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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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1783 zu Frankfurt beim Eisgang der Oder ertrank*). Das andere Beispiel ist
ein in Kursachsen angefesseltes Ordensmitglied, welches 1798 an den König
von Preußen die Bitte richtete, den Johannitern die Erbauung eines Hospitals
in Berlin zu gestatten, in welchem kranke Ausländer verpflegt werden sollten,
"weil man sich", wie die betreffende Eingabe sagt, "hierdurch des Namens der
Hospitaliter würdig mache".

Preußens Regenten waren die Patrone der norddeutschen Johanniter, was
sich daher schrieb, daß die meisten Güter des Ordens, namentlich die von den
Templern an ihn übergegangnen. hier im Brandenburgischen lagen. Von den
9 Commenden lieferte Lieber in der Kurmark mit 6720 Thalern jährlich den
höchsten Ertrag. Außer den Commenden besaß die Körperschaft Güter, die sie
zu Lehn ertheilte, und deren Zahl sich zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts
auf 66 belief. Die Einkünfte des Herrenmeisters betrugen um diese Zeit circa
50.000 Thaler jährlich. 1810 wurden die Ordenscommenden, "Güter, welche
als fette Pfründen zumeist dazu dienten, faule Bäuche zu machen", eingezogen,
und im Jahr daraus hob die Regierung den Johanniterorden in Preußen ganz
auf. Der sogenannte "Sanct-Johanniter-Orden", der 1812 geschaffen wurde
und nach unsrer Quelle "ebenso gesucht als werthlos gewesen" wäre, war ledig¬
lich ein Schatten seines alten Vorgängers. Er verfolgte weder Zwecke des
Wohlthuns, noch hatte er als Corporation irgendwelchen Besitz, und Friedrich
Wilhelm der Dritte war eine zu nüchterne Natur, als daß er sich aus das
Todtenerwecken zu legen hätte versucht suhlen können.

Das konnte offenbar so nicht bleiben. Der Adel mußte wieder ein Vor¬
bild haben wie unter Albrecht dem Bären, er mußte wieder in einer nur aus
Seinesgleichen bestehenden Körperschaft einen Mittelpunkt erhalten, um der
Pflicht, die ihm von jeher obgelegen, die Führerschaft des Volks zu übernehmen
nachkommen zu können. Er mußte über sich wieder das Glaubenspanier wehen
sehen und wieder "ritterlich das Reich des Heils vertheidigen gegen .den Un¬
glauben".

"Die neuere Zeit hegt zwar sehr veränderte Anschauungen über Volk und
Adel, und es wäre (wirklich?) sinnlos, die mittelalterliche Blüthe des Adels
Zug um Zug copiren zu wollen. Dennoch wird man die ethischen Grund¬
gedanken früherer strenger ständischer Sonderung beibehalten, so lange man sich
nicht jeglicher Gesittung entäußert." -- "Die Misston der Geburtsaristokratie



') Vor der Geschichte besteht diese Annahme nicht. Nach Aussagen von .Augenzeugen ist
sicher, daß an jenem Tage niemand in Gefahr und zu retten war, der Prinz vielmehr in
einer Anwandlung von Tollkühnheit mit zwei Mann von seinem Regiment den Versuch unter-
nahm, auf einem Kahne durch die Lücke, der eingestürzten Brücke zu fahren, und daß also
sein Tod lediglich Folge zweckloser Verwegenheit war. Vgl. Raumers histor. Taschenb. Neue
Folge, Jahrg. S. Leipzig. 1843.
21*

1783 zu Frankfurt beim Eisgang der Oder ertrank*). Das andere Beispiel ist
ein in Kursachsen angefesseltes Ordensmitglied, welches 1798 an den König
von Preußen die Bitte richtete, den Johannitern die Erbauung eines Hospitals
in Berlin zu gestatten, in welchem kranke Ausländer verpflegt werden sollten,
„weil man sich", wie die betreffende Eingabe sagt, „hierdurch des Namens der
Hospitaliter würdig mache".

Preußens Regenten waren die Patrone der norddeutschen Johanniter, was
sich daher schrieb, daß die meisten Güter des Ordens, namentlich die von den
Templern an ihn übergegangnen. hier im Brandenburgischen lagen. Von den
9 Commenden lieferte Lieber in der Kurmark mit 6720 Thalern jährlich den
höchsten Ertrag. Außer den Commenden besaß die Körperschaft Güter, die sie
zu Lehn ertheilte, und deren Zahl sich zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts
auf 66 belief. Die Einkünfte des Herrenmeisters betrugen um diese Zeit circa
50.000 Thaler jährlich. 1810 wurden die Ordenscommenden, „Güter, welche
als fette Pfründen zumeist dazu dienten, faule Bäuche zu machen", eingezogen,
und im Jahr daraus hob die Regierung den Johanniterorden in Preußen ganz
auf. Der sogenannte „Sanct-Johanniter-Orden", der 1812 geschaffen wurde
und nach unsrer Quelle „ebenso gesucht als werthlos gewesen" wäre, war ledig¬
lich ein Schatten seines alten Vorgängers. Er verfolgte weder Zwecke des
Wohlthuns, noch hatte er als Corporation irgendwelchen Besitz, und Friedrich
Wilhelm der Dritte war eine zu nüchterne Natur, als daß er sich aus das
Todtenerwecken zu legen hätte versucht suhlen können.

Das konnte offenbar so nicht bleiben. Der Adel mußte wieder ein Vor¬
bild haben wie unter Albrecht dem Bären, er mußte wieder in einer nur aus
Seinesgleichen bestehenden Körperschaft einen Mittelpunkt erhalten, um der
Pflicht, die ihm von jeher obgelegen, die Führerschaft des Volks zu übernehmen
nachkommen zu können. Er mußte über sich wieder das Glaubenspanier wehen
sehen und wieder „ritterlich das Reich des Heils vertheidigen gegen .den Un¬
glauben".

„Die neuere Zeit hegt zwar sehr veränderte Anschauungen über Volk und
Adel, und es wäre (wirklich?) sinnlos, die mittelalterliche Blüthe des Adels
Zug um Zug copiren zu wollen. Dennoch wird man die ethischen Grund¬
gedanken früherer strenger ständischer Sonderung beibehalten, so lange man sich
nicht jeglicher Gesittung entäußert." — „Die Misston der Geburtsaristokratie



') Vor der Geschichte besteht diese Annahme nicht. Nach Aussagen von .Augenzeugen ist
sicher, daß an jenem Tage niemand in Gefahr und zu retten war, der Prinz vielmehr in
einer Anwandlung von Tollkühnheit mit zwei Mann von seinem Regiment den Versuch unter-
nahm, auf einem Kahne durch die Lücke, der eingestürzten Brücke zu fahren, und daß also
sein Tod lediglich Folge zweckloser Verwegenheit war. Vgl. Raumers histor. Taschenb. Neue
Folge, Jahrg. S. Leipzig. 1843.
21*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/171>, abgerufen am 28.09.2024.