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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Roggen stehen gut). Aber ganz dieselben Verlegenheiten werden eintreten, wenn
ein Berliner von schwäbischen oder zürcher Bauern in ihrem Dialekt angeredet
wird, oder ein Echtester sich unter kölner oder holsteincr Pole, das seine platte
Mundart redet, versetzt sieht, und doch wird niemand behaupten wollen, daß
der Schwabe und der Zürcher nicht ein ebenso guter Deutscher wie der Berliner,
der Schlesier nicht gleicher Nationalität wie der Kölner und der Holsteincr sei.

Das Raben- oder Kartoffeldänisch Nordschleswigs und Südjütlcmds würde
sich von der dänischen Schriftsprache nur wie Platt- von Hochdeutsch und nicht
einmal so sehr unterscheiden, wenn es nicht einige wichtigere Differenzen zwischen
den beiden Idiomen gäbe. Dahin gehört zunächst als die Hauptsache, daß der
Nordschleswiger, während die Jnseldänen den bestimmten Artikel dem Substantiv
anhängen, falls kein Adjectiv beigefügt worden ist, den Artikel immer nach
deutscher Weise voranstellt. Die Redeweise der Jnseldänen ist in dieser Be¬
ziehung die aller Skandinavier, während der Dialekt Nordschleswigs in dieser
Hinsicht mit dem der Südjüten übereinstimmt. Die Eigenthümlichkeit, daß die
Nordschleswiger die Artikel "den" und "et" nicht anfügen, sondern statt deren
sowohl im Singular als im Plural ein "ä" vorsetzen und folglich nicht Marder,
Huset, sondern ä Maud, ä Hus, nicht Mändcne, Huscnc, sondern ni Maud,
ä Hus sagen, ist auch 'unter den Südjüten und zwar bis an die Seen um
Skanderborg und den Himmelberg allgemein verbreitet. Sie folgt darauf der
Gudenaa bis an deren Biegung nach Osten, wendet sich dann gegen Westen
und geht östlich um Viborg gegen den Limfjord hinaus, indem sie Thy mit¬
begreift. Ferner, während die Jnseldänen wie die übrigen Skandinavier das
Passionen ohne Hilfszeitwort, durch bloße Flexion bilden, wird es im Nord-
schleswigschen und ebenso in dem Dialekt des eben bezeichneten südjütische"
Landstrichs wie in der deutschen Sprache gehalten, also ein Auxiliarverbum ge¬
braucht. Ein Unterschied zwischen dem südjütischen Idiom und dem nordschlcs-
wigschen herrscht nur insofern, als in letzterem in plattdeutscher Weise, nicht
in der sehr eigenthümlichen dänischen, gezählt wird, als der Nordschleswiger
überhaupt eine Anzahl plattdeutscher Wörter, z. B. Finke (hochdeutsch: Tasche; dä¬
nisch: Lvmme)Koat, (hochdeutsch: Hütte; dänisch: Hytte; plattdeutsch: Käthe) in
seinen Vvcabelnvorrath aufgenommen hat, und der Südjüte die Vocale und
manche Eonsonanten etwas anders ausspricht als jener.

Dagegen hat der Südjüte mit dem Nordschleswiger außer jenem Gebrauch
des Artikels und des Hilfszeitworts noch eine nicht unbedeutende Zahl von
Ausdrücken gemein, welche weder der Inseldäne, noch der Deutsche kennt. Dahin
gehören die Wörter: Obod (dänisch: Godtgjvrelse; deutsch: Vergütung), feig
(dänisch: heftend til at toe; deutsch: zu sterben bestimmt), hugroe sig (dänisch:
more sig i sendet; deutsch: still vergnügt sein), trop (dänisch: vittig, rast;
deutsch: witzig, rasch), knüste (dänisch: smaahoste; deutsch: düfteln), Lune


Grenzboten II. 1864. 52

Roggen stehen gut). Aber ganz dieselben Verlegenheiten werden eintreten, wenn
ein Berliner von schwäbischen oder zürcher Bauern in ihrem Dialekt angeredet
wird, oder ein Echtester sich unter kölner oder holsteincr Pole, das seine platte
Mundart redet, versetzt sieht, und doch wird niemand behaupten wollen, daß
der Schwabe und der Zürcher nicht ein ebenso guter Deutscher wie der Berliner,
der Schlesier nicht gleicher Nationalität wie der Kölner und der Holsteincr sei.

Das Raben- oder Kartoffeldänisch Nordschleswigs und Südjütlcmds würde
sich von der dänischen Schriftsprache nur wie Platt- von Hochdeutsch und nicht
einmal so sehr unterscheiden, wenn es nicht einige wichtigere Differenzen zwischen
den beiden Idiomen gäbe. Dahin gehört zunächst als die Hauptsache, daß der
Nordschleswiger, während die Jnseldänen den bestimmten Artikel dem Substantiv
anhängen, falls kein Adjectiv beigefügt worden ist, den Artikel immer nach
deutscher Weise voranstellt. Die Redeweise der Jnseldänen ist in dieser Be¬
ziehung die aller Skandinavier, während der Dialekt Nordschleswigs in dieser
Hinsicht mit dem der Südjüten übereinstimmt. Die Eigenthümlichkeit, daß die
Nordschleswiger die Artikel „den" und „et" nicht anfügen, sondern statt deren
sowohl im Singular als im Plural ein „ä" vorsetzen und folglich nicht Marder,
Huset, sondern ä Maud, ä Hus, nicht Mändcne, Huscnc, sondern ni Maud,
ä Hus sagen, ist auch 'unter den Südjüten und zwar bis an die Seen um
Skanderborg und den Himmelberg allgemein verbreitet. Sie folgt darauf der
Gudenaa bis an deren Biegung nach Osten, wendet sich dann gegen Westen
und geht östlich um Viborg gegen den Limfjord hinaus, indem sie Thy mit¬
begreift. Ferner, während die Jnseldänen wie die übrigen Skandinavier das
Passionen ohne Hilfszeitwort, durch bloße Flexion bilden, wird es im Nord-
schleswigschen und ebenso in dem Dialekt des eben bezeichneten südjütische»
Landstrichs wie in der deutschen Sprache gehalten, also ein Auxiliarverbum ge¬
braucht. Ein Unterschied zwischen dem südjütischen Idiom und dem nordschlcs-
wigschen herrscht nur insofern, als in letzterem in plattdeutscher Weise, nicht
in der sehr eigenthümlichen dänischen, gezählt wird, als der Nordschleswiger
überhaupt eine Anzahl plattdeutscher Wörter, z. B. Finke (hochdeutsch: Tasche; dä¬
nisch: Lvmme)Koat, (hochdeutsch: Hütte; dänisch: Hytte; plattdeutsch: Käthe) in
seinen Vvcabelnvorrath aufgenommen hat, und der Südjüte die Vocale und
manche Eonsonanten etwas anders ausspricht als jener.

Dagegen hat der Südjüte mit dem Nordschleswiger außer jenem Gebrauch
des Artikels und des Hilfszeitworts noch eine nicht unbedeutende Zahl von
Ausdrücken gemein, welche weder der Inseldäne, noch der Deutsche kennt. Dahin
gehören die Wörter: Obod (dänisch: Godtgjvrelse; deutsch: Vergütung), feig
(dänisch: heftend til at toe; deutsch: zu sterben bestimmt), hugroe sig (dänisch:
more sig i sendet; deutsch: still vergnügt sein), trop (dänisch: vittig, rast;
deutsch: witzig, rasch), knüste (dänisch: smaahoste; deutsch: düfteln), Lune


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[0417] Roggen stehen gut). Aber ganz dieselben Verlegenheiten werden eintreten, wenn ein Berliner von schwäbischen oder zürcher Bauern in ihrem Dialekt angeredet wird, oder ein Echtester sich unter kölner oder holsteincr Pole, das seine platte Mundart redet, versetzt sieht, und doch wird niemand behaupten wollen, daß der Schwabe und der Zürcher nicht ein ebenso guter Deutscher wie der Berliner, der Schlesier nicht gleicher Nationalität wie der Kölner und der Holsteincr sei. Das Raben- oder Kartoffeldänisch Nordschleswigs und Südjütlcmds würde sich von der dänischen Schriftsprache nur wie Platt- von Hochdeutsch und nicht einmal so sehr unterscheiden, wenn es nicht einige wichtigere Differenzen zwischen den beiden Idiomen gäbe. Dahin gehört zunächst als die Hauptsache, daß der Nordschleswiger, während die Jnseldänen den bestimmten Artikel dem Substantiv anhängen, falls kein Adjectiv beigefügt worden ist, den Artikel immer nach deutscher Weise voranstellt. Die Redeweise der Jnseldänen ist in dieser Be¬ ziehung die aller Skandinavier, während der Dialekt Nordschleswigs in dieser Hinsicht mit dem der Südjüten übereinstimmt. Die Eigenthümlichkeit, daß die Nordschleswiger die Artikel „den" und „et" nicht anfügen, sondern statt deren sowohl im Singular als im Plural ein „ä" vorsetzen und folglich nicht Marder, Huset, sondern ä Maud, ä Hus, nicht Mändcne, Huscnc, sondern ni Maud, ä Hus sagen, ist auch 'unter den Südjüten und zwar bis an die Seen um Skanderborg und den Himmelberg allgemein verbreitet. Sie folgt darauf der Gudenaa bis an deren Biegung nach Osten, wendet sich dann gegen Westen und geht östlich um Viborg gegen den Limfjord hinaus, indem sie Thy mit¬ begreift. Ferner, während die Jnseldänen wie die übrigen Skandinavier das Passionen ohne Hilfszeitwort, durch bloße Flexion bilden, wird es im Nord- schleswigschen und ebenso in dem Dialekt des eben bezeichneten südjütische» Landstrichs wie in der deutschen Sprache gehalten, also ein Auxiliarverbum ge¬ braucht. Ein Unterschied zwischen dem südjütischen Idiom und dem nordschlcs- wigschen herrscht nur insofern, als in letzterem in plattdeutscher Weise, nicht in der sehr eigenthümlichen dänischen, gezählt wird, als der Nordschleswiger überhaupt eine Anzahl plattdeutscher Wörter, z. B. Finke (hochdeutsch: Tasche; dä¬ nisch: Lvmme)Koat, (hochdeutsch: Hütte; dänisch: Hytte; plattdeutsch: Käthe) in seinen Vvcabelnvorrath aufgenommen hat, und der Südjüte die Vocale und manche Eonsonanten etwas anders ausspricht als jener. Dagegen hat der Südjüte mit dem Nordschleswiger außer jenem Gebrauch des Artikels und des Hilfszeitworts noch eine nicht unbedeutende Zahl von Ausdrücken gemein, welche weder der Inseldäne, noch der Deutsche kennt. Dahin gehören die Wörter: Obod (dänisch: Godtgjvrelse; deutsch: Vergütung), feig (dänisch: heftend til at toe; deutsch: zu sterben bestimmt), hugroe sig (dänisch: more sig i sendet; deutsch: still vergnügt sein), trop (dänisch: vittig, rast; deutsch: witzig, rasch), knüste (dänisch: smaahoste; deutsch: düfteln), Lune Grenzboten II. 1864. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/417>, abgerufen am 23.07.2024.