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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Mag man sich nun rechts oder links wenden, fast überall tritt man nur in
Sackgassen hinein, die noch dazu von sehr geringer Länge sind. Alle Augen¬
blicke muß man daher wieder umkehren, um nach 80 oder 100 Schritten wieder
dasselbe Schicksal zu haben, so daß man sich glücklich preist, wenn man durch
Zufall das einzige Thor wiederfindet, das aus diesem Labyrinth heraus auf
die Hauptstraße führt.

Das ganze Judenviertel ist nur 500 Schritt lang, 300 Schritt breit
und von einer hohen Mauer umgeben. Auf diesem beschränkten Raum, der
ihnen vor mehren Jahrhunderten zugewiesen wurde, als ihre Zahl noch viel
geringer war, wohnen jetzt 10,000 Juden, zuweilen drei oder vier Generationen
einer Familie in einem Hause. Im Innern sind diese Häuser, namentlich die
besseren, ganz wie die maurischen eingerichtet, d, h. die Wohnzimmer reihen sich
um einen von einem Springbrunnen geschmückten Sciuicnhof. Die innere
Ausstattung ist aber europäisch, und nicht selten findet man alten kostbaren
Hausrath, ganz so, wie man ihn in den Schlössern des kastilischen Adels sieht;
wahrscheinlich der Rest dessen, was die Voreltern aus Spanien mit herüber-
gevracht, untermischt mit modernen Möbeln, welche nicht lange erst in den
englischen Magazinen in Gibraltar gekauft sind.

Die männliche Bevölkerung des Judenviertels ist nicht schön, und wenn
man auch manches intelligente Gesicht unter den Jungen und manche würdige
Gestalt unter den Alten erblickt, so erscheinen diese doch als Ausnahmen, und
die Masse läßt kräftigen Wuchs und edele Züge sehr vermissen. Schöner sind
die Jüdinnen, obgleich sie früh verblühen. Ueppige Gestalten, regelmäßig ovale
Gesichter mit feingeschnittenem Profil, dunkle Augen und schwarzes Haar in
reicher Fülle. Endlich zierliche Hände und Füße, letztere fast immer bloß, bilden
die Regel. Herr v. Goeben hebt noch besonders das unbefangene und freund¬
liche, aber zugleich zurückhaltende und züchtige Benehmen der jungen Jüdinnen
hervor. Für gewöhnlich tragen sie sich sehr einfach. Rock und Mieder von Tuch
oder anderen wollenen Stoffen, mit einem langen schmalen Shawl um Kopf,
Hals und Hüfte gewunden. Arme. Schultern und Busen bleiben bloß. Die
verheiratheten Frauen tragen das Haar kurz geschnitten und auf dem Kopfe
eine schwarzseidene Mütze von eigenthümlicher Gestalt.

So einfach aber die Alltagstoilette ist, so prunkvoll wissen sich die wohl¬
habenden Jüdinnen bei außergewöhnlichen Gelegenheiten zu putzen. Dann
werden seidene und sammtne Gewänder, mit Gold und Silber gestickt und mit
Edelsteinen besetzt, feine Spitzentücher und orientalische Shawls angelegt. Schwere
Ohrgehänge mit Edelsteinen und Perlen fallen bis auf die Schulter herab, und
den Kopf schmückt ein hoher tiaraähnlicher Aufsatz, der ebenfalls von Edel¬
steinen. Perlen und Gold und Silber funkelt. Mehre Generationen tragen
zu Diesen kostbaren Anzügen bei, die mehre Tausende kosten, und reiche Jüdinnen


Mag man sich nun rechts oder links wenden, fast überall tritt man nur in
Sackgassen hinein, die noch dazu von sehr geringer Länge sind. Alle Augen¬
blicke muß man daher wieder umkehren, um nach 80 oder 100 Schritten wieder
dasselbe Schicksal zu haben, so daß man sich glücklich preist, wenn man durch
Zufall das einzige Thor wiederfindet, das aus diesem Labyrinth heraus auf
die Hauptstraße führt.

Das ganze Judenviertel ist nur 500 Schritt lang, 300 Schritt breit
und von einer hohen Mauer umgeben. Auf diesem beschränkten Raum, der
ihnen vor mehren Jahrhunderten zugewiesen wurde, als ihre Zahl noch viel
geringer war, wohnen jetzt 10,000 Juden, zuweilen drei oder vier Generationen
einer Familie in einem Hause. Im Innern sind diese Häuser, namentlich die
besseren, ganz wie die maurischen eingerichtet, d, h. die Wohnzimmer reihen sich
um einen von einem Springbrunnen geschmückten Sciuicnhof. Die innere
Ausstattung ist aber europäisch, und nicht selten findet man alten kostbaren
Hausrath, ganz so, wie man ihn in den Schlössern des kastilischen Adels sieht;
wahrscheinlich der Rest dessen, was die Voreltern aus Spanien mit herüber-
gevracht, untermischt mit modernen Möbeln, welche nicht lange erst in den
englischen Magazinen in Gibraltar gekauft sind.

Die männliche Bevölkerung des Judenviertels ist nicht schön, und wenn
man auch manches intelligente Gesicht unter den Jungen und manche würdige
Gestalt unter den Alten erblickt, so erscheinen diese doch als Ausnahmen, und
die Masse läßt kräftigen Wuchs und edele Züge sehr vermissen. Schöner sind
die Jüdinnen, obgleich sie früh verblühen. Ueppige Gestalten, regelmäßig ovale
Gesichter mit feingeschnittenem Profil, dunkle Augen und schwarzes Haar in
reicher Fülle. Endlich zierliche Hände und Füße, letztere fast immer bloß, bilden
die Regel. Herr v. Goeben hebt noch besonders das unbefangene und freund¬
liche, aber zugleich zurückhaltende und züchtige Benehmen der jungen Jüdinnen
hervor. Für gewöhnlich tragen sie sich sehr einfach. Rock und Mieder von Tuch
oder anderen wollenen Stoffen, mit einem langen schmalen Shawl um Kopf,
Hals und Hüfte gewunden. Arme. Schultern und Busen bleiben bloß. Die
verheiratheten Frauen tragen das Haar kurz geschnitten und auf dem Kopfe
eine schwarzseidene Mütze von eigenthümlicher Gestalt.

So einfach aber die Alltagstoilette ist, so prunkvoll wissen sich die wohl¬
habenden Jüdinnen bei außergewöhnlichen Gelegenheiten zu putzen. Dann
werden seidene und sammtne Gewänder, mit Gold und Silber gestickt und mit
Edelsteinen besetzt, feine Spitzentücher und orientalische Shawls angelegt. Schwere
Ohrgehänge mit Edelsteinen und Perlen fallen bis auf die Schulter herab, und
den Kopf schmückt ein hoher tiaraähnlicher Aufsatz, der ebenfalls von Edel¬
steinen. Perlen und Gold und Silber funkelt. Mehre Generationen tragen
zu Diesen kostbaren Anzügen bei, die mehre Tausende kosten, und reiche Jüdinnen


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[0116] Mag man sich nun rechts oder links wenden, fast überall tritt man nur in Sackgassen hinein, die noch dazu von sehr geringer Länge sind. Alle Augen¬ blicke muß man daher wieder umkehren, um nach 80 oder 100 Schritten wieder dasselbe Schicksal zu haben, so daß man sich glücklich preist, wenn man durch Zufall das einzige Thor wiederfindet, das aus diesem Labyrinth heraus auf die Hauptstraße führt. Das ganze Judenviertel ist nur 500 Schritt lang, 300 Schritt breit und von einer hohen Mauer umgeben. Auf diesem beschränkten Raum, der ihnen vor mehren Jahrhunderten zugewiesen wurde, als ihre Zahl noch viel geringer war, wohnen jetzt 10,000 Juden, zuweilen drei oder vier Generationen einer Familie in einem Hause. Im Innern sind diese Häuser, namentlich die besseren, ganz wie die maurischen eingerichtet, d, h. die Wohnzimmer reihen sich um einen von einem Springbrunnen geschmückten Sciuicnhof. Die innere Ausstattung ist aber europäisch, und nicht selten findet man alten kostbaren Hausrath, ganz so, wie man ihn in den Schlössern des kastilischen Adels sieht; wahrscheinlich der Rest dessen, was die Voreltern aus Spanien mit herüber- gevracht, untermischt mit modernen Möbeln, welche nicht lange erst in den englischen Magazinen in Gibraltar gekauft sind. Die männliche Bevölkerung des Judenviertels ist nicht schön, und wenn man auch manches intelligente Gesicht unter den Jungen und manche würdige Gestalt unter den Alten erblickt, so erscheinen diese doch als Ausnahmen, und die Masse läßt kräftigen Wuchs und edele Züge sehr vermissen. Schöner sind die Jüdinnen, obgleich sie früh verblühen. Ueppige Gestalten, regelmäßig ovale Gesichter mit feingeschnittenem Profil, dunkle Augen und schwarzes Haar in reicher Fülle. Endlich zierliche Hände und Füße, letztere fast immer bloß, bilden die Regel. Herr v. Goeben hebt noch besonders das unbefangene und freund¬ liche, aber zugleich zurückhaltende und züchtige Benehmen der jungen Jüdinnen hervor. Für gewöhnlich tragen sie sich sehr einfach. Rock und Mieder von Tuch oder anderen wollenen Stoffen, mit einem langen schmalen Shawl um Kopf, Hals und Hüfte gewunden. Arme. Schultern und Busen bleiben bloß. Die verheiratheten Frauen tragen das Haar kurz geschnitten und auf dem Kopfe eine schwarzseidene Mütze von eigenthümlicher Gestalt. So einfach aber die Alltagstoilette ist, so prunkvoll wissen sich die wohl¬ habenden Jüdinnen bei außergewöhnlichen Gelegenheiten zu putzen. Dann werden seidene und sammtne Gewänder, mit Gold und Silber gestickt und mit Edelsteinen besetzt, feine Spitzentücher und orientalische Shawls angelegt. Schwere Ohrgehänge mit Edelsteinen und Perlen fallen bis auf die Schulter herab, und den Kopf schmückt ein hoher tiaraähnlicher Aufsatz, der ebenfalls von Edel¬ steinen. Perlen und Gold und Silber funkelt. Mehre Generationen tragen zu Diesen kostbaren Anzügen bei, die mehre Tausende kosten, und reiche Jüdinnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/116>, abgerufen am 20.10.2024.