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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Jesu verläuft auf verschiedene Weise, der Schauplatz seiner Wirksamkeit ist ein
anderer. Ereignisse werden erzählt, von denen die Synoptiker nicht nur nichts
wissen, sondern die wir auch in den Rahmen ihrer Geschichtserzählung gar
nicht einzufügen vermögen, und so umgekehrt, die Katastrophe wird auf eine
andere Weise herbeigeführt, die Lehrart Jesu, sein Bewußtsein von sich, von
seiner Sendung ist ein völlig anderes, ja, es ist ein ganz anderer Jesus, der
uns hier, und der uns dort geschildert wird. Fassen wir dann die Eigenthüm¬
lichkeiten, durch welche sich das vierte Evangelium von den andern unterscheidet,
zusammen, so stellen sie sich alle unter einen einheitlichen Gesichtspunkt, sie
laufen alle dahin zusammen, daß das Leben Jesu nicht einfach erzählt, sondern
verherrlicht und zwar von einer ganz bestimmten Idee aus verherrlicht wer¬
den soll.

Welches diese Idee ist, darüber läßt uns der Verfasser auch keinen Augen¬
blick im Zweifel. Denn gleich an die Spitze seines Evangeliums stellte er das
Programm, dessen weitere Ausführung die folgende Geschichtserzählung ist.
Jesus ist danach die persönliche Sclbstoffenbarung Gottes, das Princip der
Weltschöpfung, der Logos, das ist das Wort Gottes, von Ewigkeit her in Gott
und von Ewigkeit durch Gott gezeugt; er ist das Leben, durch welches alle
Menschen das Leben erhalten sollen, das Licht, das in die Finsterniß gesandt
wird, um sie zu erleuchten. Licht und Finsterniß sind die beiden großen Prin¬
cipien, welche den Verlauf der Welt bedingen, es ist also ein kosmischer Gegen¬
satz, von welchem der Evangelist ausgeht, ein Gegensatz, der durch das Erscheinen
des Logos im Fleische, durch den Glauben an Jesus als das erschienene Licht
aufgehoben werden soll, und die Geschichte Jesu ist nun der fortlaufende dia¬
lektische Proceß zwischen diesen beiden Mächten, zwischen dem Licht und der
Finsterniß, zwischen dem Glauben und dem Unglauben.

Von hier aus wird nun sowohl die Auswahl und Anordnung des Stoffs,
als dessen eigenthümliche Verarbeitung und Steigerung verständlich. Vor allem
folgt für die Persönlichkeit Jesu selbst, daß er nicht der Mensch und Prophet
sein kann, als der er in der synoptischen Darstellung trotz seiner Wunderthaten
doch immer erscheint. Der johanneische Jesus gehört nur dem "Fleische" nach
dieser Welt an. sein irdisches Leben ist nur ein angenommenes, vorübergehendes.
Er behält das Bewußtsein von seiner überweltlichen vorzeitlichen Existenz, er
ist allmächtig, allwissend, gleich bei seinem ersten Auftreten weiß er sein Ster¬
ben und die Bedeutung seines Sterbens voraus. Wir bemerken an ihm kein
Werden, er ist von Anfang an, der er ist, die Gesetze menschlicher Entwicklung
sind für ihn nicht vorhanden- Seine Thaten sind nur eine fortlaufende Reihe
von Ausstrahlungen seiner göttlichen Wundernacht. Im Unterschied von den
einfach menschenfreundlichen Wundern, wie sie in der Regel bei den Synoptikern
erzählt sind, haben die "Zeichen" bei Johannes stets den ausdrücklichen Zweck.


Jesu verläuft auf verschiedene Weise, der Schauplatz seiner Wirksamkeit ist ein
anderer. Ereignisse werden erzählt, von denen die Synoptiker nicht nur nichts
wissen, sondern die wir auch in den Rahmen ihrer Geschichtserzählung gar
nicht einzufügen vermögen, und so umgekehrt, die Katastrophe wird auf eine
andere Weise herbeigeführt, die Lehrart Jesu, sein Bewußtsein von sich, von
seiner Sendung ist ein völlig anderes, ja, es ist ein ganz anderer Jesus, der
uns hier, und der uns dort geschildert wird. Fassen wir dann die Eigenthüm¬
lichkeiten, durch welche sich das vierte Evangelium von den andern unterscheidet,
zusammen, so stellen sie sich alle unter einen einheitlichen Gesichtspunkt, sie
laufen alle dahin zusammen, daß das Leben Jesu nicht einfach erzählt, sondern
verherrlicht und zwar von einer ganz bestimmten Idee aus verherrlicht wer¬
den soll.

Welches diese Idee ist, darüber läßt uns der Verfasser auch keinen Augen¬
blick im Zweifel. Denn gleich an die Spitze seines Evangeliums stellte er das
Programm, dessen weitere Ausführung die folgende Geschichtserzählung ist.
Jesus ist danach die persönliche Sclbstoffenbarung Gottes, das Princip der
Weltschöpfung, der Logos, das ist das Wort Gottes, von Ewigkeit her in Gott
und von Ewigkeit durch Gott gezeugt; er ist das Leben, durch welches alle
Menschen das Leben erhalten sollen, das Licht, das in die Finsterniß gesandt
wird, um sie zu erleuchten. Licht und Finsterniß sind die beiden großen Prin¬
cipien, welche den Verlauf der Welt bedingen, es ist also ein kosmischer Gegen¬
satz, von welchem der Evangelist ausgeht, ein Gegensatz, der durch das Erscheinen
des Logos im Fleische, durch den Glauben an Jesus als das erschienene Licht
aufgehoben werden soll, und die Geschichte Jesu ist nun der fortlaufende dia¬
lektische Proceß zwischen diesen beiden Mächten, zwischen dem Licht und der
Finsterniß, zwischen dem Glauben und dem Unglauben.

Von hier aus wird nun sowohl die Auswahl und Anordnung des Stoffs,
als dessen eigenthümliche Verarbeitung und Steigerung verständlich. Vor allem
folgt für die Persönlichkeit Jesu selbst, daß er nicht der Mensch und Prophet
sein kann, als der er in der synoptischen Darstellung trotz seiner Wunderthaten
doch immer erscheint. Der johanneische Jesus gehört nur dem „Fleische" nach
dieser Welt an. sein irdisches Leben ist nur ein angenommenes, vorübergehendes.
Er behält das Bewußtsein von seiner überweltlichen vorzeitlichen Existenz, er
ist allmächtig, allwissend, gleich bei seinem ersten Auftreten weiß er sein Ster¬
ben und die Bedeutung seines Sterbens voraus. Wir bemerken an ihm kein
Werden, er ist von Anfang an, der er ist, die Gesetze menschlicher Entwicklung
sind für ihn nicht vorhanden- Seine Thaten sind nur eine fortlaufende Reihe
von Ausstrahlungen seiner göttlichen Wundernacht. Im Unterschied von den
einfach menschenfreundlichen Wundern, wie sie in der Regel bei den Synoptikern
erzählt sind, haben die „Zeichen" bei Johannes stets den ausdrücklichen Zweck.


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[0389] Jesu verläuft auf verschiedene Weise, der Schauplatz seiner Wirksamkeit ist ein anderer. Ereignisse werden erzählt, von denen die Synoptiker nicht nur nichts wissen, sondern die wir auch in den Rahmen ihrer Geschichtserzählung gar nicht einzufügen vermögen, und so umgekehrt, die Katastrophe wird auf eine andere Weise herbeigeführt, die Lehrart Jesu, sein Bewußtsein von sich, von seiner Sendung ist ein völlig anderes, ja, es ist ein ganz anderer Jesus, der uns hier, und der uns dort geschildert wird. Fassen wir dann die Eigenthüm¬ lichkeiten, durch welche sich das vierte Evangelium von den andern unterscheidet, zusammen, so stellen sie sich alle unter einen einheitlichen Gesichtspunkt, sie laufen alle dahin zusammen, daß das Leben Jesu nicht einfach erzählt, sondern verherrlicht und zwar von einer ganz bestimmten Idee aus verherrlicht wer¬ den soll. Welches diese Idee ist, darüber läßt uns der Verfasser auch keinen Augen¬ blick im Zweifel. Denn gleich an die Spitze seines Evangeliums stellte er das Programm, dessen weitere Ausführung die folgende Geschichtserzählung ist. Jesus ist danach die persönliche Sclbstoffenbarung Gottes, das Princip der Weltschöpfung, der Logos, das ist das Wort Gottes, von Ewigkeit her in Gott und von Ewigkeit durch Gott gezeugt; er ist das Leben, durch welches alle Menschen das Leben erhalten sollen, das Licht, das in die Finsterniß gesandt wird, um sie zu erleuchten. Licht und Finsterniß sind die beiden großen Prin¬ cipien, welche den Verlauf der Welt bedingen, es ist also ein kosmischer Gegen¬ satz, von welchem der Evangelist ausgeht, ein Gegensatz, der durch das Erscheinen des Logos im Fleische, durch den Glauben an Jesus als das erschienene Licht aufgehoben werden soll, und die Geschichte Jesu ist nun der fortlaufende dia¬ lektische Proceß zwischen diesen beiden Mächten, zwischen dem Licht und der Finsterniß, zwischen dem Glauben und dem Unglauben. Von hier aus wird nun sowohl die Auswahl und Anordnung des Stoffs, als dessen eigenthümliche Verarbeitung und Steigerung verständlich. Vor allem folgt für die Persönlichkeit Jesu selbst, daß er nicht der Mensch und Prophet sein kann, als der er in der synoptischen Darstellung trotz seiner Wunderthaten doch immer erscheint. Der johanneische Jesus gehört nur dem „Fleische" nach dieser Welt an. sein irdisches Leben ist nur ein angenommenes, vorübergehendes. Er behält das Bewußtsein von seiner überweltlichen vorzeitlichen Existenz, er ist allmächtig, allwissend, gleich bei seinem ersten Auftreten weiß er sein Ster¬ ben und die Bedeutung seines Sterbens voraus. Wir bemerken an ihm kein Werden, er ist von Anfang an, der er ist, die Gesetze menschlicher Entwicklung sind für ihn nicht vorhanden- Seine Thaten sind nur eine fortlaufende Reihe von Ausstrahlungen seiner göttlichen Wundernacht. Im Unterschied von den einfach menschenfreundlichen Wundern, wie sie in der Regel bei den Synoptikern erzählt sind, haben die „Zeichen" bei Johannes stets den ausdrücklichen Zweck.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/389>, abgerufen am 23.07.2024.