Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Pläne der Reaction in Preußen.

Gestatten Sie, Herr Redacteur, daß Ihnen in folgendem Schriftstück ein
Beleg dafür mitgetheilt wird, wie planvoll seit Jahren die reaktionäre Partei
für Umgestaltung des preußischen Staatslebens gearbeitet hat. Das beifol¬
gende Memorial ist jetzt vor drei Jahren geschrieben. Es hat damals in den
hohen Kreisen, worin dasselbe circulirte, Aufnahme und Beachtung gefunden,
es ist seit dieser Zeit bedeutungsvoll geworden, weil entweder seine Einwir¬
kung oder der Zwang der Verhältnisse Stimmung und Tendenz genau aus den
Weg geführt hat, welchen das Schriftstück mit vielem Scharfsinn und zuver¬
lässig mit genauer Kenntniß der betreffenden Persönlichkeiten absteckt. Nach
mancher Richtung freilich ist das herrschende System bereits über die Resul¬
tate, welche die Denkschrift für wünschenswerth erachtet, hinausgekommen; An¬
deres ist noch als Wunsch und stille Forderung zurück.

Das Memorial ist schon früher vielfach von der Presse erwähnt und in
einzelnen Stellen ausgezogen worden, und die Oeffentlichkeit hat ein gewisses
Recht darauf. Da dem Einsender der oder die Verfasser gänzlich unbekannt
sind, darf er dasselbe wohl, wie es ihm ein Zufall in die Hände brachte, ohne
Verletzung irgendeiner persönlichen Rücksicht Ihnen zur Veröffentlichung ein¬
senden, zumal die Schrift in der Gegenwart nicht mehr als eine indivi¬
duelle Auffassung eines Einzelnen erscheint, sondern als Ausdruck einer wohl¬
durchdachten und consequenten Parteipolitik.

Es ist jetzt, wo Preußen in einer großen Frage beschäftigt ist, welche die
Kraft und die einmüthige Wirksamkeit aller Parteien in Anspruch nimmt, nicht
die Absicht, der preußischen Regierung innere Schwierigkeiten aufzuregen, und
diese Veröffentlichung soll zunächst dem historischen Interesse dienen.

In den letzten Monaten hat die Fraction der extremen Konservativen --
der Kreuzzeitung, welcher die Verfasser dieses Memorandums offenbar nicht
ganz angehören -- ebenfalls ein Parteiprogramm entworfen und dem Ver¬
nehmen nach auch zukünftige Negierungseventualitäten ins Auge gefaßt. Es
wäre lehrreich, auch dieses Parteiprogramm kennen zu lernen. Das Programm
einer großen politischen Partei ist keine Pnvatangclegenhcit derselben, und wenn
sie dasselbe der Oeffentlichkeit entzieht, so berechtigt sie zu dem Verdacht, daß


Grenzboten II. 1864. - 61
Die Pläne der Reaction in Preußen.

Gestatten Sie, Herr Redacteur, daß Ihnen in folgendem Schriftstück ein
Beleg dafür mitgetheilt wird, wie planvoll seit Jahren die reaktionäre Partei
für Umgestaltung des preußischen Staatslebens gearbeitet hat. Das beifol¬
gende Memorial ist jetzt vor drei Jahren geschrieben. Es hat damals in den
hohen Kreisen, worin dasselbe circulirte, Aufnahme und Beachtung gefunden,
es ist seit dieser Zeit bedeutungsvoll geworden, weil entweder seine Einwir¬
kung oder der Zwang der Verhältnisse Stimmung und Tendenz genau aus den
Weg geführt hat, welchen das Schriftstück mit vielem Scharfsinn und zuver¬
lässig mit genauer Kenntniß der betreffenden Persönlichkeiten absteckt. Nach
mancher Richtung freilich ist das herrschende System bereits über die Resul¬
tate, welche die Denkschrift für wünschenswerth erachtet, hinausgekommen; An¬
deres ist noch als Wunsch und stille Forderung zurück.

Das Memorial ist schon früher vielfach von der Presse erwähnt und in
einzelnen Stellen ausgezogen worden, und die Oeffentlichkeit hat ein gewisses
Recht darauf. Da dem Einsender der oder die Verfasser gänzlich unbekannt
sind, darf er dasselbe wohl, wie es ihm ein Zufall in die Hände brachte, ohne
Verletzung irgendeiner persönlichen Rücksicht Ihnen zur Veröffentlichung ein¬
senden, zumal die Schrift in der Gegenwart nicht mehr als eine indivi¬
duelle Auffassung eines Einzelnen erscheint, sondern als Ausdruck einer wohl¬
durchdachten und consequenten Parteipolitik.

Es ist jetzt, wo Preußen in einer großen Frage beschäftigt ist, welche die
Kraft und die einmüthige Wirksamkeit aller Parteien in Anspruch nimmt, nicht
die Absicht, der preußischen Regierung innere Schwierigkeiten aufzuregen, und
diese Veröffentlichung soll zunächst dem historischen Interesse dienen.

In den letzten Monaten hat die Fraction der extremen Konservativen —
der Kreuzzeitung, welcher die Verfasser dieses Memorandums offenbar nicht
ganz angehören — ebenfalls ein Parteiprogramm entworfen und dem Ver¬
nehmen nach auch zukünftige Negierungseventualitäten ins Auge gefaßt. Es
wäre lehrreich, auch dieses Parteiprogramm kennen zu lernen. Das Programm
einer großen politischen Partei ist keine Pnvatangclegenhcit derselben, und wenn
sie dasselbe der Oeffentlichkeit entzieht, so berechtigt sie zu dem Verdacht, daß


Grenzboten II. 1864. - 61
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189050"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Pläne der Reaction in Preußen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1656"> Gestatten Sie, Herr Redacteur, daß Ihnen in folgendem Schriftstück ein<lb/>
Beleg dafür mitgetheilt wird, wie planvoll seit Jahren die reaktionäre Partei<lb/>
für Umgestaltung des preußischen Staatslebens gearbeitet hat. Das beifol¬<lb/>
gende Memorial ist jetzt vor drei Jahren geschrieben. Es hat damals in den<lb/>
hohen Kreisen, worin dasselbe circulirte, Aufnahme und Beachtung gefunden,<lb/>
es ist seit dieser Zeit bedeutungsvoll geworden, weil entweder seine Einwir¬<lb/>
kung oder der Zwang der Verhältnisse Stimmung und Tendenz genau aus den<lb/>
Weg geführt hat, welchen das Schriftstück mit vielem Scharfsinn und zuver¬<lb/>
lässig mit genauer Kenntniß der betreffenden Persönlichkeiten absteckt. Nach<lb/>
mancher Richtung freilich ist das herrschende System bereits über die Resul¬<lb/>
tate, welche die Denkschrift für wünschenswerth erachtet, hinausgekommen; An¬<lb/>
deres ist noch als Wunsch und stille Forderung zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1657"> Das Memorial ist schon früher vielfach von der Presse erwähnt und in<lb/>
einzelnen Stellen ausgezogen worden, und die Oeffentlichkeit hat ein gewisses<lb/>
Recht darauf. Da dem Einsender der oder die Verfasser gänzlich unbekannt<lb/>
sind, darf er dasselbe wohl, wie es ihm ein Zufall in die Hände brachte, ohne<lb/>
Verletzung irgendeiner persönlichen Rücksicht Ihnen zur Veröffentlichung ein¬<lb/>
senden, zumal die Schrift in der Gegenwart nicht mehr als eine indivi¬<lb/>
duelle Auffassung eines Einzelnen erscheint, sondern als Ausdruck einer wohl¬<lb/>
durchdachten und consequenten Parteipolitik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1658"> Es ist jetzt, wo Preußen in einer großen Frage beschäftigt ist, welche die<lb/>
Kraft und die einmüthige Wirksamkeit aller Parteien in Anspruch nimmt, nicht<lb/>
die Absicht, der preußischen Regierung innere Schwierigkeiten aufzuregen, und<lb/>
diese Veröffentlichung soll zunächst dem historischen Interesse dienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1659" next="#ID_1660"> In den letzten Monaten hat die Fraction der extremen Konservativen &#x2014;<lb/>
der Kreuzzeitung, welcher die Verfasser dieses Memorandums offenbar nicht<lb/>
ganz angehören &#x2014; ebenfalls ein Parteiprogramm entworfen und dem Ver¬<lb/>
nehmen nach auch zukünftige Negierungseventualitäten ins Auge gefaßt. Es<lb/>
wäre lehrreich, auch dieses Parteiprogramm kennen zu lernen. Das Programm<lb/>
einer großen politischen Partei ist keine Pnvatangclegenhcit derselben, und wenn<lb/>
sie dasselbe der Oeffentlichkeit entzieht, so berechtigt sie zu dem Verdacht, daß</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1864. - 61</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] Die Pläne der Reaction in Preußen. Gestatten Sie, Herr Redacteur, daß Ihnen in folgendem Schriftstück ein Beleg dafür mitgetheilt wird, wie planvoll seit Jahren die reaktionäre Partei für Umgestaltung des preußischen Staatslebens gearbeitet hat. Das beifol¬ gende Memorial ist jetzt vor drei Jahren geschrieben. Es hat damals in den hohen Kreisen, worin dasselbe circulirte, Aufnahme und Beachtung gefunden, es ist seit dieser Zeit bedeutungsvoll geworden, weil entweder seine Einwir¬ kung oder der Zwang der Verhältnisse Stimmung und Tendenz genau aus den Weg geführt hat, welchen das Schriftstück mit vielem Scharfsinn und zuver¬ lässig mit genauer Kenntniß der betreffenden Persönlichkeiten absteckt. Nach mancher Richtung freilich ist das herrschende System bereits über die Resul¬ tate, welche die Denkschrift für wünschenswerth erachtet, hinausgekommen; An¬ deres ist noch als Wunsch und stille Forderung zurück. Das Memorial ist schon früher vielfach von der Presse erwähnt und in einzelnen Stellen ausgezogen worden, und die Oeffentlichkeit hat ein gewisses Recht darauf. Da dem Einsender der oder die Verfasser gänzlich unbekannt sind, darf er dasselbe wohl, wie es ihm ein Zufall in die Hände brachte, ohne Verletzung irgendeiner persönlichen Rücksicht Ihnen zur Veröffentlichung ein¬ senden, zumal die Schrift in der Gegenwart nicht mehr als eine indivi¬ duelle Auffassung eines Einzelnen erscheint, sondern als Ausdruck einer wohl¬ durchdachten und consequenten Parteipolitik. Es ist jetzt, wo Preußen in einer großen Frage beschäftigt ist, welche die Kraft und die einmüthige Wirksamkeit aller Parteien in Anspruch nimmt, nicht die Absicht, der preußischen Regierung innere Schwierigkeiten aufzuregen, und diese Veröffentlichung soll zunächst dem historischen Interesse dienen. In den letzten Monaten hat die Fraction der extremen Konservativen — der Kreuzzeitung, welcher die Verfasser dieses Memorandums offenbar nicht ganz angehören — ebenfalls ein Parteiprogramm entworfen und dem Ver¬ nehmen nach auch zukünftige Negierungseventualitäten ins Auge gefaßt. Es wäre lehrreich, auch dieses Parteiprogramm kennen zu lernen. Das Programm einer großen politischen Partei ist keine Pnvatangclegenhcit derselben, und wenn sie dasselbe der Oeffentlichkeit entzieht, so berechtigt sie zu dem Verdacht, daß Grenzboten II. 1864. - 61

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/489>, abgerufen am 23.07.2024.