Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gemachtes Wesen supponirt wurde. So Leonardo in seiner Epoche machenden
Komposition des Reitergefechts aus der siegreichen Schlacht, welche die Floren¬
tiner bei Anghiari über das mailändische Heer des Filippo Maria von Vis¬
conti gewannen (1440); so Titian in seinem durch den Brand zerstörten Wand¬
bilde im großen, Saal des Dogenpalastes, jener Schlacht von Ghiradadda, von
dessen Composition eine uns erhaltne Skizze des Meisters noch eine Anschauung
giebt. In dem phantastischen Aufputz der Krieger bei Leonardo zumal ist kaum '
ein Rüstungsstück, das an die wirkliche Waffentracht des fünfzehnten Jahr¬
hunderts erinnerte, -- doppelt ausfallend in einer Zeit und Kunst, welche es
liebte, alle andern, selbst die entlegensten, heiligen wie profanen Begebenheiten bei
der künstlerischen Darstellung in das eigenste Costüm der Gegenwart und des
Volkes selbst zu kleiden, welchem der Künstler angehörte.

Ganz im Gegensatz zu dem Italienern der Renaissance bringen die Deut¬
schen und Niederländer der gleichen Epoche auch auf diesem Gebiete der
kriegerischen Schilderung ihren Realismus bereits glänzend zur Geltung. Die
Zeichnungen des Maximilianzugs, des Wcißkunig und Theuerdank spiegeln das
Heerwesen der Landsknechte in allen seinen Details, spiegeln Kampf, Krieg,
Gefechtsweise im Ganzen der Anordnung, wie in den Specialicn der Waffen-
handtierung so geiht- und formgetreu wieder, wie Van Eycks wunderbare Attar-
tafcln von Gent die stahlglänzenden niederländisch-burgundischen Lanzenreiter
des Jahrhunderts zuvor. Niederländer und nächst ihnen Franzosen sind es
denn auch gewesen, die in einer etwas spätern geschichtlichen Periode, während
der endlosen Kriegszüge des siebzehnten Jahrhunderts die Heere ins Feld be¬
gleiteten, speciell zu dem Zweck, den Krieg als malerischen Gegenstand zu
studiren. Die Rugendas, die Huchtenburg, die van der Meuten, die Callot
haben von dem, was sie malten, wirklich etwas gesehen, sind "mit dabei ge¬
wesen", und wenn zumal der dritte der Genannten in der hofmalerischen
Schmeichelei gegen seinen auftraggebenden Helden Louis le Grand es oft ge¬
nug im Vorgrund, wo er ihn umgeben von seinen Paladinen auf bäumenden
Schlachtroß Paradiren läßt, mit der actenmäßigen Wahrheit nicht allzu genau
nahm, so möchte man auf solche bei den seine Vor- und Mittelgrunde ein¬
nehmenden Gefechts- und Belagerungsbildern schwören. Das Wesentliche
darin ist von der Natur selbst skizzirt und einem treuen Gedächtniß eingeprägt
und keinenfalls das Product einer es besser als die Wirklichkeit wissen wollen¬
den Phantasie.

Aber der Sinn der Menschen, und zumal der Großen dieser Epoche,
stand noch zu sehr unter der Macht und Einwirkung der classischen Tradi¬
tionen, der idealistischen Bildung der Renaissance, als daß ihnen mit solcher
nur wahrheitsgemäßen Vcrbildlichung ihrer kriegerischen Großthaten allein ge¬
dient gewesen wäre. Die rechte Genugthuung fanden sie doch nur, ihre Thaten


gemachtes Wesen supponirt wurde. So Leonardo in seiner Epoche machenden
Komposition des Reitergefechts aus der siegreichen Schlacht, welche die Floren¬
tiner bei Anghiari über das mailändische Heer des Filippo Maria von Vis¬
conti gewannen (1440); so Titian in seinem durch den Brand zerstörten Wand¬
bilde im großen, Saal des Dogenpalastes, jener Schlacht von Ghiradadda, von
dessen Composition eine uns erhaltne Skizze des Meisters noch eine Anschauung
giebt. In dem phantastischen Aufputz der Krieger bei Leonardo zumal ist kaum '
ein Rüstungsstück, das an die wirkliche Waffentracht des fünfzehnten Jahr¬
hunderts erinnerte, — doppelt ausfallend in einer Zeit und Kunst, welche es
liebte, alle andern, selbst die entlegensten, heiligen wie profanen Begebenheiten bei
der künstlerischen Darstellung in das eigenste Costüm der Gegenwart und des
Volkes selbst zu kleiden, welchem der Künstler angehörte.

Ganz im Gegensatz zu dem Italienern der Renaissance bringen die Deut¬
schen und Niederländer der gleichen Epoche auch auf diesem Gebiete der
kriegerischen Schilderung ihren Realismus bereits glänzend zur Geltung. Die
Zeichnungen des Maximilianzugs, des Wcißkunig und Theuerdank spiegeln das
Heerwesen der Landsknechte in allen seinen Details, spiegeln Kampf, Krieg,
Gefechtsweise im Ganzen der Anordnung, wie in den Specialicn der Waffen-
handtierung so geiht- und formgetreu wieder, wie Van Eycks wunderbare Attar-
tafcln von Gent die stahlglänzenden niederländisch-burgundischen Lanzenreiter
des Jahrhunderts zuvor. Niederländer und nächst ihnen Franzosen sind es
denn auch gewesen, die in einer etwas spätern geschichtlichen Periode, während
der endlosen Kriegszüge des siebzehnten Jahrhunderts die Heere ins Feld be¬
gleiteten, speciell zu dem Zweck, den Krieg als malerischen Gegenstand zu
studiren. Die Rugendas, die Huchtenburg, die van der Meuten, die Callot
haben von dem, was sie malten, wirklich etwas gesehen, sind „mit dabei ge¬
wesen", und wenn zumal der dritte der Genannten in der hofmalerischen
Schmeichelei gegen seinen auftraggebenden Helden Louis le Grand es oft ge¬
nug im Vorgrund, wo er ihn umgeben von seinen Paladinen auf bäumenden
Schlachtroß Paradiren läßt, mit der actenmäßigen Wahrheit nicht allzu genau
nahm, so möchte man auf solche bei den seine Vor- und Mittelgrunde ein¬
nehmenden Gefechts- und Belagerungsbildern schwören. Das Wesentliche
darin ist von der Natur selbst skizzirt und einem treuen Gedächtniß eingeprägt
und keinenfalls das Product einer es besser als die Wirklichkeit wissen wollen¬
den Phantasie.

Aber der Sinn der Menschen, und zumal der Großen dieser Epoche,
stand noch zu sehr unter der Macht und Einwirkung der classischen Tradi¬
tionen, der idealistischen Bildung der Renaissance, als daß ihnen mit solcher
nur wahrheitsgemäßen Vcrbildlichung ihrer kriegerischen Großthaten allein ge¬
dient gewesen wäre. Die rechte Genugthuung fanden sie doch nur, ihre Thaten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189057"/>
          <p xml:id="ID_1691" prev="#ID_1690"> gemachtes Wesen supponirt wurde. So Leonardo in seiner Epoche machenden<lb/>
Komposition des Reitergefechts aus der siegreichen Schlacht, welche die Floren¬<lb/>
tiner bei Anghiari über das mailändische Heer des Filippo Maria von Vis¬<lb/>
conti gewannen (1440); so Titian in seinem durch den Brand zerstörten Wand¬<lb/>
bilde im großen, Saal des Dogenpalastes, jener Schlacht von Ghiradadda, von<lb/>
dessen Composition eine uns erhaltne Skizze des Meisters noch eine Anschauung<lb/>
giebt. In dem phantastischen Aufputz der Krieger bei Leonardo zumal ist kaum '<lb/>
ein Rüstungsstück, das an die wirkliche Waffentracht des fünfzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts erinnerte, &#x2014; doppelt ausfallend in einer Zeit und Kunst, welche es<lb/>
liebte, alle andern, selbst die entlegensten, heiligen wie profanen Begebenheiten bei<lb/>
der künstlerischen Darstellung in das eigenste Costüm der Gegenwart und des<lb/>
Volkes selbst zu kleiden, welchem der Künstler angehörte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1692"> Ganz im Gegensatz zu dem Italienern der Renaissance bringen die Deut¬<lb/>
schen und Niederländer der gleichen Epoche auch auf diesem Gebiete der<lb/>
kriegerischen Schilderung ihren Realismus bereits glänzend zur Geltung. Die<lb/>
Zeichnungen des Maximilianzugs, des Wcißkunig und Theuerdank spiegeln das<lb/>
Heerwesen der Landsknechte in allen seinen Details, spiegeln Kampf, Krieg,<lb/>
Gefechtsweise im Ganzen der Anordnung, wie in den Specialicn der Waffen-<lb/>
handtierung so geiht- und formgetreu wieder, wie Van Eycks wunderbare Attar-<lb/>
tafcln von Gent die stahlglänzenden niederländisch-burgundischen Lanzenreiter<lb/>
des Jahrhunderts zuvor. Niederländer und nächst ihnen Franzosen sind es<lb/>
denn auch gewesen, die in einer etwas spätern geschichtlichen Periode, während<lb/>
der endlosen Kriegszüge des siebzehnten Jahrhunderts die Heere ins Feld be¬<lb/>
gleiteten, speciell zu dem Zweck, den Krieg als malerischen Gegenstand zu<lb/>
studiren. Die Rugendas, die Huchtenburg, die van der Meuten, die Callot<lb/>
haben von dem, was sie malten, wirklich etwas gesehen, sind &#x201E;mit dabei ge¬<lb/>
wesen", und wenn zumal der dritte der Genannten in der hofmalerischen<lb/>
Schmeichelei gegen seinen auftraggebenden Helden Louis le Grand es oft ge¬<lb/>
nug im Vorgrund, wo er ihn umgeben von seinen Paladinen auf bäumenden<lb/>
Schlachtroß Paradiren läßt, mit der actenmäßigen Wahrheit nicht allzu genau<lb/>
nahm, so möchte man auf solche bei den seine Vor- und Mittelgrunde ein¬<lb/>
nehmenden Gefechts- und Belagerungsbildern schwören. Das Wesentliche<lb/>
darin ist von der Natur selbst skizzirt und einem treuen Gedächtniß eingeprägt<lb/>
und keinenfalls das Product einer es besser als die Wirklichkeit wissen wollen¬<lb/>
den Phantasie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1693" next="#ID_1694"> Aber der Sinn der Menschen, und zumal der Großen dieser Epoche,<lb/>
stand noch zu sehr unter der Macht und Einwirkung der classischen Tradi¬<lb/>
tionen, der idealistischen Bildung der Renaissance, als daß ihnen mit solcher<lb/>
nur wahrheitsgemäßen Vcrbildlichung ihrer kriegerischen Großthaten allein ge¬<lb/>
dient gewesen wäre. Die rechte Genugthuung fanden sie doch nur, ihre Thaten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0496] gemachtes Wesen supponirt wurde. So Leonardo in seiner Epoche machenden Komposition des Reitergefechts aus der siegreichen Schlacht, welche die Floren¬ tiner bei Anghiari über das mailändische Heer des Filippo Maria von Vis¬ conti gewannen (1440); so Titian in seinem durch den Brand zerstörten Wand¬ bilde im großen, Saal des Dogenpalastes, jener Schlacht von Ghiradadda, von dessen Composition eine uns erhaltne Skizze des Meisters noch eine Anschauung giebt. In dem phantastischen Aufputz der Krieger bei Leonardo zumal ist kaum ' ein Rüstungsstück, das an die wirkliche Waffentracht des fünfzehnten Jahr¬ hunderts erinnerte, — doppelt ausfallend in einer Zeit und Kunst, welche es liebte, alle andern, selbst die entlegensten, heiligen wie profanen Begebenheiten bei der künstlerischen Darstellung in das eigenste Costüm der Gegenwart und des Volkes selbst zu kleiden, welchem der Künstler angehörte. Ganz im Gegensatz zu dem Italienern der Renaissance bringen die Deut¬ schen und Niederländer der gleichen Epoche auch auf diesem Gebiete der kriegerischen Schilderung ihren Realismus bereits glänzend zur Geltung. Die Zeichnungen des Maximilianzugs, des Wcißkunig und Theuerdank spiegeln das Heerwesen der Landsknechte in allen seinen Details, spiegeln Kampf, Krieg, Gefechtsweise im Ganzen der Anordnung, wie in den Specialicn der Waffen- handtierung so geiht- und formgetreu wieder, wie Van Eycks wunderbare Attar- tafcln von Gent die stahlglänzenden niederländisch-burgundischen Lanzenreiter des Jahrhunderts zuvor. Niederländer und nächst ihnen Franzosen sind es denn auch gewesen, die in einer etwas spätern geschichtlichen Periode, während der endlosen Kriegszüge des siebzehnten Jahrhunderts die Heere ins Feld be¬ gleiteten, speciell zu dem Zweck, den Krieg als malerischen Gegenstand zu studiren. Die Rugendas, die Huchtenburg, die van der Meuten, die Callot haben von dem, was sie malten, wirklich etwas gesehen, sind „mit dabei ge¬ wesen", und wenn zumal der dritte der Genannten in der hofmalerischen Schmeichelei gegen seinen auftraggebenden Helden Louis le Grand es oft ge¬ nug im Vorgrund, wo er ihn umgeben von seinen Paladinen auf bäumenden Schlachtroß Paradiren läßt, mit der actenmäßigen Wahrheit nicht allzu genau nahm, so möchte man auf solche bei den seine Vor- und Mittelgrunde ein¬ nehmenden Gefechts- und Belagerungsbildern schwören. Das Wesentliche darin ist von der Natur selbst skizzirt und einem treuen Gedächtniß eingeprägt und keinenfalls das Product einer es besser als die Wirklichkeit wissen wollen¬ den Phantasie. Aber der Sinn der Menschen, und zumal der Großen dieser Epoche, stand noch zu sehr unter der Macht und Einwirkung der classischen Tradi¬ tionen, der idealistischen Bildung der Renaissance, als daß ihnen mit solcher nur wahrheitsgemäßen Vcrbildlichung ihrer kriegerischen Großthaten allein ge¬ dient gewesen wäre. Die rechte Genugthuung fanden sie doch nur, ihre Thaten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/496
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/496>, abgerufen am 23.07.2024.