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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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schneidenden Westwinde zu ducken haben. Die Städte ferner haben sich be¬
trächtlich gehoben, namentlich da, wo sie von der Eisenbahn berührt werden.
Jütland hat seine eignen Zeitungen bekommen, und Zeitungen, die durchaus
nicht immer in das Horn der Kopenhagner stoßen, sondern zu Zeiten recht ver¬
nehmlich und gar nicht ungeschickt ihre besondere Weise vortragen. Die aal-
borger Gelehrtenschule ist eine der besten in Dänemark, und wenn in den
kleinen Orten noch viele Leute mit engem Gesichtskreis und lalenbürgerhaften
Neigungen anzutreffen sind, so ist diese Beobachtung auch anderwärts zumachen.

Im Uebrigen ist der Jude im Großen und Ganzen eine gute Haut, sehr
fleißig, höflich wie alle Dänen, wenn sie nicht gereizt werden, und um vieles
offner und ehrlicher als das Volk auf Fühnen und Seeland. Daß er den
Preußen und Oestreichern, als sie einrückten, keine Ehrenpforten baute und keine
weißgekleideten Jungfern entgegenschickte, wird man ihm nicht verdenken wollen;
doch ist daraus keineswegs zu schließen, daß er eine besonders heftige Liebe zu
den Herren in Kopenhagen hat und deren Verfahren mit Schleswig schön und
billig findet. Er ist nicht so einfältig, um nicht zu wissen, daß man ihn in
diesen Kreisen über die Achsel ansteht, und seine Zeitungsschreiber haben ihm
nicht verschwiegen, daß die Wirthschaft der Eiderdänen im Süden arge Un¬
gerechtigkeit war, daß sie für Dänemark und zunächst Jütland schwere Gefahr
heraufbeschwor, und daß auch Jütlands wahres materielles Interesse auf den Süden
hinweist. Kecke Stimmen unter ihnen drohten sogar schon vor Jahren ziemlich
deutlich mit einer Lostrennung Jütlands von den Jnselstiftern.

Was hier über das Land gesagt wurde, gilt nur von der größern Süd-
Hälfte Jütlands. Die Nordspitze, seit dem vor vierzig Jahren erfolgten Durch¬
bruch des Aggerkanals zur Insel geworden, ist in der That mehr Wüste als
Culturland, und hierher, in die Gegenden jenseits des Lymfjord, das sogenannte
Vendsyssel, das Land der Wendeln, wie es in altskandinavischen Chroniken
heißt, bitten wir den Leser sich jetzt mit uns zu versetzen.

Der Lymsjord, 1825 durch jenen Durchbruch der Nordsee bei dem Dorfe
Agger aus einer tiefen Bucht in einen Sund verwandelt, ist ein circa 24 Meilen
langer, vielfach gewundener und verzweigter Meeresarm, der seinen Namen
von dem hier häusig auftretenden Kalkstein hat, bald als schmaler Kanal auf¬
tritt, bald sich zu breiten Wasserbecken erweitert und in letzteren mehre große
Inseln und eine Anzahl kleiner Eilande umschließt. Seine User, im Osten
theilweise bewaldet und hügelig, sind im Westen fast ohne allen Baumwuchs
und beinahe durchweg flach. Im Osten, zwischen Hals am Kattegat und Aal¬
borg ist er durchschnittlich nicht breiter als etwa zweitausend Ellen, weiter nach
Westen hin gewinnt er allmälig größere Ausdehnung, und bei Nibe beträgt
die Entfernung zwischen dem südlichen und dem nördlichen Ufer ungefähr eine
Meile. Dann schließt er sich wieder enger zusammen, bis westlich von dem


schneidenden Westwinde zu ducken haben. Die Städte ferner haben sich be¬
trächtlich gehoben, namentlich da, wo sie von der Eisenbahn berührt werden.
Jütland hat seine eignen Zeitungen bekommen, und Zeitungen, die durchaus
nicht immer in das Horn der Kopenhagner stoßen, sondern zu Zeiten recht ver¬
nehmlich und gar nicht ungeschickt ihre besondere Weise vortragen. Die aal-
borger Gelehrtenschule ist eine der besten in Dänemark, und wenn in den
kleinen Orten noch viele Leute mit engem Gesichtskreis und lalenbürgerhaften
Neigungen anzutreffen sind, so ist diese Beobachtung auch anderwärts zumachen.

Im Uebrigen ist der Jude im Großen und Ganzen eine gute Haut, sehr
fleißig, höflich wie alle Dänen, wenn sie nicht gereizt werden, und um vieles
offner und ehrlicher als das Volk auf Fühnen und Seeland. Daß er den
Preußen und Oestreichern, als sie einrückten, keine Ehrenpforten baute und keine
weißgekleideten Jungfern entgegenschickte, wird man ihm nicht verdenken wollen;
doch ist daraus keineswegs zu schließen, daß er eine besonders heftige Liebe zu
den Herren in Kopenhagen hat und deren Verfahren mit Schleswig schön und
billig findet. Er ist nicht so einfältig, um nicht zu wissen, daß man ihn in
diesen Kreisen über die Achsel ansteht, und seine Zeitungsschreiber haben ihm
nicht verschwiegen, daß die Wirthschaft der Eiderdänen im Süden arge Un¬
gerechtigkeit war, daß sie für Dänemark und zunächst Jütland schwere Gefahr
heraufbeschwor, und daß auch Jütlands wahres materielles Interesse auf den Süden
hinweist. Kecke Stimmen unter ihnen drohten sogar schon vor Jahren ziemlich
deutlich mit einer Lostrennung Jütlands von den Jnselstiftern.

Was hier über das Land gesagt wurde, gilt nur von der größern Süd-
Hälfte Jütlands. Die Nordspitze, seit dem vor vierzig Jahren erfolgten Durch¬
bruch des Aggerkanals zur Insel geworden, ist in der That mehr Wüste als
Culturland, und hierher, in die Gegenden jenseits des Lymfjord, das sogenannte
Vendsyssel, das Land der Wendeln, wie es in altskandinavischen Chroniken
heißt, bitten wir den Leser sich jetzt mit uns zu versetzen.

Der Lymsjord, 1825 durch jenen Durchbruch der Nordsee bei dem Dorfe
Agger aus einer tiefen Bucht in einen Sund verwandelt, ist ein circa 24 Meilen
langer, vielfach gewundener und verzweigter Meeresarm, der seinen Namen
von dem hier häusig auftretenden Kalkstein hat, bald als schmaler Kanal auf¬
tritt, bald sich zu breiten Wasserbecken erweitert und in letzteren mehre große
Inseln und eine Anzahl kleiner Eilande umschließt. Seine User, im Osten
theilweise bewaldet und hügelig, sind im Westen fast ohne allen Baumwuchs
und beinahe durchweg flach. Im Osten, zwischen Hals am Kattegat und Aal¬
borg ist er durchschnittlich nicht breiter als etwa zweitausend Ellen, weiter nach
Westen hin gewinnt er allmälig größere Ausdehnung, und bei Nibe beträgt
die Entfernung zwischen dem südlichen und dem nördlichen Ufer ungefähr eine
Meile. Dann schließt er sich wieder enger zusammen, bis westlich von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/180>, abgerufen am 20.10.2024.