Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen und noch besser die Situationen durchschauert, verstand er zugleich
sich in die Umstände zu fügen, zu rechter Zeit zu weichen und vorzudringen.
Daß er ohne Scrupel gewesen sei, ist nur halbwahr, daß ihm die Großmuth
gefehlt habe, ganz falsch. Er hatte nichts Byzantinisches an sich, wie Petru-
celli della Gadeira behauptet, und ihn einen Bindestrich zwischen Peel und
Macchiavelli zu nennen, wie derselbe Publicist es thut, ist eben nichts als eine
geistreich klingende Redensart. Allerdings gehörte Sir Robert Peel zu Cavours
Lieblingshelden; die Entschiedenheit des großen britischen Staatsmannes, seine
Klarheit, seine Kühnheit, mit der eignen Partei zu brechen, als er sie hinter
den legitimen und nothwendigen Forderungen der Zeit zurückbleiben sah und
zwar gerade um der Handelsfreiheit willen, die Cavours Steckenpferd war,
machten ihm denselben besonders theuer.

Ein Vorbild und Muster für ihn unter den großen Staatsmännern der
neueren Zeit zu finden, ist überhaupt mißlich, weil Cavour eben durch und
durch Original war. Viele Züge erinnern an den älteren Pitt, andere noch
entschiedener an den Freiherrn v. Stein, und doch steht er in mancher Hin¬
sicht wieder zu dem einen wie dem andern in einem entschiednen Gegensatz.
De la Rive vergleicht ihn mit Fox; aber auch dieser Vergleich hält nur Stich,
so lange man mehr den Menschen als den Staatsmann im Auge hat. Charak¬
teristisch für ihn ist es, daß er seine Ideale, zu denen auch der große Pitt ge¬
hörte, in den Reihen der Tories.fand, während er doch übrigens ganz mit den
politischen Grundsätzen der Whigs harmonirte. Ader er war nie Parteimann
in dem Sinne, daß er alles Große und Gute nur in den Reihen der eignen
Partei gesucht hätte, wenn er auch auf der andern Seite trefflich verstand, der
Parteidisciplin sich unterzuordnen und dieselbe, als er selbst Führer wurde, in
den Reihen der Seinen aufrecht zu halten.

Nichts ist bezeichnender für Cavours Eigenthümlichkeit als seine Sprache
und Ausdrucksweise in seinen Ivurnalartikeln, Kammerrcdcn und diplomatischen
Noten. Auf Niemanden paßt der buffonsche Spruch: 1"z se^lo e'sse, 1'Iromme
besser als auf ihn. Er gehörte zu den Rednern, welche die Tribüne enthüllt,
nicht zu denen, welche sie schafft. Und doch war er keineswegs, was man ge¬
wöhnlich ein großes Rednertalent nennt. Seine scharfe Metallstimme ohne
große Modulation, ohne alle Weichheit, der Mangel an aller Phantasie, an allem
Schwung, feine Antipathie gegen alle Schönrednerei und alles Wortgeklingel,
ja eine gewisse, freilich bald überwundene Schwerfälligkeit des Ausdrucks, waren
nicht geeignet, die Zuhörer für seine Argumente zu bestechen, während die ge¬
bietende und percmptorische Form seiner Rede, das sarkastische Lächeln, die
scharfen und kurzen Abweisungen der Gegner nach allen Seiten hin verletzten.
Eine Rede um der Rede willen, um einen oratorischen Triumph zu feiern, war
bei Cavour undenkbar. Hier wie überall galt es ihm einen bestimmten, greif-


Menschen und noch besser die Situationen durchschauert, verstand er zugleich
sich in die Umstände zu fügen, zu rechter Zeit zu weichen und vorzudringen.
Daß er ohne Scrupel gewesen sei, ist nur halbwahr, daß ihm die Großmuth
gefehlt habe, ganz falsch. Er hatte nichts Byzantinisches an sich, wie Petru-
celli della Gadeira behauptet, und ihn einen Bindestrich zwischen Peel und
Macchiavelli zu nennen, wie derselbe Publicist es thut, ist eben nichts als eine
geistreich klingende Redensart. Allerdings gehörte Sir Robert Peel zu Cavours
Lieblingshelden; die Entschiedenheit des großen britischen Staatsmannes, seine
Klarheit, seine Kühnheit, mit der eignen Partei zu brechen, als er sie hinter
den legitimen und nothwendigen Forderungen der Zeit zurückbleiben sah und
zwar gerade um der Handelsfreiheit willen, die Cavours Steckenpferd war,
machten ihm denselben besonders theuer.

Ein Vorbild und Muster für ihn unter den großen Staatsmännern der
neueren Zeit zu finden, ist überhaupt mißlich, weil Cavour eben durch und
durch Original war. Viele Züge erinnern an den älteren Pitt, andere noch
entschiedener an den Freiherrn v. Stein, und doch steht er in mancher Hin¬
sicht wieder zu dem einen wie dem andern in einem entschiednen Gegensatz.
De la Rive vergleicht ihn mit Fox; aber auch dieser Vergleich hält nur Stich,
so lange man mehr den Menschen als den Staatsmann im Auge hat. Charak¬
teristisch für ihn ist es, daß er seine Ideale, zu denen auch der große Pitt ge¬
hörte, in den Reihen der Tories.fand, während er doch übrigens ganz mit den
politischen Grundsätzen der Whigs harmonirte. Ader er war nie Parteimann
in dem Sinne, daß er alles Große und Gute nur in den Reihen der eignen
Partei gesucht hätte, wenn er auch auf der andern Seite trefflich verstand, der
Parteidisciplin sich unterzuordnen und dieselbe, als er selbst Führer wurde, in
den Reihen der Seinen aufrecht zu halten.

Nichts ist bezeichnender für Cavours Eigenthümlichkeit als seine Sprache
und Ausdrucksweise in seinen Ivurnalartikeln, Kammerrcdcn und diplomatischen
Noten. Auf Niemanden paßt der buffonsche Spruch: 1«z se^lo e'sse, 1'Iromme
besser als auf ihn. Er gehörte zu den Rednern, welche die Tribüne enthüllt,
nicht zu denen, welche sie schafft. Und doch war er keineswegs, was man ge¬
wöhnlich ein großes Rednertalent nennt. Seine scharfe Metallstimme ohne
große Modulation, ohne alle Weichheit, der Mangel an aller Phantasie, an allem
Schwung, feine Antipathie gegen alle Schönrednerei und alles Wortgeklingel,
ja eine gewisse, freilich bald überwundene Schwerfälligkeit des Ausdrucks, waren
nicht geeignet, die Zuhörer für seine Argumente zu bestechen, während die ge¬
bietende und percmptorische Form seiner Rede, das sarkastische Lächeln, die
scharfen und kurzen Abweisungen der Gegner nach allen Seiten hin verletzten.
Eine Rede um der Rede willen, um einen oratorischen Triumph zu feiern, war
bei Cavour undenkbar. Hier wie überall galt es ihm einen bestimmten, greif-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188869"/>
          <p xml:id="ID_1026" prev="#ID_1025"> Menschen und noch besser die Situationen durchschauert, verstand er zugleich<lb/>
sich in die Umstände zu fügen, zu rechter Zeit zu weichen und vorzudringen.<lb/>
Daß er ohne Scrupel gewesen sei, ist nur halbwahr, daß ihm die Großmuth<lb/>
gefehlt habe, ganz falsch. Er hatte nichts Byzantinisches an sich, wie Petru-<lb/>
celli della Gadeira behauptet, und ihn einen Bindestrich zwischen Peel und<lb/>
Macchiavelli zu nennen, wie derselbe Publicist es thut, ist eben nichts als eine<lb/>
geistreich klingende Redensart. Allerdings gehörte Sir Robert Peel zu Cavours<lb/>
Lieblingshelden; die Entschiedenheit des großen britischen Staatsmannes, seine<lb/>
Klarheit, seine Kühnheit, mit der eignen Partei zu brechen, als er sie hinter<lb/>
den legitimen und nothwendigen Forderungen der Zeit zurückbleiben sah und<lb/>
zwar gerade um der Handelsfreiheit willen, die Cavours Steckenpferd war,<lb/>
machten ihm denselben besonders theuer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1027"> Ein Vorbild und Muster für ihn unter den großen Staatsmännern der<lb/>
neueren Zeit zu finden, ist überhaupt mißlich, weil Cavour eben durch und<lb/>
durch Original war. Viele Züge erinnern an den älteren Pitt, andere noch<lb/>
entschiedener an den Freiherrn v. Stein, und doch steht er in mancher Hin¬<lb/>
sicht wieder zu dem einen wie dem andern in einem entschiednen Gegensatz.<lb/>
De la Rive vergleicht ihn mit Fox; aber auch dieser Vergleich hält nur Stich,<lb/>
so lange man mehr den Menschen als den Staatsmann im Auge hat. Charak¬<lb/>
teristisch für ihn ist es, daß er seine Ideale, zu denen auch der große Pitt ge¬<lb/>
hörte, in den Reihen der Tories.fand, während er doch übrigens ganz mit den<lb/>
politischen Grundsätzen der Whigs harmonirte. Ader er war nie Parteimann<lb/>
in dem Sinne, daß er alles Große und Gute nur in den Reihen der eignen<lb/>
Partei gesucht hätte, wenn er auch auf der andern Seite trefflich verstand, der<lb/>
Parteidisciplin sich unterzuordnen und dieselbe, als er selbst Führer wurde, in<lb/>
den Reihen der Seinen aufrecht zu halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1028" next="#ID_1029"> Nichts ist bezeichnender für Cavours Eigenthümlichkeit als seine Sprache<lb/>
und Ausdrucksweise in seinen Ivurnalartikeln, Kammerrcdcn und diplomatischen<lb/>
Noten. Auf Niemanden paßt der buffonsche Spruch: 1«z se^lo e'sse, 1'Iromme<lb/>
besser als auf ihn. Er gehörte zu den Rednern, welche die Tribüne enthüllt,<lb/>
nicht zu denen, welche sie schafft. Und doch war er keineswegs, was man ge¬<lb/>
wöhnlich ein großes Rednertalent nennt. Seine scharfe Metallstimme ohne<lb/>
große Modulation, ohne alle Weichheit, der Mangel an aller Phantasie, an allem<lb/>
Schwung, feine Antipathie gegen alle Schönrednerei und alles Wortgeklingel,<lb/>
ja eine gewisse, freilich bald überwundene Schwerfälligkeit des Ausdrucks, waren<lb/>
nicht geeignet, die Zuhörer für seine Argumente zu bestechen, während die ge¬<lb/>
bietende und percmptorische Form seiner Rede, das sarkastische Lächeln, die<lb/>
scharfen und kurzen Abweisungen der Gegner nach allen Seiten hin verletzten.<lb/>
Eine Rede um der Rede willen, um einen oratorischen Triumph zu feiern, war<lb/>
bei Cavour undenkbar. Hier wie überall galt es ihm einen bestimmten, greif-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] Menschen und noch besser die Situationen durchschauert, verstand er zugleich sich in die Umstände zu fügen, zu rechter Zeit zu weichen und vorzudringen. Daß er ohne Scrupel gewesen sei, ist nur halbwahr, daß ihm die Großmuth gefehlt habe, ganz falsch. Er hatte nichts Byzantinisches an sich, wie Petru- celli della Gadeira behauptet, und ihn einen Bindestrich zwischen Peel und Macchiavelli zu nennen, wie derselbe Publicist es thut, ist eben nichts als eine geistreich klingende Redensart. Allerdings gehörte Sir Robert Peel zu Cavours Lieblingshelden; die Entschiedenheit des großen britischen Staatsmannes, seine Klarheit, seine Kühnheit, mit der eignen Partei zu brechen, als er sie hinter den legitimen und nothwendigen Forderungen der Zeit zurückbleiben sah und zwar gerade um der Handelsfreiheit willen, die Cavours Steckenpferd war, machten ihm denselben besonders theuer. Ein Vorbild und Muster für ihn unter den großen Staatsmännern der neueren Zeit zu finden, ist überhaupt mißlich, weil Cavour eben durch und durch Original war. Viele Züge erinnern an den älteren Pitt, andere noch entschiedener an den Freiherrn v. Stein, und doch steht er in mancher Hin¬ sicht wieder zu dem einen wie dem andern in einem entschiednen Gegensatz. De la Rive vergleicht ihn mit Fox; aber auch dieser Vergleich hält nur Stich, so lange man mehr den Menschen als den Staatsmann im Auge hat. Charak¬ teristisch für ihn ist es, daß er seine Ideale, zu denen auch der große Pitt ge¬ hörte, in den Reihen der Tories.fand, während er doch übrigens ganz mit den politischen Grundsätzen der Whigs harmonirte. Ader er war nie Parteimann in dem Sinne, daß er alles Große und Gute nur in den Reihen der eignen Partei gesucht hätte, wenn er auch auf der andern Seite trefflich verstand, der Parteidisciplin sich unterzuordnen und dieselbe, als er selbst Führer wurde, in den Reihen der Seinen aufrecht zu halten. Nichts ist bezeichnender für Cavours Eigenthümlichkeit als seine Sprache und Ausdrucksweise in seinen Ivurnalartikeln, Kammerrcdcn und diplomatischen Noten. Auf Niemanden paßt der buffonsche Spruch: 1«z se^lo e'sse, 1'Iromme besser als auf ihn. Er gehörte zu den Rednern, welche die Tribüne enthüllt, nicht zu denen, welche sie schafft. Und doch war er keineswegs, was man ge¬ wöhnlich ein großes Rednertalent nennt. Seine scharfe Metallstimme ohne große Modulation, ohne alle Weichheit, der Mangel an aller Phantasie, an allem Schwung, feine Antipathie gegen alle Schönrednerei und alles Wortgeklingel, ja eine gewisse, freilich bald überwundene Schwerfälligkeit des Ausdrucks, waren nicht geeignet, die Zuhörer für seine Argumente zu bestechen, während die ge¬ bietende und percmptorische Form seiner Rede, das sarkastische Lächeln, die scharfen und kurzen Abweisungen der Gegner nach allen Seiten hin verletzten. Eine Rede um der Rede willen, um einen oratorischen Triumph zu feiern, war bei Cavour undenkbar. Hier wie überall galt es ihm einen bestimmten, greif-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/308>, abgerufen am 23.07.2024.