Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.die höchsten Autoritäten hatten viel von geheimer Schriftstellern zu leiden, sie Aber auch wo ein öffentliches Urtheil über einen Mitbürger oder eure In anderer Weise als jetzt wurde die Stadt auch durch das Neue beschäf¬ Die alten festlichen Aufzüge und Schaustellungen der Städter selbst waren 43*
die höchsten Autoritäten hatten viel von geheimer Schriftstellern zu leiden, sie Aber auch wo ein öffentliches Urtheil über einen Mitbürger oder eure In anderer Weise als jetzt wurde die Stadt auch durch das Neue beschäf¬ Die alten festlichen Aufzüge und Schaustellungen der Städter selbst waren 43*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188908"/> <p xml:id="ID_1142" prev="#ID_1141"> die höchsten Autoritäten hatten viel von geheimer Schriftstellern zu leiden, sie<lb/> nimmt in der Literatur des vorigen Jahrhunderts — namentlich in Preußen —<lb/> vielen Raum ein, und während die Klatschschnften auf größere Regenten als<lb/> Bücher, häusig in Romansonn, ausgegeben werden, halten sich die Angrisse<lb/> auf kleinere Autoritäten in dem bescheideneren Format der Flugschriften. Mehr<lb/> als einmal gaben solche anonyme Anfälle Veranlassung zu ernsthaften Händeln<lb/> innerhalb einer Stadtgemeinde, ja kaiserliche Commissäre wurden abgesandt, um<lb/> die Verbreiter der „unwahrhaftigcn, injuriöscn, chrabschneiderischen" Pasquille<lb/> zu ermitteln und zu strafen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1143"> Aber auch wo ein öffentliches Urtheil über einen Mitbürger oder eure<lb/> Autorität unbefangene Würdigung erstrebt, ist sichtbar, wie schwer die innere<lb/> Freiheit und Unparteilichkeit dem Schreiber wird, die conventionelle Höflichkeit<lb/> und die Vorsicht des Verfassers wird nicht selten unangenehm gestört durch eine<lb/> hypochondrische, kleinliche, vielleicht boshafte Ausfassung des lieben Nächsten.<lb/> Denn man war zwar furchtsam und rücksichtsvoll auch im Verkehr, ängstlich be¬<lb/> dacht, jedem seinen gebührenden Antheil von Artigkeit zu ertheilen, aber man<lb/> war ebenso reizbar, höchst empfindlich, und besaß in der Regel nicht den sichern<lb/> Maßstab für den Werth eines Mannes, welchen feste Selbstachtung verleiht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1144"> In anderer Weise als jetzt wurde die Stadt auch durch das Neue beschäf¬<lb/> tigt, das sich der Schaulust etwa anbot. Immer noch waren Hinrichtungen<lb/> eine große Angelegenheit, noch wurden die Bilder schwerer Verbrecher in Kupfer<lb/> gestochen und mit ihrem Lebenslauf, den erbaulichen Betrachtungen der Seel¬<lb/> sorger und warnenden Gedichten eifrig gekauft. Ein Seehund, ein Neger oder<lb/> Albino, Kamtschadale und Indianer, und was jetzt in unsern Meßbuden nur<lb/> geringe Beachtung findet, wurde mit Erfolg einzeln auf öffentlichem Platz aus¬<lb/> gestellt. Ein Elephant, die erste Giraffe, das erste Rhinoceros machten ein un¬<lb/> geheures Aufsehen, sie wurden ebenfalls durch Bilderbogen und kleine Flug¬<lb/> schriften empfohlen. Und allerlei brodlose Künste, ein Mann, der mit abge¬<lb/> richteten Kanarienvögeln umherzog, ein anderer, der nur durch Handbewegungen<lb/> ein Schattenspiel an der Wand hervorzubringen wußte, dazwischen Bauchredner,<lb/> Feuerfresser und andere fahrende Leute gaben den besten Gesellschaften der<lb/> Stadt für längere Zeit Unterhaltung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1145" next="#ID_1146"> Die alten festlichen Aufzüge und Schaustellungen der Städter selbst waren<lb/> allerdings sehr verkümmert, ihnen war die Zeit der seidenen Strümpfe, des<lb/> Reifrocks und Puters sehr ungünstig. Die Schaugefechte der alten Fechter¬<lb/> banden waren kurz vorher zu Ende gegangen, die Schützenfeste seit dem großen<lb/> deutschen Kriege eingeschrumpft, nur einzelne Handwerke, die Fleischer. Fischer<lb/> unternahmen noch zuweilen einen öffentlichen Aufzug. in hergebrachten Costüm<lb/> mit Lade und Handwertszeichcn, und ni seltenen Fällen noch mit einem alten<lb/> Tanz. Dagegen war das Schauspiel eine beliebte Ergötzlichkeit auch des Volkes</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 43*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0347]
die höchsten Autoritäten hatten viel von geheimer Schriftstellern zu leiden, sie
nimmt in der Literatur des vorigen Jahrhunderts — namentlich in Preußen —
vielen Raum ein, und während die Klatschschnften auf größere Regenten als
Bücher, häusig in Romansonn, ausgegeben werden, halten sich die Angrisse
auf kleinere Autoritäten in dem bescheideneren Format der Flugschriften. Mehr
als einmal gaben solche anonyme Anfälle Veranlassung zu ernsthaften Händeln
innerhalb einer Stadtgemeinde, ja kaiserliche Commissäre wurden abgesandt, um
die Verbreiter der „unwahrhaftigcn, injuriöscn, chrabschneiderischen" Pasquille
zu ermitteln und zu strafen.
Aber auch wo ein öffentliches Urtheil über einen Mitbürger oder eure
Autorität unbefangene Würdigung erstrebt, ist sichtbar, wie schwer die innere
Freiheit und Unparteilichkeit dem Schreiber wird, die conventionelle Höflichkeit
und die Vorsicht des Verfassers wird nicht selten unangenehm gestört durch eine
hypochondrische, kleinliche, vielleicht boshafte Ausfassung des lieben Nächsten.
Denn man war zwar furchtsam und rücksichtsvoll auch im Verkehr, ängstlich be¬
dacht, jedem seinen gebührenden Antheil von Artigkeit zu ertheilen, aber man
war ebenso reizbar, höchst empfindlich, und besaß in der Regel nicht den sichern
Maßstab für den Werth eines Mannes, welchen feste Selbstachtung verleiht.
In anderer Weise als jetzt wurde die Stadt auch durch das Neue beschäf¬
tigt, das sich der Schaulust etwa anbot. Immer noch waren Hinrichtungen
eine große Angelegenheit, noch wurden die Bilder schwerer Verbrecher in Kupfer
gestochen und mit ihrem Lebenslauf, den erbaulichen Betrachtungen der Seel¬
sorger und warnenden Gedichten eifrig gekauft. Ein Seehund, ein Neger oder
Albino, Kamtschadale und Indianer, und was jetzt in unsern Meßbuden nur
geringe Beachtung findet, wurde mit Erfolg einzeln auf öffentlichem Platz aus¬
gestellt. Ein Elephant, die erste Giraffe, das erste Rhinoceros machten ein un¬
geheures Aufsehen, sie wurden ebenfalls durch Bilderbogen und kleine Flug¬
schriften empfohlen. Und allerlei brodlose Künste, ein Mann, der mit abge¬
richteten Kanarienvögeln umherzog, ein anderer, der nur durch Handbewegungen
ein Schattenspiel an der Wand hervorzubringen wußte, dazwischen Bauchredner,
Feuerfresser und andere fahrende Leute gaben den besten Gesellschaften der
Stadt für längere Zeit Unterhaltung.
Die alten festlichen Aufzüge und Schaustellungen der Städter selbst waren
allerdings sehr verkümmert, ihnen war die Zeit der seidenen Strümpfe, des
Reifrocks und Puters sehr ungünstig. Die Schaugefechte der alten Fechter¬
banden waren kurz vorher zu Ende gegangen, die Schützenfeste seit dem großen
deutschen Kriege eingeschrumpft, nur einzelne Handwerke, die Fleischer. Fischer
unternahmen noch zuweilen einen öffentlichen Aufzug. in hergebrachten Costüm
mit Lade und Handwertszeichcn, und ni seltenen Fällen noch mit einem alten
Tanz. Dagegen war das Schauspiel eine beliebte Ergötzlichkeit auch des Volkes
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