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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Die Eisenbahn, auf der die Reisenden von Alicante nach Madrid fuhren,
war damals die einzig größere in Spanien. Die neue Einrichtung fand anfangs
viel Widerstand bei dem Volke. Während des Baues kam es öfters zu Zu-
sammenrottungen, welche die Arbeiter verjagten oder fertige Strecken wieder
aufrissen; manchmal hat man auch auf die Züge geschossen oder Steine und
Balken auf die Schienen gelegt, zum Glück ohne einen erheblichen Unfall
herbeizuführen. Diese erste Aufregung scheint sich jedoch gelegt zu haben;
Wenigstens fanden die Reisenden die Bahnhöfe überall von dichten Menschen¬
haufen umgeben, welche mit ruhiger Neugierde den Zug und die aus- und ein¬
steigenden Reisenden betrachteten. Auf den kleineren Stationen war alles in
Landestracht gekleidet, die Männer in braune Jacken und Kniehosen von einer
farbigen Schärpe umschlossen, mit wollenen Strümpfen und Hanfsandalen oder
ledernen Schuhen von Naturfarbe, meistens eine mehr oder weniger bunte
Mantar. eine wollene Doppeldecke über die Schultern gehängt, zuweilen auch
in einen weiten grauen Mantel gehüllt. Den Kopf bedeckte gewöhnlich der landes¬
übliche spitze Hut; nur in der Manch" sah man vielfach Pelz- und Tuchmützen
von wunderlichen Formen. Von der Frauentracht war nur die über Kopf und
Schultern herabhängende Mantille als charakteristisch hervorzuheben.

Madrid selbst ist von allen Städten des Landes die am wenigsten spanische.
Erst seit Philipp dem Zweiten, der es zur Residenz machte, allmälig zur größeren
Stadt herangewachsen, fehlt ihm alles Altertümliche und Charakteristische. Es
besitzt prächtige Paläste und Kirchen, aber alle im Stile des siebzehnten und
achtzehnten Jahrhunderts aufgeführt. Auch die spanische Tracht bemerkt man
äußerst selten, da sie nur noch bei den niedrigsten Classen im Gebrauch ist.
In Madrid spürt man daher wenig von dem fremdartigen Eindruck, den das
übrige Spanien auf jeden diesseits der Pyrenäen Geborenen zu machen
pflegt.

Die preußischen Offiziere hatten nicht viel Zeit, sich in Madrid umzusehen;
denn sie erfuhren, daß Marschall O'Donnell in wenig Tagen gegen Tetuan aufbrechen
werde. Sie mußten sich daher beeilen, auf dem Kriegsschauplatz einzutreffen,
und fanden kaum Zeit die unbedingt nothwendigen Besuche zu machen. Zum
Glück war die Königin so gnädig, ihnen schon am Tage nach ihrer Ankunft
eine Audienz zu bewilligen. "Geführt von unserem trefflichen Gesandten,
Graf Galen (erzählt General Goeben) fuhren wir in großer Galla nach
dem Schlosse und zwar zunächst nach dem Flügel, in welchem das Bureau
des Conseilpräsidenten etablirt ist. Dieser, der Minister Collantes, empfing
uns und geleitete uns selbst zur Königin, ein Schritt, durch den als einen
ganz ungewöhnlichen Gras Galen höchst überrascht wurde; dem Minister schien
dieses übrigens durchaus kein besonderes Vergnügen zu machen. Er zeigte sich
selbst noch mehr als gestern sein Herr College kalt und gemessen, der Art. daß


13"

Die Eisenbahn, auf der die Reisenden von Alicante nach Madrid fuhren,
war damals die einzig größere in Spanien. Die neue Einrichtung fand anfangs
viel Widerstand bei dem Volke. Während des Baues kam es öfters zu Zu-
sammenrottungen, welche die Arbeiter verjagten oder fertige Strecken wieder
aufrissen; manchmal hat man auch auf die Züge geschossen oder Steine und
Balken auf die Schienen gelegt, zum Glück ohne einen erheblichen Unfall
herbeizuführen. Diese erste Aufregung scheint sich jedoch gelegt zu haben;
Wenigstens fanden die Reisenden die Bahnhöfe überall von dichten Menschen¬
haufen umgeben, welche mit ruhiger Neugierde den Zug und die aus- und ein¬
steigenden Reisenden betrachteten. Auf den kleineren Stationen war alles in
Landestracht gekleidet, die Männer in braune Jacken und Kniehosen von einer
farbigen Schärpe umschlossen, mit wollenen Strümpfen und Hanfsandalen oder
ledernen Schuhen von Naturfarbe, meistens eine mehr oder weniger bunte
Mantar. eine wollene Doppeldecke über die Schultern gehängt, zuweilen auch
in einen weiten grauen Mantel gehüllt. Den Kopf bedeckte gewöhnlich der landes¬
übliche spitze Hut; nur in der Manch« sah man vielfach Pelz- und Tuchmützen
von wunderlichen Formen. Von der Frauentracht war nur die über Kopf und
Schultern herabhängende Mantille als charakteristisch hervorzuheben.

Madrid selbst ist von allen Städten des Landes die am wenigsten spanische.
Erst seit Philipp dem Zweiten, der es zur Residenz machte, allmälig zur größeren
Stadt herangewachsen, fehlt ihm alles Altertümliche und Charakteristische. Es
besitzt prächtige Paläste und Kirchen, aber alle im Stile des siebzehnten und
achtzehnten Jahrhunderts aufgeführt. Auch die spanische Tracht bemerkt man
äußerst selten, da sie nur noch bei den niedrigsten Classen im Gebrauch ist.
In Madrid spürt man daher wenig von dem fremdartigen Eindruck, den das
übrige Spanien auf jeden diesseits der Pyrenäen Geborenen zu machen
pflegt.

Die preußischen Offiziere hatten nicht viel Zeit, sich in Madrid umzusehen;
denn sie erfuhren, daß Marschall O'Donnell in wenig Tagen gegen Tetuan aufbrechen
werde. Sie mußten sich daher beeilen, auf dem Kriegsschauplatz einzutreffen,
und fanden kaum Zeit die unbedingt nothwendigen Besuche zu machen. Zum
Glück war die Königin so gnädig, ihnen schon am Tage nach ihrer Ankunft
eine Audienz zu bewilligen. „Geführt von unserem trefflichen Gesandten,
Graf Galen (erzählt General Goeben) fuhren wir in großer Galla nach
dem Schlosse und zwar zunächst nach dem Flügel, in welchem das Bureau
des Conseilpräsidenten etablirt ist. Dieser, der Minister Collantes, empfing
uns und geleitete uns selbst zur Königin, ein Schritt, durch den als einen
ganz ungewöhnlichen Gras Galen höchst überrascht wurde; dem Minister schien
dieses übrigens durchaus kein besonderes Vergnügen zu machen. Er zeigte sich
selbst noch mehr als gestern sein Herr College kalt und gemessen, der Art. daß


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[0107] Die Eisenbahn, auf der die Reisenden von Alicante nach Madrid fuhren, war damals die einzig größere in Spanien. Die neue Einrichtung fand anfangs viel Widerstand bei dem Volke. Während des Baues kam es öfters zu Zu- sammenrottungen, welche die Arbeiter verjagten oder fertige Strecken wieder aufrissen; manchmal hat man auch auf die Züge geschossen oder Steine und Balken auf die Schienen gelegt, zum Glück ohne einen erheblichen Unfall herbeizuführen. Diese erste Aufregung scheint sich jedoch gelegt zu haben; Wenigstens fanden die Reisenden die Bahnhöfe überall von dichten Menschen¬ haufen umgeben, welche mit ruhiger Neugierde den Zug und die aus- und ein¬ steigenden Reisenden betrachteten. Auf den kleineren Stationen war alles in Landestracht gekleidet, die Männer in braune Jacken und Kniehosen von einer farbigen Schärpe umschlossen, mit wollenen Strümpfen und Hanfsandalen oder ledernen Schuhen von Naturfarbe, meistens eine mehr oder weniger bunte Mantar. eine wollene Doppeldecke über die Schultern gehängt, zuweilen auch in einen weiten grauen Mantel gehüllt. Den Kopf bedeckte gewöhnlich der landes¬ übliche spitze Hut; nur in der Manch« sah man vielfach Pelz- und Tuchmützen von wunderlichen Formen. Von der Frauentracht war nur die über Kopf und Schultern herabhängende Mantille als charakteristisch hervorzuheben. Madrid selbst ist von allen Städten des Landes die am wenigsten spanische. Erst seit Philipp dem Zweiten, der es zur Residenz machte, allmälig zur größeren Stadt herangewachsen, fehlt ihm alles Altertümliche und Charakteristische. Es besitzt prächtige Paläste und Kirchen, aber alle im Stile des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts aufgeführt. Auch die spanische Tracht bemerkt man äußerst selten, da sie nur noch bei den niedrigsten Classen im Gebrauch ist. In Madrid spürt man daher wenig von dem fremdartigen Eindruck, den das übrige Spanien auf jeden diesseits der Pyrenäen Geborenen zu machen pflegt. Die preußischen Offiziere hatten nicht viel Zeit, sich in Madrid umzusehen; denn sie erfuhren, daß Marschall O'Donnell in wenig Tagen gegen Tetuan aufbrechen werde. Sie mußten sich daher beeilen, auf dem Kriegsschauplatz einzutreffen, und fanden kaum Zeit die unbedingt nothwendigen Besuche zu machen. Zum Glück war die Königin so gnädig, ihnen schon am Tage nach ihrer Ankunft eine Audienz zu bewilligen. „Geführt von unserem trefflichen Gesandten, Graf Galen (erzählt General Goeben) fuhren wir in großer Galla nach dem Schlosse und zwar zunächst nach dem Flügel, in welchem das Bureau des Conseilpräsidenten etablirt ist. Dieser, der Minister Collantes, empfing uns und geleitete uns selbst zur Königin, ein Schritt, durch den als einen ganz ungewöhnlichen Gras Galen höchst überrascht wurde; dem Minister schien dieses übrigens durchaus kein besonderes Vergnügen zu machen. Er zeigte sich selbst noch mehr als gestern sein Herr College kalt und gemessen, der Art. daß 13"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/107>, abgerufen am 28.09.2024.