zweiten Sitzung über eine provisorische
Generallandesadministration, deren Oberleitung die bisher bestandenen Kreis-
und anderen Behörden unterordnet wurden. Sie bestand zuerst aus einem Vor¬
sitzenden, drei Referenten und fünf Beisitzern, allein mit Erlaß vom 29. Sept,



") Tirol und Vorarlberg, topographisch mit geschichtlichen Bemerkungen von Joh. Jac.
Staffler. II. Band, S. 717.'
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mayr und die östreichischen Truppen, wenige Ausreißer ausgenommen, hatten
es verlassen, die Behörden waren machtlos, die Landstiirmer trunken von ihrem
Siege. Nichts war natürlicher, als daß jetzt ein Bauer an die Spitze trat,
nur ein solcher entsprach dem Geschmacke der rohen Stutzenträger, die stets
vom Todtschläger der „Herren" sprachen, und nicht minder jenem der Geist¬
lichen, die allein noch Ansehen und Einfluß behielten. Hofer hatte sich schon
bei der letzten Wiederaufnahme der Feindseligkeiten auf Eingebung des fana¬
tischen Kolb mit dem Gedanken befreundet, „so lang es Gott geliebt", den
Grafen von Tirol zu spielen; nur seine Flucht hinderte ihn an der Ausführung
dieses Vorhabens, die Landstürmer erkannten ihn aber als obersten Führer
bereits zur Zeit an, als er sie zum Kampfe aufrief und auf den Platz der
Entscheidung beorderte. Nach seinem Einzug in Innsbruck am 19. August nahm
er den Titel eines „Obercommandanten von Tirol" an, das erste Schriftstück,
das er als solcher unterzeichnete, war eine offene Ordre an die Commandant-
schast von Meran, worin er ihr befahl, mit den noch ausstehenden Schützen¬
compagnien zu Hause zu bleiben Seine Freunde und wohl auch er selbst
waren aber damit nicht zufrieden, er sollte auch die Verwaltung des Landes
übernehmen oder wenigstens seinen Namen dafür hergeben, und wie Staffler
versichert*), war es vorzüglich der .Klerus, der dazu drängte, Adel und Bürger
der Landeshauptstadt, ja selbst die Bureaukratie zeigten sich damit einverstanden.
Bald darauf bezog er die Hofburg.

Er mochte schon in den ersten Augenblicken fühlen, daß er seiner neuen
Stellung nicht gewachsen war, und lud daher sogleich den alten Grafen Leopold
Künigl zu einer Besprechung ein. Der Graf wollte die Verantwortlichkeit für
das neue Regiment nicht allein übernehmen, er versammelte einige und zwanzig
Beamte und führte ihnen die . Gefahr einer völligen Anarchie zu Gemüthe.
Wie sehr davon alle überzeugt waren, beweist der Eingang der von Hofer
unterfertigten Kundmachung vom 23. August, worin die Einsetzung eines Pro¬
visoriums mit der Lockerung aller Bande der gesetzlichen Ordnung, der be¬
drohten Sicherheit 'der Personen und des Eigenthums gerechtfertigt wurde.
Anfänglich schien es auf eine ständische Verwaltung abgesehen, als aber Joseph
v. Röggla, den man zum Generalreferenten ernennen wollte, diese Bürde aus¬
schlug, einigte man sich schon in der zweiten Sitzung über eine provisorische
Generallandesadministration, deren Oberleitung die bisher bestandenen Kreis-
und anderen Behörden unterordnet wurden. Sie bestand zuerst aus einem Vor¬
sitzenden, drei Referenten und fünf Beisitzern, allein mit Erlaß vom 29. Sept,



") Tirol und Vorarlberg, topographisch mit geschichtlichen Bemerkungen von Joh. Jac.
Staffler. II. Band, S. 717.'
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/19>, abgerufen am 28.09.2024.