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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Das künstliche Großmachtsgebäudc Preußens konnte aber die Erschütterungen,
die daraus hervorgehen mußten, nicht vertragen.

So entwickelte sich der Plan, von einer neuen Octroyirung Umgang zu
nehmen, und aus der Verfassung von 1850, unter Mitwirkung beeinflußter
Kammern, die bedenklichsten Punkte herauszubringen, und das Verfassungsgc-
bäude nach und nach auf ein System des altdeutschen Landtages, dessen Namen
vorerst wieder angenommen wurde, zurückzuführen.

Dieser Plan wurde von der königlichen Negierung bis zur Einsetzung der
Regentschaft befolgt. Dann trat eine Aenderung des Systems ein. Wesentliche
Anhänger der parlamentarischen Regierung wurden in den Rath der Krone be¬
rufen; die unter ihr?in Einflüsse geschehenden Neuwahlen des Abgeordneten¬
hauses stellten ein in der großen Mehrzahl seiner Mitglieder liberales Haus
her. Das geänderte System wurde mit dem Namen der "neuen Aera" belegt.

Diese hatte in der ersten Session des jetzigen Abgeordnetenhauses ihren
Honigmonat. Aber schon in der zweiten Session traten, bei Gelegenheit der
Armee-Neformfragc, auffallende, dem Staatswohle nicht zusagende Prätensionen
des Abgeordnetenhauses ans Licht, die sich in der jetzigen dritten Session, bei
Gelegenheit verschiedener die Kompetenz des Hauses überschreitender Fragen
noch steigerten. Es wurde klar, daß das Ministerium in dem Hause die Lei¬
tung völlig verloren hatte, die es nur durch Unterhandlungen und Transactio¬
nen auszuüben vermochte. Das Abgeordnetenhaus steuerte offenbar auf die
parlamentarische Regierung hin, mit der auch das Herrenhaus zu kokettiren ansing-

Man hat oben die gewichtigen Gründe angeführt, aus denen eine wirkliche
parlamentarische Regierung nicht für Preußen paßt; das Gewicht dieser Gründe
dürfte sich im Stillen bereits auch selbst denen, welche die neue Aera ein¬
weihten, aufgedrungen haben, und diese Männer bereits zur Erkenntniß ge¬
langt sein, daß die parlamentarischen Befugnisse, welche viae Uebelstand den
Landtagen der mittleren und kleinen deutschen Staaten eingeräumt werden
konnten, in der Verfassung eines Reichs, und vorzüglich eines künstlichen, nur
Verwirrung anzurichten geeignet sein dürfte".

Heute liegt es, bei der Haltung des Heeres und der Masse des Beamten-
thums, noch in der Hand der Krone, ob sie einen Theil ihrer Souveränetät in
die Hände des Abgeordnetenhauses übergehen lassen will, oder nicht? Sie
kann die parlamentarische Regierung noch abwenden, ohne einen Staatsstreich
zu vollziehen, oder wesentlich aus den Formen der Verfassung herauszutreten.
Was, bei der jetzigen Lage Europas, zu vermeiden sehr wünschenswert!) er¬
schiene. Noch kann die Regierung dieses Ziel erreichen, ohne tiefgreifende Er¬
schütterungen hervorzurufen, wenn sie. den Kammern gegenüber, ein festes
System consequent verfolgt und darauf Verzicht leistet, selbige vermittelst einer
Fülle von Concessionen und Manövern fügsam zu machen, wobei diese und ihr


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Das künstliche Großmachtsgebäudc Preußens konnte aber die Erschütterungen,
die daraus hervorgehen mußten, nicht vertragen.

So entwickelte sich der Plan, von einer neuen Octroyirung Umgang zu
nehmen, und aus der Verfassung von 1850, unter Mitwirkung beeinflußter
Kammern, die bedenklichsten Punkte herauszubringen, und das Verfassungsgc-
bäude nach und nach auf ein System des altdeutschen Landtages, dessen Namen
vorerst wieder angenommen wurde, zurückzuführen.

Dieser Plan wurde von der königlichen Negierung bis zur Einsetzung der
Regentschaft befolgt. Dann trat eine Aenderung des Systems ein. Wesentliche
Anhänger der parlamentarischen Regierung wurden in den Rath der Krone be¬
rufen; die unter ihr?in Einflüsse geschehenden Neuwahlen des Abgeordneten¬
hauses stellten ein in der großen Mehrzahl seiner Mitglieder liberales Haus
her. Das geänderte System wurde mit dem Namen der „neuen Aera" belegt.

Diese hatte in der ersten Session des jetzigen Abgeordnetenhauses ihren
Honigmonat. Aber schon in der zweiten Session traten, bei Gelegenheit der
Armee-Neformfragc, auffallende, dem Staatswohle nicht zusagende Prätensionen
des Abgeordnetenhauses ans Licht, die sich in der jetzigen dritten Session, bei
Gelegenheit verschiedener die Kompetenz des Hauses überschreitender Fragen
noch steigerten. Es wurde klar, daß das Ministerium in dem Hause die Lei¬
tung völlig verloren hatte, die es nur durch Unterhandlungen und Transactio¬
nen auszuüben vermochte. Das Abgeordnetenhaus steuerte offenbar auf die
parlamentarische Regierung hin, mit der auch das Herrenhaus zu kokettiren ansing-

Man hat oben die gewichtigen Gründe angeführt, aus denen eine wirkliche
parlamentarische Regierung nicht für Preußen paßt; das Gewicht dieser Gründe
dürfte sich im Stillen bereits auch selbst denen, welche die neue Aera ein¬
weihten, aufgedrungen haben, und diese Männer bereits zur Erkenntniß ge¬
langt sein, daß die parlamentarischen Befugnisse, welche viae Uebelstand den
Landtagen der mittleren und kleinen deutschen Staaten eingeräumt werden
konnten, in der Verfassung eines Reichs, und vorzüglich eines künstlichen, nur
Verwirrung anzurichten geeignet sein dürfte».

Heute liegt es, bei der Haltung des Heeres und der Masse des Beamten-
thums, noch in der Hand der Krone, ob sie einen Theil ihrer Souveränetät in
die Hände des Abgeordnetenhauses übergehen lassen will, oder nicht? Sie
kann die parlamentarische Regierung noch abwenden, ohne einen Staatsstreich
zu vollziehen, oder wesentlich aus den Formen der Verfassung herauszutreten.
Was, bei der jetzigen Lage Europas, zu vermeiden sehr wünschenswert!) er¬
schiene. Noch kann die Regierung dieses Ziel erreichen, ohne tiefgreifende Er¬
schütterungen hervorzurufen, wenn sie. den Kammern gegenüber, ein festes
System consequent verfolgt und darauf Verzicht leistet, selbige vermittelst einer
Fülle von Concessionen und Manövern fügsam zu machen, wobei diese und ihr


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[0491] Das künstliche Großmachtsgebäudc Preußens konnte aber die Erschütterungen, die daraus hervorgehen mußten, nicht vertragen. So entwickelte sich der Plan, von einer neuen Octroyirung Umgang zu nehmen, und aus der Verfassung von 1850, unter Mitwirkung beeinflußter Kammern, die bedenklichsten Punkte herauszubringen, und das Verfassungsgc- bäude nach und nach auf ein System des altdeutschen Landtages, dessen Namen vorerst wieder angenommen wurde, zurückzuführen. Dieser Plan wurde von der königlichen Negierung bis zur Einsetzung der Regentschaft befolgt. Dann trat eine Aenderung des Systems ein. Wesentliche Anhänger der parlamentarischen Regierung wurden in den Rath der Krone be¬ rufen; die unter ihr?in Einflüsse geschehenden Neuwahlen des Abgeordneten¬ hauses stellten ein in der großen Mehrzahl seiner Mitglieder liberales Haus her. Das geänderte System wurde mit dem Namen der „neuen Aera" belegt. Diese hatte in der ersten Session des jetzigen Abgeordnetenhauses ihren Honigmonat. Aber schon in der zweiten Session traten, bei Gelegenheit der Armee-Neformfragc, auffallende, dem Staatswohle nicht zusagende Prätensionen des Abgeordnetenhauses ans Licht, die sich in der jetzigen dritten Session, bei Gelegenheit verschiedener die Kompetenz des Hauses überschreitender Fragen noch steigerten. Es wurde klar, daß das Ministerium in dem Hause die Lei¬ tung völlig verloren hatte, die es nur durch Unterhandlungen und Transactio¬ nen auszuüben vermochte. Das Abgeordnetenhaus steuerte offenbar auf die parlamentarische Regierung hin, mit der auch das Herrenhaus zu kokettiren ansing- Man hat oben die gewichtigen Gründe angeführt, aus denen eine wirkliche parlamentarische Regierung nicht für Preußen paßt; das Gewicht dieser Gründe dürfte sich im Stillen bereits auch selbst denen, welche die neue Aera ein¬ weihten, aufgedrungen haben, und diese Männer bereits zur Erkenntniß ge¬ langt sein, daß die parlamentarischen Befugnisse, welche viae Uebelstand den Landtagen der mittleren und kleinen deutschen Staaten eingeräumt werden konnten, in der Verfassung eines Reichs, und vorzüglich eines künstlichen, nur Verwirrung anzurichten geeignet sein dürfte». Heute liegt es, bei der Haltung des Heeres und der Masse des Beamten- thums, noch in der Hand der Krone, ob sie einen Theil ihrer Souveränetät in die Hände des Abgeordnetenhauses übergehen lassen will, oder nicht? Sie kann die parlamentarische Regierung noch abwenden, ohne einen Staatsstreich zu vollziehen, oder wesentlich aus den Formen der Verfassung herauszutreten. Was, bei der jetzigen Lage Europas, zu vermeiden sehr wünschenswert!) er¬ schiene. Noch kann die Regierung dieses Ziel erreichen, ohne tiefgreifende Er¬ schütterungen hervorzurufen, wenn sie. den Kammern gegenüber, ein festes System consequent verfolgt und darauf Verzicht leistet, selbige vermittelst einer Fülle von Concessionen und Manövern fügsam zu machen, wobei diese und ihr 61"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/491>, abgerufen am 23.07.2024.