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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Zündnadelgewehr bewaffnete, sehr gut schießende Schützenlinie den vordrängen¬
den Franzosen rasch abkühlen und ans das zurückweisen, was im Leben allein
Erfolge sichert, auf die Ausdauer, und in dieser leistet die in die 'Hand des
Vorgesetzten gearbeitete Truppe mehr als die aus lauter einzelnen Elementen
bestehende. In der Ausdauer hat der Deutsche immer den Franzosen besiegt.
-- In Schleswig hat man in einer Sache den Franzosen nachgeahmt, im Ab¬
legen der Tornister vor der Action; man hat dadurch nach dem Uebergang bei
Arms den Truppen einen Halt von zwei Tagen auferlegt, um die Tornister
nachzufahren. Hoffentlich hat man an dieser einen Erfahrung für ewige Zeiten
genug. Dieses Tornistcrablegcn ist eine Ausartung der in der französischen
Armee jetzt geltenden Berücksichtigung des Individuums, es ist nicht gut, daß
gerade dies kränkliche Detail bei dem preußischen Heerführer Nachahmung
fand; denn es zeigt, wie wenig der Geist französischer Kriegführung erkannt wird.

Napoleon der Erste, der seine Franzosen gewiß kannte und die Fähigkeit seiner
Infanterie für das Einzelgefecht vollständig ausnutzte, hielt dem jetzt herrschen¬
den System ganz entgegengesetzt bei der Ausbildung und Uebung streng dar¬
auf, daß der Soldat in Formen gezwängt wurde, in Formen, welche im Ge¬
fecht nur selten zur Anwendung kommen sollten. Die Friedensübungcn dienten
nur dazu, die durch den Krieg zu selbständig gewordenen Soldaten wieder in
die Hand des Vorgesetzten zu bringen. Die Franzosen haben heute noch diese
Formen in ihren Exercitien beibehalten, behandeln sie aber mehr als Zeitaus¬
füllung, nie als Erziehungsmittel, und in Folge dessen sind sie werthlos ge¬
worden.

Die dem Prinzen Friedrich Karl zugeschriebene Brochure über die Kampf¬
weise der Franzose" schließt sich dieser modernen französischen Richtung an und
verurtheilt den Exercierplatz vorweg, sie behauptet, der General müsse, sobald
er ins Gefecht komme, das Reglement vergessen. Der Verfasser hätte sagen
sollen, daß der General bei dem Gebrauch der Infanterie zwar die Streitkräfte
durch, möglichste Geltendmachung aller individuellen Fähigkeiten möglichst hoch
steigern soll, -- daß er aber stets bestrebt sein muß, so viel wie möglich regle-
mentarischc Formen aufrecht zu erhalten, um die Leitung der Einzelnen in der
Hand zu behalten.

Es ist interessant, daß in der preußischen Armee gerade der Prinz Friedrich
Karl der demokratischen Richtung für die militärische Kämpfweise das Wort redet,
nicht autz inneren Sympathien, sondern nur, weil er die fortreißende Gewalt dieser
Richtung erkannt hat. Wäre ihm Quelle und letzter Grund dieses französischen
Systems deutlich geworden, so würde er vielleicht in den entgegengesetzten
Fehler verfallen sein und den Werth der französischen Kampsweise verachtet
haben. Das kann aber keinenfalls gewünscht werden.


Zündnadelgewehr bewaffnete, sehr gut schießende Schützenlinie den vordrängen¬
den Franzosen rasch abkühlen und ans das zurückweisen, was im Leben allein
Erfolge sichert, auf die Ausdauer, und in dieser leistet die in die 'Hand des
Vorgesetzten gearbeitete Truppe mehr als die aus lauter einzelnen Elementen
bestehende. In der Ausdauer hat der Deutsche immer den Franzosen besiegt.
— In Schleswig hat man in einer Sache den Franzosen nachgeahmt, im Ab¬
legen der Tornister vor der Action; man hat dadurch nach dem Uebergang bei
Arms den Truppen einen Halt von zwei Tagen auferlegt, um die Tornister
nachzufahren. Hoffentlich hat man an dieser einen Erfahrung für ewige Zeiten
genug. Dieses Tornistcrablegcn ist eine Ausartung der in der französischen
Armee jetzt geltenden Berücksichtigung des Individuums, es ist nicht gut, daß
gerade dies kränkliche Detail bei dem preußischen Heerführer Nachahmung
fand; denn es zeigt, wie wenig der Geist französischer Kriegführung erkannt wird.

Napoleon der Erste, der seine Franzosen gewiß kannte und die Fähigkeit seiner
Infanterie für das Einzelgefecht vollständig ausnutzte, hielt dem jetzt herrschen¬
den System ganz entgegengesetzt bei der Ausbildung und Uebung streng dar¬
auf, daß der Soldat in Formen gezwängt wurde, in Formen, welche im Ge¬
fecht nur selten zur Anwendung kommen sollten. Die Friedensübungcn dienten
nur dazu, die durch den Krieg zu selbständig gewordenen Soldaten wieder in
die Hand des Vorgesetzten zu bringen. Die Franzosen haben heute noch diese
Formen in ihren Exercitien beibehalten, behandeln sie aber mehr als Zeitaus¬
füllung, nie als Erziehungsmittel, und in Folge dessen sind sie werthlos ge¬
worden.

Die dem Prinzen Friedrich Karl zugeschriebene Brochure über die Kampf¬
weise der Franzose» schließt sich dieser modernen französischen Richtung an und
verurtheilt den Exercierplatz vorweg, sie behauptet, der General müsse, sobald
er ins Gefecht komme, das Reglement vergessen. Der Verfasser hätte sagen
sollen, daß der General bei dem Gebrauch der Infanterie zwar die Streitkräfte
durch, möglichste Geltendmachung aller individuellen Fähigkeiten möglichst hoch
steigern soll, — daß er aber stets bestrebt sein muß, so viel wie möglich regle-
mentarischc Formen aufrecht zu erhalten, um die Leitung der Einzelnen in der
Hand zu behalten.

Es ist interessant, daß in der preußischen Armee gerade der Prinz Friedrich
Karl der demokratischen Richtung für die militärische Kämpfweise das Wort redet,
nicht autz inneren Sympathien, sondern nur, weil er die fortreißende Gewalt dieser
Richtung erkannt hat. Wäre ihm Quelle und letzter Grund dieses französischen
Systems deutlich geworden, so würde er vielleicht in den entgegengesetzten
Fehler verfallen sein und den Werth der französischen Kampsweise verachtet
haben. Das kann aber keinenfalls gewünscht werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/325>, abgerufen am 23.07.2024.