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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Stadt. Fahrenstedt und in fast allen Kirchspielen Angelus im gewöhnlichen Ver¬
kehr nur Plattdeutsch und daneben Hochdeutsch gesprochen.

In Dänisch-Wohld und Schwansen sind auch Sitte und Bauart der Häuser
durchaus dieselben wie im benachbarten Holstein, und dasselbe gilt von der Landes-
mittc im Süden. Früher war dies auf den beiden Halbinseln, wie schon die Namen
derselben (Schwansen -- Svansö -- Schwancninsel) und die zahlreichen däni¬
schen oder an das Dänische anklingenden Ortsnamen. vorzüglich in Schwansen,
z. B. Gammelby. Fleckeby, Tumby. Eschclsmark, Ornum andeuten, nicht so.
Wenn im dänischen Wohld der alte Dialekt ausgestorben ist, wissen wir nicht.
Dagegen ist nachznwcisc", daß derselbe in Schwansen noch um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts von Vielen, namentlich in den Dörfern an der Schlei,
neben dem Plattdeutschen geredet wurde.

Eidcrstedt, von Friesen bewohnt, hat schon seit geraumer Zeit das frie>
fische Idiom mit dem seiner südlichen und östlichen Nachbarn vertauscht. In
Angeln dagegen sprach man noch vor hundert Jahren und in den meisten
nördlichen Kirchspielen bis in die ersten beiden Decennien des jetzigen Jahr¬
hunderts hinein fast nur den Jargon, welcher als Anglcrdänisch bezeichnet wird
und dem Patois der Südjütcn nahe verwandt ist. Dieses Idiom ist gegen¬
wärtig zwar bis auf zwei oder drei Kirchspiele in der Gegend von Glücksburg
und einzelne alte Leute sowie einige neuerdings vom Norden in die nordwest¬
lichen Harder der Landschaft eingewanderte Dienstboten völlig vergessen. Das
Schriftdänisch, welches das Sprachrescript der tyrannischen Zeit von 1850 bis
1863 den Schulkindern einzutreiben gebot, hat nirgends Wurzeln zu schlagen
vermocht; die dänische Predigt dieser traurigen Periode konnte schon deshalb
noch weniger die gewünschte Frucht bringen, weil niemand sie hören mochte,
und von den fünfzigtausend Einwohnern des Ländchens verstehen und sprechen
sicher keine fünftausend irgendeinen dänischen Satz. Allein das ganze Gebahren,
der ganze Habitus des Anglers läßt noch immer bemerken, daß er andern Stam¬
mes ist als das Volk südlich der Schlei. Schon die Bauart der älteren Ge¬
höfte, in der sich der sächsische Stil (vgl. Grenzb. 1864. Heft 14) mit dem süd¬
jütischen mischt, deutet dies an. Ferner gehören hierher die großen Hochzeiten,
welche im Süden nicht, wohl aber im Norden vorkommen. Dann muß an den
Holzschuh erinnert werden, der die Fußbekleidung des Anglers wie des Nord-
schleswigers und des Juden bildet, während er jenseits der Schlei und des
Dannewerts nicht allgemein gebräuchlich ist. Nicht unbemerkt darf der eine und
der andere Nachklang dänischer Art in der Sprache (ich soll statt: ich werde, das
häufige: "Wie belieben?" die Übersetzung von "spät behagcr" u. a.) bleiben.
Vor allem aber sind die den Angler charakterisirende Aufgewecktheit und Zuthu-
lichkeit, sein schlaues Auftreten in allem Verkehr und andrerseits seine zögernde
Behutsamkeit - lauter Eigenschaften, die er mit dem Nordschleswiger theilt,


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Stadt. Fahrenstedt und in fast allen Kirchspielen Angelus im gewöhnlichen Ver¬
kehr nur Plattdeutsch und daneben Hochdeutsch gesprochen.

In Dänisch-Wohld und Schwansen sind auch Sitte und Bauart der Häuser
durchaus dieselben wie im benachbarten Holstein, und dasselbe gilt von der Landes-
mittc im Süden. Früher war dies auf den beiden Halbinseln, wie schon die Namen
derselben (Schwansen — Svansö — Schwancninsel) und die zahlreichen däni¬
schen oder an das Dänische anklingenden Ortsnamen. vorzüglich in Schwansen,
z. B. Gammelby. Fleckeby, Tumby. Eschclsmark, Ornum andeuten, nicht so.
Wenn im dänischen Wohld der alte Dialekt ausgestorben ist, wissen wir nicht.
Dagegen ist nachznwcisc», daß derselbe in Schwansen noch um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts von Vielen, namentlich in den Dörfern an der Schlei,
neben dem Plattdeutschen geredet wurde.

Eidcrstedt, von Friesen bewohnt, hat schon seit geraumer Zeit das frie>
fische Idiom mit dem seiner südlichen und östlichen Nachbarn vertauscht. In
Angeln dagegen sprach man noch vor hundert Jahren und in den meisten
nördlichen Kirchspielen bis in die ersten beiden Decennien des jetzigen Jahr¬
hunderts hinein fast nur den Jargon, welcher als Anglcrdänisch bezeichnet wird
und dem Patois der Südjütcn nahe verwandt ist. Dieses Idiom ist gegen¬
wärtig zwar bis auf zwei oder drei Kirchspiele in der Gegend von Glücksburg
und einzelne alte Leute sowie einige neuerdings vom Norden in die nordwest¬
lichen Harder der Landschaft eingewanderte Dienstboten völlig vergessen. Das
Schriftdänisch, welches das Sprachrescript der tyrannischen Zeit von 1850 bis
1863 den Schulkindern einzutreiben gebot, hat nirgends Wurzeln zu schlagen
vermocht; die dänische Predigt dieser traurigen Periode konnte schon deshalb
noch weniger die gewünschte Frucht bringen, weil niemand sie hören mochte,
und von den fünfzigtausend Einwohnern des Ländchens verstehen und sprechen
sicher keine fünftausend irgendeinen dänischen Satz. Allein das ganze Gebahren,
der ganze Habitus des Anglers läßt noch immer bemerken, daß er andern Stam¬
mes ist als das Volk südlich der Schlei. Schon die Bauart der älteren Ge¬
höfte, in der sich der sächsische Stil (vgl. Grenzb. 1864. Heft 14) mit dem süd¬
jütischen mischt, deutet dies an. Ferner gehören hierher die großen Hochzeiten,
welche im Süden nicht, wohl aber im Norden vorkommen. Dann muß an den
Holzschuh erinnert werden, der die Fußbekleidung des Anglers wie des Nord-
schleswigers und des Juden bildet, während er jenseits der Schlei und des
Dannewerts nicht allgemein gebräuchlich ist. Nicht unbemerkt darf der eine und
der andere Nachklang dänischer Art in der Sprache (ich soll statt: ich werde, das
häufige: „Wie belieben?" die Übersetzung von „spät behagcr" u. a.) bleiben.
Vor allem aber sind die den Angler charakterisirende Aufgewecktheit und Zuthu-
lichkeit, sein schlaues Auftreten in allem Verkehr und andrerseits seine zögernde
Behutsamkeit - lauter Eigenschaften, die er mit dem Nordschleswiger theilt,


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[0411] Stadt. Fahrenstedt und in fast allen Kirchspielen Angelus im gewöhnlichen Ver¬ kehr nur Plattdeutsch und daneben Hochdeutsch gesprochen. In Dänisch-Wohld und Schwansen sind auch Sitte und Bauart der Häuser durchaus dieselben wie im benachbarten Holstein, und dasselbe gilt von der Landes- mittc im Süden. Früher war dies auf den beiden Halbinseln, wie schon die Namen derselben (Schwansen — Svansö — Schwancninsel) und die zahlreichen däni¬ schen oder an das Dänische anklingenden Ortsnamen. vorzüglich in Schwansen, z. B. Gammelby. Fleckeby, Tumby. Eschclsmark, Ornum andeuten, nicht so. Wenn im dänischen Wohld der alte Dialekt ausgestorben ist, wissen wir nicht. Dagegen ist nachznwcisc», daß derselbe in Schwansen noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von Vielen, namentlich in den Dörfern an der Schlei, neben dem Plattdeutschen geredet wurde. Eidcrstedt, von Friesen bewohnt, hat schon seit geraumer Zeit das frie> fische Idiom mit dem seiner südlichen und östlichen Nachbarn vertauscht. In Angeln dagegen sprach man noch vor hundert Jahren und in den meisten nördlichen Kirchspielen bis in die ersten beiden Decennien des jetzigen Jahr¬ hunderts hinein fast nur den Jargon, welcher als Anglcrdänisch bezeichnet wird und dem Patois der Südjütcn nahe verwandt ist. Dieses Idiom ist gegen¬ wärtig zwar bis auf zwei oder drei Kirchspiele in der Gegend von Glücksburg und einzelne alte Leute sowie einige neuerdings vom Norden in die nordwest¬ lichen Harder der Landschaft eingewanderte Dienstboten völlig vergessen. Das Schriftdänisch, welches das Sprachrescript der tyrannischen Zeit von 1850 bis 1863 den Schulkindern einzutreiben gebot, hat nirgends Wurzeln zu schlagen vermocht; die dänische Predigt dieser traurigen Periode konnte schon deshalb noch weniger die gewünschte Frucht bringen, weil niemand sie hören mochte, und von den fünfzigtausend Einwohnern des Ländchens verstehen und sprechen sicher keine fünftausend irgendeinen dänischen Satz. Allein das ganze Gebahren, der ganze Habitus des Anglers läßt noch immer bemerken, daß er andern Stam¬ mes ist als das Volk südlich der Schlei. Schon die Bauart der älteren Ge¬ höfte, in der sich der sächsische Stil (vgl. Grenzb. 1864. Heft 14) mit dem süd¬ jütischen mischt, deutet dies an. Ferner gehören hierher die großen Hochzeiten, welche im Süden nicht, wohl aber im Norden vorkommen. Dann muß an den Holzschuh erinnert werden, der die Fußbekleidung des Anglers wie des Nord- schleswigers und des Juden bildet, während er jenseits der Schlei und des Dannewerts nicht allgemein gebräuchlich ist. Nicht unbemerkt darf der eine und der andere Nachklang dänischer Art in der Sprache (ich soll statt: ich werde, das häufige: „Wie belieben?" die Übersetzung von „spät behagcr" u. a.) bleiben. Vor allem aber sind die den Angler charakterisirende Aufgewecktheit und Zuthu- lichkeit, sein schlaues Auftreten in allem Verkehr und andrerseits seine zögernde Behutsamkeit - lauter Eigenschaften, die er mit dem Nordschleswiger theilt, 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/411>, abgerufen am 23.07.2024.