Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Talent, das an Leichtigkeit. Anmuth und schlagendem Witz mit Lessing wett¬
eiferte, war den Gegnern unendlich voraus; es kam denjenigen, welche mit ihm
anbauten, in der Regel theuer zu stehen. Allein es flochten sich in das ge¬
wandte Spiel seiner "Streitschriften" zugleich die gründlichsten Nachweisungen
ein, durch welche die Position, die er eingenommen, befestigt, Stellen, welche
die Gegner als schwächer erspäht hatten, mit neuen Geschützen bewehrt wurden.
Von allen Seiten flogen die Geschosse. Der alte Rationalismus und Supra-
naturalismus, die hcngsicnbergsche Orthodoxie und die schleiermachersche Gesühls-
theologie. die schellingsche Naturmystik und die altgewordcne hegelsche Schule
-- alle suchten sich des unbequemen Feindes zu erwehre", der in keine der
herkömmlichen Kategorien passen wollte; mit allen war ein Gang zu thun, und
mit wahrem Behagen und zugleich aufopfernder Geduld unterzog sich der Kri¬
tiker diesem Geschäft.

Am unfruchtbarsten war natürlich der Streit mit der äußersten Rechten,
obwohl Hengstenberg wenigstens die allgemeine Bedeutung des Straußfeder Werth
richtig herausfühlte und anerkannte, daß Strauß eigentlich nur den Zeitgeist
zum Bewußtsein seiner selbst und der Consequenzen gebracht, die aus seinem
Grundwesen hervorgehen; ihn gelehrt habe, die fremdartigen Bestandtheile ab¬
zustreifen, die ihm aus Mangel an tüchtiger Durchbildung bisher "och bei¬
wohnte". Allein die Polemik wurde vom wissenschaftlichen sofort auf ein ganz
anderes Gebiet getragen, wenn Hengstenberg von Menschen ohne Herzen, von
unheilbaren geistigen Mißgeburten redete, und dem Verfasser des Lebens Jesu
das beichtväterliche Zeugniß ausstellte, er habe nur das Herz eines Leviathans,
das so hart ist wie Stein und so fest wie ein Stück vom untersten Mühl¬
stein. Bald mit erbaulichen Liederverscn bald mit einem Schwalle apokalyp¬
tischer Phrasen rief er das Wehe über die gottlosen Zweifler, welche das Licht
hasse", weil ihre Werke böse sind. Mit den Worten des Jeremias klagte
der bekümmerte Zion.swäcbtcr-. ach, daß ich Wasser genug in meinem Haupte
halte und meine Augen Thränenqucllen wären, daß ich Tag und Nacht be¬
weinen möchte die Erschlagenen in meine"! Volke, denn es sind eitel Ehebrecher
und ein frecher Haufe. Mit der Kritik wird aller Wissenschaft überhaupt,
unsern Denkern und Dichtern. Schiller und Goethe der Krieg erklärt: sie si"d
allzumal vom Samen des Ehebrechers und arbeiten im Dienst des Reichs
der Finsterniß. Selbst im Fetischdienst sei noch mehr religiöser Gehalt, als
im System des Pantheismus, der alles in seinen Molochsarmen erdrücke.
Besonders beliebt war in diesen Kreisen die Zusammenstellung Straußs mit
Judas Ischarioth, ein Vergleich, den der fromme Eschenmayer in Tübingen
aufbrachte. Es war eine Art von Polemik, die als literarisches Curiosum und
als für ihre Urheber bezeichnend, immerhin in der Geschichte aufbewahrt zu
werden verdient.


Talent, das an Leichtigkeit. Anmuth und schlagendem Witz mit Lessing wett¬
eiferte, war den Gegnern unendlich voraus; es kam denjenigen, welche mit ihm
anbauten, in der Regel theuer zu stehen. Allein es flochten sich in das ge¬
wandte Spiel seiner „Streitschriften" zugleich die gründlichsten Nachweisungen
ein, durch welche die Position, die er eingenommen, befestigt, Stellen, welche
die Gegner als schwächer erspäht hatten, mit neuen Geschützen bewehrt wurden.
Von allen Seiten flogen die Geschosse. Der alte Rationalismus und Supra-
naturalismus, die hcngsicnbergsche Orthodoxie und die schleiermachersche Gesühls-
theologie. die schellingsche Naturmystik und die altgewordcne hegelsche Schule
— alle suchten sich des unbequemen Feindes zu erwehre», der in keine der
herkömmlichen Kategorien passen wollte; mit allen war ein Gang zu thun, und
mit wahrem Behagen und zugleich aufopfernder Geduld unterzog sich der Kri¬
tiker diesem Geschäft.

Am unfruchtbarsten war natürlich der Streit mit der äußersten Rechten,
obwohl Hengstenberg wenigstens die allgemeine Bedeutung des Straußfeder Werth
richtig herausfühlte und anerkannte, daß Strauß eigentlich nur den Zeitgeist
zum Bewußtsein seiner selbst und der Consequenzen gebracht, die aus seinem
Grundwesen hervorgehen; ihn gelehrt habe, die fremdartigen Bestandtheile ab¬
zustreifen, die ihm aus Mangel an tüchtiger Durchbildung bisher »och bei¬
wohnte». Allein die Polemik wurde vom wissenschaftlichen sofort auf ein ganz
anderes Gebiet getragen, wenn Hengstenberg von Menschen ohne Herzen, von
unheilbaren geistigen Mißgeburten redete, und dem Verfasser des Lebens Jesu
das beichtväterliche Zeugniß ausstellte, er habe nur das Herz eines Leviathans,
das so hart ist wie Stein und so fest wie ein Stück vom untersten Mühl¬
stein. Bald mit erbaulichen Liederverscn bald mit einem Schwalle apokalyp¬
tischer Phrasen rief er das Wehe über die gottlosen Zweifler, welche das Licht
hasse», weil ihre Werke böse sind. Mit den Worten des Jeremias klagte
der bekümmerte Zion.swäcbtcr-. ach, daß ich Wasser genug in meinem Haupte
halte und meine Augen Thränenqucllen wären, daß ich Tag und Nacht be¬
weinen möchte die Erschlagenen in meine»! Volke, denn es sind eitel Ehebrecher
und ein frecher Haufe. Mit der Kritik wird aller Wissenschaft überhaupt,
unsern Denkern und Dichtern. Schiller und Goethe der Krieg erklärt: sie si»d
allzumal vom Samen des Ehebrechers und arbeiten im Dienst des Reichs
der Finsterniß. Selbst im Fetischdienst sei noch mehr religiöser Gehalt, als
im System des Pantheismus, der alles in seinen Molochsarmen erdrücke.
Besonders beliebt war in diesen Kreisen die Zusammenstellung Straußs mit
Judas Ischarioth, ein Vergleich, den der fromme Eschenmayer in Tübingen
aufbrachte. Es war eine Art von Polemik, die als literarisches Curiosum und
als für ihre Urheber bezeichnend, immerhin in der Geschichte aufbewahrt zu
werden verdient.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188659"/>
          <p xml:id="ID_272" prev="#ID_271"> Talent, das an Leichtigkeit. Anmuth und schlagendem Witz mit Lessing wett¬<lb/>
eiferte, war den Gegnern unendlich voraus; es kam denjenigen, welche mit ihm<lb/>
anbauten, in der Regel theuer zu stehen. Allein es flochten sich in das ge¬<lb/>
wandte Spiel seiner &#x201E;Streitschriften" zugleich die gründlichsten Nachweisungen<lb/>
ein, durch welche die Position, die er eingenommen, befestigt, Stellen, welche<lb/>
die Gegner als schwächer erspäht hatten, mit neuen Geschützen bewehrt wurden.<lb/>
Von allen Seiten flogen die Geschosse. Der alte Rationalismus und Supra-<lb/>
naturalismus, die hcngsicnbergsche Orthodoxie und die schleiermachersche Gesühls-<lb/>
theologie. die schellingsche Naturmystik und die altgewordcne hegelsche Schule<lb/>
&#x2014; alle suchten sich des unbequemen Feindes zu erwehre», der in keine der<lb/>
herkömmlichen Kategorien passen wollte; mit allen war ein Gang zu thun, und<lb/>
mit wahrem Behagen und zugleich aufopfernder Geduld unterzog sich der Kri¬<lb/>
tiker diesem Geschäft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_273"> Am unfruchtbarsten war natürlich der Streit mit der äußersten Rechten,<lb/>
obwohl Hengstenberg wenigstens die allgemeine Bedeutung des Straußfeder Werth<lb/>
richtig herausfühlte und anerkannte, daß Strauß eigentlich nur den Zeitgeist<lb/>
zum Bewußtsein seiner selbst und der Consequenzen gebracht, die aus seinem<lb/>
Grundwesen hervorgehen; ihn gelehrt habe, die fremdartigen Bestandtheile ab¬<lb/>
zustreifen, die ihm aus Mangel an tüchtiger Durchbildung bisher »och bei¬<lb/>
wohnte». Allein die Polemik wurde vom wissenschaftlichen sofort auf ein ganz<lb/>
anderes Gebiet getragen, wenn Hengstenberg von Menschen ohne Herzen, von<lb/>
unheilbaren geistigen Mißgeburten redete, und dem Verfasser des Lebens Jesu<lb/>
das beichtväterliche Zeugniß ausstellte, er habe nur das Herz eines Leviathans,<lb/>
das so hart ist wie Stein und so fest wie ein Stück vom untersten Mühl¬<lb/>
stein. Bald mit erbaulichen Liederverscn bald mit einem Schwalle apokalyp¬<lb/>
tischer Phrasen rief er das Wehe über die gottlosen Zweifler, welche das Licht<lb/>
hasse», weil ihre Werke böse sind. Mit den Worten des Jeremias klagte<lb/>
der bekümmerte Zion.swäcbtcr-. ach, daß ich Wasser genug in meinem Haupte<lb/>
halte und meine Augen Thränenqucllen wären, daß ich Tag und Nacht be¬<lb/>
weinen möchte die Erschlagenen in meine»! Volke, denn es sind eitel Ehebrecher<lb/>
und ein frecher Haufe. Mit der Kritik wird aller Wissenschaft überhaupt,<lb/>
unsern Denkern und Dichtern. Schiller und Goethe der Krieg erklärt: sie si»d<lb/>
allzumal vom Samen des Ehebrechers und arbeiten im Dienst des Reichs<lb/>
der Finsterniß. Selbst im Fetischdienst sei noch mehr religiöser Gehalt, als<lb/>
im System des Pantheismus, der alles in seinen Molochsarmen erdrücke.<lb/>
Besonders beliebt war in diesen Kreisen die Zusammenstellung Straußs mit<lb/>
Judas Ischarioth, ein Vergleich, den der fromme Eschenmayer in Tübingen<lb/>
aufbrachte. Es war eine Art von Polemik, die als literarisches Curiosum und<lb/>
als für ihre Urheber bezeichnend, immerhin in der Geschichte aufbewahrt zu<lb/>
werden verdient.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0089] Talent, das an Leichtigkeit. Anmuth und schlagendem Witz mit Lessing wett¬ eiferte, war den Gegnern unendlich voraus; es kam denjenigen, welche mit ihm anbauten, in der Regel theuer zu stehen. Allein es flochten sich in das ge¬ wandte Spiel seiner „Streitschriften" zugleich die gründlichsten Nachweisungen ein, durch welche die Position, die er eingenommen, befestigt, Stellen, welche die Gegner als schwächer erspäht hatten, mit neuen Geschützen bewehrt wurden. Von allen Seiten flogen die Geschosse. Der alte Rationalismus und Supra- naturalismus, die hcngsicnbergsche Orthodoxie und die schleiermachersche Gesühls- theologie. die schellingsche Naturmystik und die altgewordcne hegelsche Schule — alle suchten sich des unbequemen Feindes zu erwehre», der in keine der herkömmlichen Kategorien passen wollte; mit allen war ein Gang zu thun, und mit wahrem Behagen und zugleich aufopfernder Geduld unterzog sich der Kri¬ tiker diesem Geschäft. Am unfruchtbarsten war natürlich der Streit mit der äußersten Rechten, obwohl Hengstenberg wenigstens die allgemeine Bedeutung des Straußfeder Werth richtig herausfühlte und anerkannte, daß Strauß eigentlich nur den Zeitgeist zum Bewußtsein seiner selbst und der Consequenzen gebracht, die aus seinem Grundwesen hervorgehen; ihn gelehrt habe, die fremdartigen Bestandtheile ab¬ zustreifen, die ihm aus Mangel an tüchtiger Durchbildung bisher »och bei¬ wohnte». Allein die Polemik wurde vom wissenschaftlichen sofort auf ein ganz anderes Gebiet getragen, wenn Hengstenberg von Menschen ohne Herzen, von unheilbaren geistigen Mißgeburten redete, und dem Verfasser des Lebens Jesu das beichtväterliche Zeugniß ausstellte, er habe nur das Herz eines Leviathans, das so hart ist wie Stein und so fest wie ein Stück vom untersten Mühl¬ stein. Bald mit erbaulichen Liederverscn bald mit einem Schwalle apokalyp¬ tischer Phrasen rief er das Wehe über die gottlosen Zweifler, welche das Licht hasse», weil ihre Werke böse sind. Mit den Worten des Jeremias klagte der bekümmerte Zion.swäcbtcr-. ach, daß ich Wasser genug in meinem Haupte halte und meine Augen Thränenqucllen wären, daß ich Tag und Nacht be¬ weinen möchte die Erschlagenen in meine»! Volke, denn es sind eitel Ehebrecher und ein frecher Haufe. Mit der Kritik wird aller Wissenschaft überhaupt, unsern Denkern und Dichtern. Schiller und Goethe der Krieg erklärt: sie si»d allzumal vom Samen des Ehebrechers und arbeiten im Dienst des Reichs der Finsterniß. Selbst im Fetischdienst sei noch mehr religiöser Gehalt, als im System des Pantheismus, der alles in seinen Molochsarmen erdrücke. Besonders beliebt war in diesen Kreisen die Zusammenstellung Straußs mit Judas Ischarioth, ein Vergleich, den der fromme Eschenmayer in Tübingen aufbrachte. Es war eine Art von Polemik, die als literarisches Curiosum und als für ihre Urheber bezeichnend, immerhin in der Geschichte aufbewahrt zu werden verdient.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/89
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/89>, abgerufen am 25.08.2024.