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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Norden Europas. Diese Osthälfte Jütlands ist durchschnittlich mindestens so
fruchtbar als der Osten der Herzogthümer. und selbst der Westen hat an den
Ufern der hier mündenden Gewässer viel gutes Land, wenn sich dasselbe auch
nicht mit den Marschen im Süden messen kann.

Der Jute ferner hat einen plumpen Gang; denn er geht für gewöhnlich
in Holzschuhen, und er hat in den Haidegegenden und in dem Dünengebiet
seiner Gestade in tiefem Sande zu waten. Er hält in manchen Strichen nicht viel
vom Waschen und Baden, auch der Kamm erfreut sich nicht überall der ihm
gebührenden Achtung, und diese Gleichgiltigkeit ist nicht ungestraft geblieben.
Der Jude raucht einen sprichwörtlich schlechten Tabak, und er huldigt dem
Branntweinglase ungefähr noch in dem Maße wie unsre norddeutschen Bauern
vor zwanzig Jahren. Er gehört endlich nicht zu den Aufgewecktesten, und
Anekdoten wie die folgende werden in Kopenhagen aus alter und neuer Zeit
von ihm in ziemlicher Anzahl erzählt.

Ein Bauer aus einem Dorfe am Lymfjord kommt nach Aalborg zu Markte.
Das Gespräch dreht sich um den jetzigen Krieg und die schweren Zeiten, und
unser Jens findet namentlich Ursache, sich über die Lügen zu beklagen, die
jetzunder regierten. Da sei z. B. die dumme Geschichte vom Tode König Frede¬
riks. -- "Was für eine Geschichte?" fragt man. -- "Je nun," meint Jens,
"sie sagen ja, König Frederik wäre todt und begraben, Andere aber Wissen's
besser. Da heißt's, er wäre nicht todt, sondern nur fortgegangen, als er merkte,
daß sie die Novemberverfassung annahmen; denn er wußte wohl, welch ein ge¬
fährliches Unglück sie über das Land bringen würde. Das konnte er nicht er¬
tragen, und so retirirte er aus dem Lande." -- "Wohin denn?" -- "Ja,
wohin, das weiß man nicht, aber einige Leute behaupten, daß sie in der
Kirche zu Roeskilde nur ein Wachscabinet begraben haben. Niemand weiß mehr
was wahr und was Lüge ist in diesen Unglückszeiten."

Der Jude ist eben, entfernt von den großen Brennpunkten der Cultur,
vielfach zurückgeblieben hinter der Entwickelung seiner günstiger situirter Nach¬
barn. Sein Land hat nur kleine Städte und im Westen keine Häfen. Auch
hat die dänische Negierung ihn stiefmütterlich bebaute.le, ihm die am wenigsten
brauchbaren Beamten, Geistlichen und Lehrer gesandt, im Vergleich mit den
Inseln wenig für Schulen und Verkehrswege gethan, und so ist es nicht zu
verwundern, wenn das Volk nicht ist, was es sein könnte. Indeß ist doch in
den letzten Jahren vielerlei besser geworden im Vergleich mit früheren Zuständen.
Große Strecken wüsten Landes wurden durch Mergeln und Drainiren urbar
gemacht. Die Dörfer und Gehöfte sind stattlicher und reinlicher geworden,
selbst Geschmack an Blumen hat sich eingestellt, und gar nicht selten wachsen
sogar an der Hütte des als besonders roh und stumpf verschrienen Westjüten
Obstbäume und Rosen, wenn sie auch gesucht sein wollen, da sie sich vor dem


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Norden Europas. Diese Osthälfte Jütlands ist durchschnittlich mindestens so
fruchtbar als der Osten der Herzogthümer. und selbst der Westen hat an den
Ufern der hier mündenden Gewässer viel gutes Land, wenn sich dasselbe auch
nicht mit den Marschen im Süden messen kann.

Der Jute ferner hat einen plumpen Gang; denn er geht für gewöhnlich
in Holzschuhen, und er hat in den Haidegegenden und in dem Dünengebiet
seiner Gestade in tiefem Sande zu waten. Er hält in manchen Strichen nicht viel
vom Waschen und Baden, auch der Kamm erfreut sich nicht überall der ihm
gebührenden Achtung, und diese Gleichgiltigkeit ist nicht ungestraft geblieben.
Der Jude raucht einen sprichwörtlich schlechten Tabak, und er huldigt dem
Branntweinglase ungefähr noch in dem Maße wie unsre norddeutschen Bauern
vor zwanzig Jahren. Er gehört endlich nicht zu den Aufgewecktesten, und
Anekdoten wie die folgende werden in Kopenhagen aus alter und neuer Zeit
von ihm in ziemlicher Anzahl erzählt.

Ein Bauer aus einem Dorfe am Lymfjord kommt nach Aalborg zu Markte.
Das Gespräch dreht sich um den jetzigen Krieg und die schweren Zeiten, und
unser Jens findet namentlich Ursache, sich über die Lügen zu beklagen, die
jetzunder regierten. Da sei z. B. die dumme Geschichte vom Tode König Frede¬
riks. — „Was für eine Geschichte?" fragt man. — „Je nun," meint Jens,
„sie sagen ja, König Frederik wäre todt und begraben, Andere aber Wissen's
besser. Da heißt's, er wäre nicht todt, sondern nur fortgegangen, als er merkte,
daß sie die Novemberverfassung annahmen; denn er wußte wohl, welch ein ge¬
fährliches Unglück sie über das Land bringen würde. Das konnte er nicht er¬
tragen, und so retirirte er aus dem Lande." — „Wohin denn?" — „Ja,
wohin, das weiß man nicht, aber einige Leute behaupten, daß sie in der
Kirche zu Roeskilde nur ein Wachscabinet begraben haben. Niemand weiß mehr
was wahr und was Lüge ist in diesen Unglückszeiten."

Der Jude ist eben, entfernt von den großen Brennpunkten der Cultur,
vielfach zurückgeblieben hinter der Entwickelung seiner günstiger situirter Nach¬
barn. Sein Land hat nur kleine Städte und im Westen keine Häfen. Auch
hat die dänische Negierung ihn stiefmütterlich bebaute.le, ihm die am wenigsten
brauchbaren Beamten, Geistlichen und Lehrer gesandt, im Vergleich mit den
Inseln wenig für Schulen und Verkehrswege gethan, und so ist es nicht zu
verwundern, wenn das Volk nicht ist, was es sein könnte. Indeß ist doch in
den letzten Jahren vielerlei besser geworden im Vergleich mit früheren Zuständen.
Große Strecken wüsten Landes wurden durch Mergeln und Drainiren urbar
gemacht. Die Dörfer und Gehöfte sind stattlicher und reinlicher geworden,
selbst Geschmack an Blumen hat sich eingestellt, und gar nicht selten wachsen
sogar an der Hütte des als besonders roh und stumpf verschrienen Westjüten
Obstbäume und Rosen, wenn sie auch gesucht sein wollen, da sie sich vor dem


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[0179] Norden Europas. Diese Osthälfte Jütlands ist durchschnittlich mindestens so fruchtbar als der Osten der Herzogthümer. und selbst der Westen hat an den Ufern der hier mündenden Gewässer viel gutes Land, wenn sich dasselbe auch nicht mit den Marschen im Süden messen kann. Der Jute ferner hat einen plumpen Gang; denn er geht für gewöhnlich in Holzschuhen, und er hat in den Haidegegenden und in dem Dünengebiet seiner Gestade in tiefem Sande zu waten. Er hält in manchen Strichen nicht viel vom Waschen und Baden, auch der Kamm erfreut sich nicht überall der ihm gebührenden Achtung, und diese Gleichgiltigkeit ist nicht ungestraft geblieben. Der Jude raucht einen sprichwörtlich schlechten Tabak, und er huldigt dem Branntweinglase ungefähr noch in dem Maße wie unsre norddeutschen Bauern vor zwanzig Jahren. Er gehört endlich nicht zu den Aufgewecktesten, und Anekdoten wie die folgende werden in Kopenhagen aus alter und neuer Zeit von ihm in ziemlicher Anzahl erzählt. Ein Bauer aus einem Dorfe am Lymfjord kommt nach Aalborg zu Markte. Das Gespräch dreht sich um den jetzigen Krieg und die schweren Zeiten, und unser Jens findet namentlich Ursache, sich über die Lügen zu beklagen, die jetzunder regierten. Da sei z. B. die dumme Geschichte vom Tode König Frede¬ riks. — „Was für eine Geschichte?" fragt man. — „Je nun," meint Jens, „sie sagen ja, König Frederik wäre todt und begraben, Andere aber Wissen's besser. Da heißt's, er wäre nicht todt, sondern nur fortgegangen, als er merkte, daß sie die Novemberverfassung annahmen; denn er wußte wohl, welch ein ge¬ fährliches Unglück sie über das Land bringen würde. Das konnte er nicht er¬ tragen, und so retirirte er aus dem Lande." — „Wohin denn?" — „Ja, wohin, das weiß man nicht, aber einige Leute behaupten, daß sie in der Kirche zu Roeskilde nur ein Wachscabinet begraben haben. Niemand weiß mehr was wahr und was Lüge ist in diesen Unglückszeiten." Der Jude ist eben, entfernt von den großen Brennpunkten der Cultur, vielfach zurückgeblieben hinter der Entwickelung seiner günstiger situirter Nach¬ barn. Sein Land hat nur kleine Städte und im Westen keine Häfen. Auch hat die dänische Negierung ihn stiefmütterlich bebaute.le, ihm die am wenigsten brauchbaren Beamten, Geistlichen und Lehrer gesandt, im Vergleich mit den Inseln wenig für Schulen und Verkehrswege gethan, und so ist es nicht zu verwundern, wenn das Volk nicht ist, was es sein könnte. Indeß ist doch in den letzten Jahren vielerlei besser geworden im Vergleich mit früheren Zuständen. Große Strecken wüsten Landes wurden durch Mergeln und Drainiren urbar gemacht. Die Dörfer und Gehöfte sind stattlicher und reinlicher geworden, selbst Geschmack an Blumen hat sich eingestellt, und gar nicht selten wachsen sogar an der Hütte des als besonders roh und stumpf verschrienen Westjüten Obstbäume und Rosen, wenn sie auch gesucht sein wollen, da sie sich vor dem 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/179>, abgerufen am 28.09.2024.