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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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baren Zweck zu erreichen. "Die Rede war für ihn kein Paradedegcn, sondern
eine ernste, scharfe Waffe. Aber wie verstand er sie zu handhaben! Mit seiner
durch nichts zu trübenden Klarheit des Geistes, mit einem kolossalen Gedächt¬
niß, mit durchdringendem Scharfblick und stets mit vollster Kenntniß des Gegen¬
standes und der in Betracht kommenden Thatsachen ausgerüstet, reihte er die
schlagendsten Argumente in prägnanter, conciser Form, in einfacher, ungekünstel¬
ter Sprache, doch nicht ohne die Würze eines gesunden Humors, aneinander,
dem Gegner mit scharfen, hageldicht fallenden Hieben gerade auf den Leib
gehend, ohne alle Finten und Listen, und ihn erbarmungslos in die Enge
treibend, bis der Sieg entschieden war. Dieselbe Schärfe der Logik, dieselbe
durchsichtige Klarheit des Gedankens, dieselbe Mannigfaltigkeit der Argumente,
nach Petruccllis Ausdruck "fein zugespitzt und doch wuchtig eindringend, und
einander drängend", bewundern wir in seinen diplomatischen Noten und poli¬
tischen Denkschriften. Hier, wie immer, ist er das gerade Gegentheil von
einem Pedanten, selbstvertrauend, rasch und kühn im Ausdruck wie in der
Sprache, hier wie überall behauptet er das Schlachtfeld, über die Gegner min¬
destens einen moralischen Triumph davontragend.

Der politische Scharfblick und die genaue Kenntniß der Umstände und der
handelnden Personen, im Verein mit einer seltenen Vorurteilslosigkeit, welche
ihm zu seinen rednerischen und diplomatischen Triumphen verhalfen, potenzirten
sich in seinem Urtheile über die Entwickelung der Verhältnisse des eignen Vater¬
landes wie der allgemeinen Weltlage zur prophetischen Sehergabe. Wir haben
erwähnt, wie er sich als junger Mann bereits als Minister des Königreichs
Italien erblickte. Als die Abschaffung der Korngesetze noch sehr zweifelhaft war,
verkündete er den nahen Sieg des Freihandels in England und erblickte darin
den Keim des unvermeidlichen Todes für das Prohibitiv- und Schutzzollsystem
der Cvntinentalstaaten. So prophezeite er dem guizvtschcn Regiment und System
schon 1847 den nahen Sturz; so sah er wochenlang vor der Präsidentenwahl
schon Louis Napoleon als künftigen Kaiser von Frankreich") und rief im März
1856, zwei Jahre vor den Verabredungen von Plombiöres: In drei Jahren
werden wir einen tüchtigen Krieg haben!

"Wohl muß man anerkennen, daß Cavour aus jenem edleren Thone ge¬
formt war, aus dem die Herren der Welt hervorgegangen sind. Mit den
glänzenden Eigenschaften begabt, vor denen die Menschheit sich beugt, war er



") Siehe die Zeitung II Risorgimvuw vom 10. Nov. 1848, Die Stelle kommt in einer
nicht gehaltenen Kammcrrcde Ccivours gegen die revolutionäre Partei vor: "Warten wir noch
einen Augenblick und wir werden die letzte Wirkung der revolutionären Mittel sehen: Louis
Napoleon auf dem Throne!"

baren Zweck zu erreichen. „Die Rede war für ihn kein Paradedegcn, sondern
eine ernste, scharfe Waffe. Aber wie verstand er sie zu handhaben! Mit seiner
durch nichts zu trübenden Klarheit des Geistes, mit einem kolossalen Gedächt¬
niß, mit durchdringendem Scharfblick und stets mit vollster Kenntniß des Gegen¬
standes und der in Betracht kommenden Thatsachen ausgerüstet, reihte er die
schlagendsten Argumente in prägnanter, conciser Form, in einfacher, ungekünstel¬
ter Sprache, doch nicht ohne die Würze eines gesunden Humors, aneinander,
dem Gegner mit scharfen, hageldicht fallenden Hieben gerade auf den Leib
gehend, ohne alle Finten und Listen, und ihn erbarmungslos in die Enge
treibend, bis der Sieg entschieden war. Dieselbe Schärfe der Logik, dieselbe
durchsichtige Klarheit des Gedankens, dieselbe Mannigfaltigkeit der Argumente,
nach Petruccllis Ausdruck „fein zugespitzt und doch wuchtig eindringend, und
einander drängend", bewundern wir in seinen diplomatischen Noten und poli¬
tischen Denkschriften. Hier, wie immer, ist er das gerade Gegentheil von
einem Pedanten, selbstvertrauend, rasch und kühn im Ausdruck wie in der
Sprache, hier wie überall behauptet er das Schlachtfeld, über die Gegner min¬
destens einen moralischen Triumph davontragend.

Der politische Scharfblick und die genaue Kenntniß der Umstände und der
handelnden Personen, im Verein mit einer seltenen Vorurteilslosigkeit, welche
ihm zu seinen rednerischen und diplomatischen Triumphen verhalfen, potenzirten
sich in seinem Urtheile über die Entwickelung der Verhältnisse des eignen Vater¬
landes wie der allgemeinen Weltlage zur prophetischen Sehergabe. Wir haben
erwähnt, wie er sich als junger Mann bereits als Minister des Königreichs
Italien erblickte. Als die Abschaffung der Korngesetze noch sehr zweifelhaft war,
verkündete er den nahen Sieg des Freihandels in England und erblickte darin
den Keim des unvermeidlichen Todes für das Prohibitiv- und Schutzzollsystem
der Cvntinentalstaaten. So prophezeite er dem guizvtschcn Regiment und System
schon 1847 den nahen Sturz; so sah er wochenlang vor der Präsidentenwahl
schon Louis Napoleon als künftigen Kaiser von Frankreich") und rief im März
1856, zwei Jahre vor den Verabredungen von Plombiöres: In drei Jahren
werden wir einen tüchtigen Krieg haben!

„Wohl muß man anerkennen, daß Cavour aus jenem edleren Thone ge¬
formt war, aus dem die Herren der Welt hervorgegangen sind. Mit den
glänzenden Eigenschaften begabt, vor denen die Menschheit sich beugt, war er



") Siehe die Zeitung II Risorgimvuw vom 10. Nov. 1848, Die Stelle kommt in einer
nicht gehaltenen Kammcrrcde Ccivours gegen die revolutionäre Partei vor: „Warten wir noch
einen Augenblick und wir werden die letzte Wirkung der revolutionären Mittel sehen: Louis
Napoleon auf dem Throne!"
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/309>, abgerufen am 23.07.2024.