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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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sind aber politisch ebenso gute Franzosen wie die Pariser. "Jag er tydsk," be¬
hauptete bei der großen Schleswiger-Deputation in Kiel ein Bäuerlein aus
dem Sundewitt. obwohl es des Deutschen so wenig mächtig war wie mancher
gut preußisch Gesinnte des Berlinerischen, welches nachgerade zur Sprache aller
gebildeten Preußen werden zu wollen scheint.

Sprache und Sitte thun'ö also nicht allein; auch der Wille verlangt eine
gewisse Berücksichtigung. Wenn solche Rücksichtnahme früher nicht geboten war
und zwar deshalb nichl, weil in diesen urparadiesischcn Zeiten eben noch kein
Wille vorhanden war und die Völker sich in der Regel als bloßes Zubehör
zu den großen Rittergütern, als welche man zu Anfang des achtzehnten Jahr¬
hunderts die Staaten zu betrachten gelernt hatte, und deshalb als ohne Em-
spruchsrecht auf den Congressen der Besitzer dieser Güter theilbar, abtretbar
und verkäuflich anzusehen gewohnt waren, so ist dies heutzutage anders, wenig¬
stens im Begriff, anders zu werden.

In jener guten alten naiven Zeit nun wußte man weder in Dänemark
von einem Gegensatz gegen die Herzogthümer, noch in den letzteren von einem
solchen gegen ersteres. Gelegentlich tauchte wohl einmal etwas der Art auf,
aber nur, um bald wieder zu verschwinden. Beide Herzogthümer hießen im
Volksmunde des Königreichs "Holsteen", ihre Bewohner, auch die plattdänisch
redenden, "Holsteener". Wie die meisten Holsteiner nichts dawider hatten, wenn
sie im Auslande für Dänen, ihre Schiffe für "Danske Eiendom" gälte", so
ließen sich die nordschleswigschen Südjüten von den Kopcnhagnern ohne
Widerspruch "Tydster" nennen. Es waren Zustände wie etwa in Deutsch-
Oestreich , bevor das Czechcnthum vom Baum der Erkenntniß gegessen hatte.
Die Verdeutschung des mittlern Stücks von Schleswig ging ruhig ihren Gang.
Das niedere Volk sah sie gleichgiltig wie ein Naturereignis;, wie Svmmerwer-
dcn an. Der bessern Classe dagegen erschien die Sprache des Südens als vornehm
und zugleich als nützlich, und wie selbst auf den dänischen Inseln bemühte sich
auch hier alles, was auf Bildung Anspruch erhob, desgleichen alles, was etwas
vom Süden zu kaufen, etwas dahin zu verkaufen hatte, deutsch zu lernen. Am
6. Mai 1836 beantragte in der schleswigschen Ständeversammlung ein bäuer¬
licher Abgeordneter aus Nordschleswig. Petersen von Dalby (nahe bei Kolding),
jeder Schullehrer, der dort Anstellung wünsche, müsse auch in der deutschen
Sprache eine Prüfung bestehen, in jeder Schule müsse auch deutscher Unter¬
richt ertheilt werden.

Es ist wahr, die deutsche Gerichtssprache mochte manchem kleinen Mann
nicht bequem vorkommen, die deutsche Kirchensprache nicht überall die Erbauung
befördern, und es begab sich ein-, oder zweimal, daß die Empfindung davon
laut wurde. Eine nationale Verschiedenheit aber fühlte man darum nicht, die
',taufte Holsteenere" waren eben auch Holsteiner.


Grenjbotm II. 1864. 58

sind aber politisch ebenso gute Franzosen wie die Pariser. „Jag er tydsk," be¬
hauptete bei der großen Schleswiger-Deputation in Kiel ein Bäuerlein aus
dem Sundewitt. obwohl es des Deutschen so wenig mächtig war wie mancher
gut preußisch Gesinnte des Berlinerischen, welches nachgerade zur Sprache aller
gebildeten Preußen werden zu wollen scheint.

Sprache und Sitte thun'ö also nicht allein; auch der Wille verlangt eine
gewisse Berücksichtigung. Wenn solche Rücksichtnahme früher nicht geboten war
und zwar deshalb nichl, weil in diesen urparadiesischcn Zeiten eben noch kein
Wille vorhanden war und die Völker sich in der Regel als bloßes Zubehör
zu den großen Rittergütern, als welche man zu Anfang des achtzehnten Jahr¬
hunderts die Staaten zu betrachten gelernt hatte, und deshalb als ohne Em-
spruchsrecht auf den Congressen der Besitzer dieser Güter theilbar, abtretbar
und verkäuflich anzusehen gewohnt waren, so ist dies heutzutage anders, wenig¬
stens im Begriff, anders zu werden.

In jener guten alten naiven Zeit nun wußte man weder in Dänemark
von einem Gegensatz gegen die Herzogthümer, noch in den letzteren von einem
solchen gegen ersteres. Gelegentlich tauchte wohl einmal etwas der Art auf,
aber nur, um bald wieder zu verschwinden. Beide Herzogthümer hießen im
Volksmunde des Königreichs „Holsteen", ihre Bewohner, auch die plattdänisch
redenden, „Holsteener". Wie die meisten Holsteiner nichts dawider hatten, wenn
sie im Auslande für Dänen, ihre Schiffe für „Danske Eiendom" gälte», so
ließen sich die nordschleswigschen Südjüten von den Kopcnhagnern ohne
Widerspruch „Tydster" nennen. Es waren Zustände wie etwa in Deutsch-
Oestreich , bevor das Czechcnthum vom Baum der Erkenntniß gegessen hatte.
Die Verdeutschung des mittlern Stücks von Schleswig ging ruhig ihren Gang.
Das niedere Volk sah sie gleichgiltig wie ein Naturereignis;, wie Svmmerwer-
dcn an. Der bessern Classe dagegen erschien die Sprache des Südens als vornehm
und zugleich als nützlich, und wie selbst auf den dänischen Inseln bemühte sich
auch hier alles, was auf Bildung Anspruch erhob, desgleichen alles, was etwas
vom Süden zu kaufen, etwas dahin zu verkaufen hatte, deutsch zu lernen. Am
6. Mai 1836 beantragte in der schleswigschen Ständeversammlung ein bäuer¬
licher Abgeordneter aus Nordschleswig. Petersen von Dalby (nahe bei Kolding),
jeder Schullehrer, der dort Anstellung wünsche, müsse auch in der deutschen
Sprache eine Prüfung bestehen, in jeder Schule müsse auch deutscher Unter¬
richt ertheilt werden.

Es ist wahr, die deutsche Gerichtssprache mochte manchem kleinen Mann
nicht bequem vorkommen, die deutsche Kirchensprache nicht überall die Erbauung
befördern, und es begab sich ein-, oder zweimal, daß die Empfindung davon
laut wurde. Eine nationale Verschiedenheit aber fühlte man darum nicht, die
',taufte Holsteenere" waren eben auch Holsteiner.


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[0465] sind aber politisch ebenso gute Franzosen wie die Pariser. „Jag er tydsk," be¬ hauptete bei der großen Schleswiger-Deputation in Kiel ein Bäuerlein aus dem Sundewitt. obwohl es des Deutschen so wenig mächtig war wie mancher gut preußisch Gesinnte des Berlinerischen, welches nachgerade zur Sprache aller gebildeten Preußen werden zu wollen scheint. Sprache und Sitte thun'ö also nicht allein; auch der Wille verlangt eine gewisse Berücksichtigung. Wenn solche Rücksichtnahme früher nicht geboten war und zwar deshalb nichl, weil in diesen urparadiesischcn Zeiten eben noch kein Wille vorhanden war und die Völker sich in der Regel als bloßes Zubehör zu den großen Rittergütern, als welche man zu Anfang des achtzehnten Jahr¬ hunderts die Staaten zu betrachten gelernt hatte, und deshalb als ohne Em- spruchsrecht auf den Congressen der Besitzer dieser Güter theilbar, abtretbar und verkäuflich anzusehen gewohnt waren, so ist dies heutzutage anders, wenig¬ stens im Begriff, anders zu werden. In jener guten alten naiven Zeit nun wußte man weder in Dänemark von einem Gegensatz gegen die Herzogthümer, noch in den letzteren von einem solchen gegen ersteres. Gelegentlich tauchte wohl einmal etwas der Art auf, aber nur, um bald wieder zu verschwinden. Beide Herzogthümer hießen im Volksmunde des Königreichs „Holsteen", ihre Bewohner, auch die plattdänisch redenden, „Holsteener". Wie die meisten Holsteiner nichts dawider hatten, wenn sie im Auslande für Dänen, ihre Schiffe für „Danske Eiendom" gälte», so ließen sich die nordschleswigschen Südjüten von den Kopcnhagnern ohne Widerspruch „Tydster" nennen. Es waren Zustände wie etwa in Deutsch- Oestreich , bevor das Czechcnthum vom Baum der Erkenntniß gegessen hatte. Die Verdeutschung des mittlern Stücks von Schleswig ging ruhig ihren Gang. Das niedere Volk sah sie gleichgiltig wie ein Naturereignis;, wie Svmmerwer- dcn an. Der bessern Classe dagegen erschien die Sprache des Südens als vornehm und zugleich als nützlich, und wie selbst auf den dänischen Inseln bemühte sich auch hier alles, was auf Bildung Anspruch erhob, desgleichen alles, was etwas vom Süden zu kaufen, etwas dahin zu verkaufen hatte, deutsch zu lernen. Am 6. Mai 1836 beantragte in der schleswigschen Ständeversammlung ein bäuer¬ licher Abgeordneter aus Nordschleswig. Petersen von Dalby (nahe bei Kolding), jeder Schullehrer, der dort Anstellung wünsche, müsse auch in der deutschen Sprache eine Prüfung bestehen, in jeder Schule müsse auch deutscher Unter¬ richt ertheilt werden. Es ist wahr, die deutsche Gerichtssprache mochte manchem kleinen Mann nicht bequem vorkommen, die deutsche Kirchensprache nicht überall die Erbauung befördern, und es begab sich ein-, oder zweimal, daß die Empfindung davon laut wurde. Eine nationale Verschiedenheit aber fühlte man darum nicht, die ',taufte Holsteenere" waren eben auch Holsteiner. Grenjbotm II. 1864. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/465>, abgerufen am 23.07.2024.