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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Nachher während des Seesturmes spricht der Vogt wiederum in den Worten
des Liedes zu Teil:

Als der Vogt erschossen, erzählt Tell, nach Uri zurückkehrend, das Abenteuer
genau wie der Liedtext:

Zum Ende dieser Scene tritt ein "Cuno Appenzeller von Unterwalden" auf;
es ist dies die Verdrehung des Namens Kuno ab Alzellen. Letzterer berichtet,
er habe dem Vogt (Landenberg), der ihm das Eheweib verführen wollen, mit
der Axt das Bad gesegnet. Mit demselben Wortlaut steht dies auch im Tellen-
liede. Darauf giebt Tell den Genossen und dem versammelten Urnervolk den
Bundeseid an; es folgt Schwur und Schluß.

Als Epilog erscheint der vierte Herold und, führt die Erzählung der
weiteren Begebenheiten bis auf die Gegenwart fort. Der Tellenschuß, sagt
er, sei 1296 geschehen; ein Jahr daraus hätten sich die Länder an König
Adolf den Frommen ergeben, so seien sie aus Oestreichs Hand wieder ans
Reich gekommen. Besonders habe sie Kaiser Ludwig der Bayer gegen der
östreicher Herzöge Verdruß geschützt, bis Herzog Leopold 1316 bei Morgarten
geschlagen war. Hierauf folgen die weiteren Schicksale der Schweiz bis zu der
Periode der Mailänder Feldzüge. Der Herold endigt wie Muheims Schlu߬
strophe mit der Moral: Wie Mieth' und Gaben verblenden.

Dies ist der Umriß des Tellenspieles, zwar nicht nach dessen alter ursprüng¬
licher Fassung, jedoch auf diese gestützt und im Einklang mit den Angaben
der Chronisten und mit dem Texte des Volksliedes. So wurde das Stück in
den Waldstätten, namentlich zu Uri, bis in die Reformationszeiten fortgespielt.
Es war auf den Grundgedanken gebaut, daß die Schweiz in ihrer Freiheit
und Sitteneinfalt ungekränkt verbleiben werde, so lange sie sich nicht aus¬
ländischen Einflüssen ergebe. Nun war die Reformationszeit angebrochen, ihr
Licht riß plötzlich jeder Heuchelei den Schleier vom Gesichte. Nicht blos das
herkömmliche religiöse Schauspiel, wie es sich aus den mittelalterlichen Mysterien
(Ministerien) her vererbt hatte, nicht blos das allverehrte Kirchenlied mußte sich
nun in allen deutschen Landstrichen mit reformiren, auch das Tellenspiel, das
einst für die ganze Schweiz gegolten hatte, mußte sich mit umgestalten, seitdem
das Land in zweierlei confessionelle Heerlager geschieden war. Und selbst für die
Waldstätte konnte das alte Stück nicht länger gelten, insofern sie gegen die Sitten-
und Staatsreform, die man ihnen zumuthete, mit gewohnter Zähigkeit sich zu
her-ander fortfuhren. Denn wie wollten diese Söhne Teils, Staufachers und
Melchthals auf der Bühne ihres Landes den feierlichen Schwur wiederholen


Nachher während des Seesturmes spricht der Vogt wiederum in den Worten
des Liedes zu Teil:

Als der Vogt erschossen, erzählt Tell, nach Uri zurückkehrend, das Abenteuer
genau wie der Liedtext:

Zum Ende dieser Scene tritt ein „Cuno Appenzeller von Unterwalden" auf;
es ist dies die Verdrehung des Namens Kuno ab Alzellen. Letzterer berichtet,
er habe dem Vogt (Landenberg), der ihm das Eheweib verführen wollen, mit
der Axt das Bad gesegnet. Mit demselben Wortlaut steht dies auch im Tellen-
liede. Darauf giebt Tell den Genossen und dem versammelten Urnervolk den
Bundeseid an; es folgt Schwur und Schluß.

Als Epilog erscheint der vierte Herold und, führt die Erzählung der
weiteren Begebenheiten bis auf die Gegenwart fort. Der Tellenschuß, sagt
er, sei 1296 geschehen; ein Jahr daraus hätten sich die Länder an König
Adolf den Frommen ergeben, so seien sie aus Oestreichs Hand wieder ans
Reich gekommen. Besonders habe sie Kaiser Ludwig der Bayer gegen der
östreicher Herzöge Verdruß geschützt, bis Herzog Leopold 1316 bei Morgarten
geschlagen war. Hierauf folgen die weiteren Schicksale der Schweiz bis zu der
Periode der Mailänder Feldzüge. Der Herold endigt wie Muheims Schlu߬
strophe mit der Moral: Wie Mieth' und Gaben verblenden.

Dies ist der Umriß des Tellenspieles, zwar nicht nach dessen alter ursprüng¬
licher Fassung, jedoch auf diese gestützt und im Einklang mit den Angaben
der Chronisten und mit dem Texte des Volksliedes. So wurde das Stück in
den Waldstätten, namentlich zu Uri, bis in die Reformationszeiten fortgespielt.
Es war auf den Grundgedanken gebaut, daß die Schweiz in ihrer Freiheit
und Sitteneinfalt ungekränkt verbleiben werde, so lange sie sich nicht aus¬
ländischen Einflüssen ergebe. Nun war die Reformationszeit angebrochen, ihr
Licht riß plötzlich jeder Heuchelei den Schleier vom Gesichte. Nicht blos das
herkömmliche religiöse Schauspiel, wie es sich aus den mittelalterlichen Mysterien
(Ministerien) her vererbt hatte, nicht blos das allverehrte Kirchenlied mußte sich
nun in allen deutschen Landstrichen mit reformiren, auch das Tellenspiel, das
einst für die ganze Schweiz gegolten hatte, mußte sich mit umgestalten, seitdem
das Land in zweierlei confessionelle Heerlager geschieden war. Und selbst für die
Waldstätte konnte das alte Stück nicht länger gelten, insofern sie gegen die Sitten-
und Staatsreform, die man ihnen zumuthete, mit gewohnter Zähigkeit sich zu
her-ander fortfuhren. Denn wie wollten diese Söhne Teils, Staufachers und
Melchthals auf der Bühne ihres Landes den feierlichen Schwur wiederholen


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[0140] Nachher während des Seesturmes spricht der Vogt wiederum in den Worten des Liedes zu Teil: Als der Vogt erschossen, erzählt Tell, nach Uri zurückkehrend, das Abenteuer genau wie der Liedtext: Zum Ende dieser Scene tritt ein „Cuno Appenzeller von Unterwalden" auf; es ist dies die Verdrehung des Namens Kuno ab Alzellen. Letzterer berichtet, er habe dem Vogt (Landenberg), der ihm das Eheweib verführen wollen, mit der Axt das Bad gesegnet. Mit demselben Wortlaut steht dies auch im Tellen- liede. Darauf giebt Tell den Genossen und dem versammelten Urnervolk den Bundeseid an; es folgt Schwur und Schluß. Als Epilog erscheint der vierte Herold und, führt die Erzählung der weiteren Begebenheiten bis auf die Gegenwart fort. Der Tellenschuß, sagt er, sei 1296 geschehen; ein Jahr daraus hätten sich die Länder an König Adolf den Frommen ergeben, so seien sie aus Oestreichs Hand wieder ans Reich gekommen. Besonders habe sie Kaiser Ludwig der Bayer gegen der östreicher Herzöge Verdruß geschützt, bis Herzog Leopold 1316 bei Morgarten geschlagen war. Hierauf folgen die weiteren Schicksale der Schweiz bis zu der Periode der Mailänder Feldzüge. Der Herold endigt wie Muheims Schlu߬ strophe mit der Moral: Wie Mieth' und Gaben verblenden. Dies ist der Umriß des Tellenspieles, zwar nicht nach dessen alter ursprüng¬ licher Fassung, jedoch auf diese gestützt und im Einklang mit den Angaben der Chronisten und mit dem Texte des Volksliedes. So wurde das Stück in den Waldstätten, namentlich zu Uri, bis in die Reformationszeiten fortgespielt. Es war auf den Grundgedanken gebaut, daß die Schweiz in ihrer Freiheit und Sitteneinfalt ungekränkt verbleiben werde, so lange sie sich nicht aus¬ ländischen Einflüssen ergebe. Nun war die Reformationszeit angebrochen, ihr Licht riß plötzlich jeder Heuchelei den Schleier vom Gesichte. Nicht blos das herkömmliche religiöse Schauspiel, wie es sich aus den mittelalterlichen Mysterien (Ministerien) her vererbt hatte, nicht blos das allverehrte Kirchenlied mußte sich nun in allen deutschen Landstrichen mit reformiren, auch das Tellenspiel, das einst für die ganze Schweiz gegolten hatte, mußte sich mit umgestalten, seitdem das Land in zweierlei confessionelle Heerlager geschieden war. Und selbst für die Waldstätte konnte das alte Stück nicht länger gelten, insofern sie gegen die Sitten- und Staatsreform, die man ihnen zumuthete, mit gewohnter Zähigkeit sich zu her-ander fortfuhren. Denn wie wollten diese Söhne Teils, Staufachers und Melchthals auf der Bühne ihres Landes den feierlichen Schwur wiederholen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/140>, abgerufen am 28.09.2024.