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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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billig, nicht gewissenlos und nicht unempfänglich gegen die Tüchtigkeit Fremder
macht, selbst wenn diese seine bittersten Feinde sein sollten. Es ist in seinen
Wesen eine heitere, offene Herzlichkeit unvertilgbar, sie ist ihm in den Perioden
der leidenschaftlichsten Aufregung nicht verloren gegangen, sie war in schlechten
Zeiten vielleicht die liebenswürdigste Eigenschaft unserer Natur. Diesen Vorzug
wenigstens besitzt das englische Volk im Ganzen betrachtet, nicht. Die tüchtige,
zuweilen schwerfällige Art zu empfinden ist nicht selten mit einer hartnäckigen
und kurzsichtigen Einseitigkeit des Urtheils verbunden, welches zeitweise die
herrschende Stimmung des Landes in auffallender Weise beschränkt, und mehr
als einmal Staatsmänner, Parlamente und Volk der Straße bis zu einer
gewaltthätigen Einseitigkeit erhitzt hat. in welcher alles Gefühl für Gerechtigkeit
und Wahrheit verloren ging. Wir wissen sehr wohl, auf solche Ausbrüche des
blinden Fanatismus kam jedesmal eine kräftige Reaction, aber die Krisen, in
denen dieser Furor der Teutonen oder Celten dort aufbrach, haben in alter und
neuer Zeit mehr als einmal die Blätter der englischen Geschichte mit Thaten
bezeichnet, auf welche kein Engländer stolz sein wird. Gerade bei solcher Be¬
schaffenheit der englischen Natur war Prinz Albert i" ausgezeichneter Weise
geeignet ein unbefangener Vermittler zu werden. Sein Leben war durch eine
Reihe von Jahren das Band, welches Engländer und Deutsche einander näherte.
Und nur bedauern tief, daß diese Verbindung sowohl für uns, als für das
Volt jenseits des Kanals verloren ist; nicht weil wir von der Politik der eng¬
lischen Regierung freundliche Zuneigung oder gar nationale Opfer unseren
Interessen zu Liebe beanspruchen, denn wir werden, was wir wollen und müssen,
auch ohne ihre guten Dienste durchsetzen. Aber wir halten es für ein Unglück,
daß Deutsche und Engländer aus Jahre hinaus einander mit kalter Abneigung
gegenüberstehen sollen. Und wir wissen nur, daß die Schuld dieser unnöthigen
Entfremdung nicht an uns liegt.

Es ist mehr als einmal gesagt, daß England einst auf die gute Zeit der
Königin Victoria und des Prinzen Albert mit Sehnsucht zurücksehen wird.
Denn das Leben des Prinzen hals für England eine Zeit herbeiführen, wie
sie seit Jahrhunderten als ein idealer Zustand des Staates ersehnt worden
war. eine Zeit, in welcher die Parteien in Schwäche versanken und die innern
Gegensätze ihre Schärfe verloren, weil die Krone höchst aufrichtig und höchst
gewissenhaft die Verfassung beobachtete, eine Zeit, in weicher das helle Licht
der Humanität fast jedem Einzelnen das Leben schöner und besser machte, wo
die gewaltige Zunahme des Reichthums und der nationalen Kraft auch den
Schwachen und Kleinen in früher unerhörter Weise zu gut kam, wo gegen die
starre Orthodoxie, gegen Standeövorurtheile und den Phariscusmus der privi-
legirten Classen eine reinere Sittlichkeit, freie Wissenschaft und eine weitverbreitete
Freude am Dasein in den Kampf traten. An jedem dieser Fortschritte hatte


billig, nicht gewissenlos und nicht unempfänglich gegen die Tüchtigkeit Fremder
macht, selbst wenn diese seine bittersten Feinde sein sollten. Es ist in seinen
Wesen eine heitere, offene Herzlichkeit unvertilgbar, sie ist ihm in den Perioden
der leidenschaftlichsten Aufregung nicht verloren gegangen, sie war in schlechten
Zeiten vielleicht die liebenswürdigste Eigenschaft unserer Natur. Diesen Vorzug
wenigstens besitzt das englische Volk im Ganzen betrachtet, nicht. Die tüchtige,
zuweilen schwerfällige Art zu empfinden ist nicht selten mit einer hartnäckigen
und kurzsichtigen Einseitigkeit des Urtheils verbunden, welches zeitweise die
herrschende Stimmung des Landes in auffallender Weise beschränkt, und mehr
als einmal Staatsmänner, Parlamente und Volk der Straße bis zu einer
gewaltthätigen Einseitigkeit erhitzt hat. in welcher alles Gefühl für Gerechtigkeit
und Wahrheit verloren ging. Wir wissen sehr wohl, auf solche Ausbrüche des
blinden Fanatismus kam jedesmal eine kräftige Reaction, aber die Krisen, in
denen dieser Furor der Teutonen oder Celten dort aufbrach, haben in alter und
neuer Zeit mehr als einmal die Blätter der englischen Geschichte mit Thaten
bezeichnet, auf welche kein Engländer stolz sein wird. Gerade bei solcher Be¬
schaffenheit der englischen Natur war Prinz Albert i» ausgezeichneter Weise
geeignet ein unbefangener Vermittler zu werden. Sein Leben war durch eine
Reihe von Jahren das Band, welches Engländer und Deutsche einander näherte.
Und nur bedauern tief, daß diese Verbindung sowohl für uns, als für das
Volt jenseits des Kanals verloren ist; nicht weil wir von der Politik der eng¬
lischen Regierung freundliche Zuneigung oder gar nationale Opfer unseren
Interessen zu Liebe beanspruchen, denn wir werden, was wir wollen und müssen,
auch ohne ihre guten Dienste durchsetzen. Aber wir halten es für ein Unglück,
daß Deutsche und Engländer aus Jahre hinaus einander mit kalter Abneigung
gegenüberstehen sollen. Und wir wissen nur, daß die Schuld dieser unnöthigen
Entfremdung nicht an uns liegt.

Es ist mehr als einmal gesagt, daß England einst auf die gute Zeit der
Königin Victoria und des Prinzen Albert mit Sehnsucht zurücksehen wird.
Denn das Leben des Prinzen hals für England eine Zeit herbeiführen, wie
sie seit Jahrhunderten als ein idealer Zustand des Staates ersehnt worden
war. eine Zeit, in welcher die Parteien in Schwäche versanken und die innern
Gegensätze ihre Schärfe verloren, weil die Krone höchst aufrichtig und höchst
gewissenhaft die Verfassung beobachtete, eine Zeit, in weicher das helle Licht
der Humanität fast jedem Einzelnen das Leben schöner und besser machte, wo
die gewaltige Zunahme des Reichthums und der nationalen Kraft auch den
Schwachen und Kleinen in früher unerhörter Weise zu gut kam, wo gegen die
starre Orthodoxie, gegen Standeövorurtheile und den Phariscusmus der privi-
legirten Classen eine reinere Sittlichkeit, freie Wissenschaft und eine weitverbreitete
Freude am Dasein in den Kampf traten. An jedem dieser Fortschritte hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/99>, abgerufen am 23.07.2024.