Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.dem wollte, und erst von einem späteren Ueberarbeiter die galilaischen Stücke Solche und andere Versuche gingen aus dem Interesse hervor, vom Johannes- dem wollte, und erst von einem späteren Ueberarbeiter die galilaischen Stücke Solche und andere Versuche gingen aus dem Interesse hervor, vom Johannes- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188667"/> <p xml:id="ID_289" prev="#ID_288"> dem wollte, und erst von einem späteren Ueberarbeiter die galilaischen Stücke<lb/> eingetragen worden seien. Allein wenn es schon schwer denkbar war, daß ein<lb/> Galiläer, nämlich der Apostel Johannes, gerade jenes außcrgaliläische Evange¬<lb/> lium geschrieben haben sollte, so scheiterte die ganze Hypothese an der nahe<lb/> liegenden Wahrnehmung, daß die drei besonders anstößigen Stücke, das Wun¬<lb/> der in Kana, die Heilung in die Ferne (von Kana nach Kapernaum) und die<lb/> Speisungsgeschichte, um nichts wunderbarer und unbegreiflicher sind als viele<lb/> andere Wunder, und daß, wenn die letzteren rationalisirt werden, wie z. B.<lb/> mit der Auferweckung des Lazarus geschah, auch die anderen durch eine künst¬<lb/> liche und rationalistische Auflegung verwässert werden konnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_290"> Solche und andere Versuche gingen aus dem Interesse hervor, vom Johannes-<lb/> cvangelium so viel als möglich zu retten. Dieses Interesse war nahe genug<lb/> gerückt, nachdem die Straußhahn Kritik eben die Glaubwürdigkeit dieses Evange¬<lb/> liums aus jedem Punkte angegriffen und dadurch seinen ganzen geschichtlichen<lb/> Charakter in ein bedenkliches Licht gestellt hatte. Wie in der Ahnung von<lb/> einem noch gewaltigeren Sturme gab man, um durch ein Opfer größeres Un¬<lb/> glück abzuwenden, einzelne Stücke des Evangeliums preis, in der Hoffnung,<lb/> wenigstens den Kern erhalten zu können. Denn ganz besonders war das<lb/> Jvhanncscvangelium der gläubigen und halbgläubigen Theologie an das Herz<lb/> gewachsen. Seit Schleiermacher war es ihr Licblingsevangclium. Es stimmte<lb/> so gut zu dem urbildlichen Christus, wie Schleiermacher ihn construirt hatte, es<lb/> allein gab den vollen Gottmenschen, es allein hatte jenen idealen geistigen<lb/> Charakter, in welchen die ganze Lehre des Christenthums sublimirt werden mußte,<lb/> um sie der Gegenwart mundrecht zu machen. Je mehr es nun gefährdet war,<lb/> um so ängstlicher und erfinderischer die Sorge, es zu retten. Um das Johannes-<lb/> cvangclium entbrannte von nun an der lebhafteste Kampf, hier wurden die<lb/> entscheidenden Schlachte» geschlagen. Aber um den Kampf mit ganzem Erfolg<lb/> führen zu können, genügte es nicht mehr blos das Verhältniß der vier Evange¬<lb/> lien unter einander zu untersuchen. Auf diesem Wege gelangte man nie zu<lb/> positiven Resultaten. Es mußte vielmehr der Hebel außerhalb angelegt werden,<lb/> in der nachapostvliscben Zeit, wo man mit unzweifelhaft geschichtlichen Factoren<lb/> operiren konnte. Von hier aus ließ sich dann erst nach rückwärts Schritt für<lb/> Schritt das verwirrende Dunkel ausheilen, in das bis jetzt noch das Ganze der<lb/> Evangclienliteratnr eingehüllt war. Wie ein Feldherr, der in entlegener Ferne<lb/> seine Heere geübt hat, so erschien nun F. Ch. Baur mit den Resultaten, die<lb/> er auf dem Feld der uachapostolischcn Literatur erzielt hatte, auf dem Schau¬<lb/> platz der Evangelienkritik und führte den Kampf mit solchem Nachdrucke, mit<lb/> solcher Unerschrockenheit und Ausdauer, bis er, wie Strauß sagte, zwar nicht<lb/> vor den Nichterstühlcn der Theologen, aber vor dem der Wissenschaft zu Gunsten<lb/> der Kritik entschieden war.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0097]
dem wollte, und erst von einem späteren Ueberarbeiter die galilaischen Stücke
eingetragen worden seien. Allein wenn es schon schwer denkbar war, daß ein
Galiläer, nämlich der Apostel Johannes, gerade jenes außcrgaliläische Evange¬
lium geschrieben haben sollte, so scheiterte die ganze Hypothese an der nahe
liegenden Wahrnehmung, daß die drei besonders anstößigen Stücke, das Wun¬
der in Kana, die Heilung in die Ferne (von Kana nach Kapernaum) und die
Speisungsgeschichte, um nichts wunderbarer und unbegreiflicher sind als viele
andere Wunder, und daß, wenn die letzteren rationalisirt werden, wie z. B.
mit der Auferweckung des Lazarus geschah, auch die anderen durch eine künst¬
liche und rationalistische Auflegung verwässert werden konnten.
Solche und andere Versuche gingen aus dem Interesse hervor, vom Johannes-
cvangelium so viel als möglich zu retten. Dieses Interesse war nahe genug
gerückt, nachdem die Straußhahn Kritik eben die Glaubwürdigkeit dieses Evange¬
liums aus jedem Punkte angegriffen und dadurch seinen ganzen geschichtlichen
Charakter in ein bedenkliches Licht gestellt hatte. Wie in der Ahnung von
einem noch gewaltigeren Sturme gab man, um durch ein Opfer größeres Un¬
glück abzuwenden, einzelne Stücke des Evangeliums preis, in der Hoffnung,
wenigstens den Kern erhalten zu können. Denn ganz besonders war das
Jvhanncscvangelium der gläubigen und halbgläubigen Theologie an das Herz
gewachsen. Seit Schleiermacher war es ihr Licblingsevangclium. Es stimmte
so gut zu dem urbildlichen Christus, wie Schleiermacher ihn construirt hatte, es
allein gab den vollen Gottmenschen, es allein hatte jenen idealen geistigen
Charakter, in welchen die ganze Lehre des Christenthums sublimirt werden mußte,
um sie der Gegenwart mundrecht zu machen. Je mehr es nun gefährdet war,
um so ängstlicher und erfinderischer die Sorge, es zu retten. Um das Johannes-
cvangclium entbrannte von nun an der lebhafteste Kampf, hier wurden die
entscheidenden Schlachte» geschlagen. Aber um den Kampf mit ganzem Erfolg
führen zu können, genügte es nicht mehr blos das Verhältniß der vier Evange¬
lien unter einander zu untersuchen. Auf diesem Wege gelangte man nie zu
positiven Resultaten. Es mußte vielmehr der Hebel außerhalb angelegt werden,
in der nachapostvliscben Zeit, wo man mit unzweifelhaft geschichtlichen Factoren
operiren konnte. Von hier aus ließ sich dann erst nach rückwärts Schritt für
Schritt das verwirrende Dunkel ausheilen, in das bis jetzt noch das Ganze der
Evangclienliteratnr eingehüllt war. Wie ein Feldherr, der in entlegener Ferne
seine Heere geübt hat, so erschien nun F. Ch. Baur mit den Resultaten, die
er auf dem Feld der uachapostolischcn Literatur erzielt hatte, auf dem Schau¬
platz der Evangelienkritik und führte den Kampf mit solchem Nachdrucke, mit
solcher Unerschrockenheit und Ausdauer, bis er, wie Strauß sagte, zwar nicht
vor den Nichterstühlcn der Theologen, aber vor dem der Wissenschaft zu Gunsten
der Kritik entschieden war.
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