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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Daß Camillo Cavour Italien liebte, muß sogar Nüstvw anerkennen. Aber
er siebt in ihm nur den Bureaukraten und Diplomaten, den Mann der Con-
sorterie, der. großartiger Anschauungen unfähig, ohne Vertrauen in die Volks¬
kraft wie in die Principien des Rechts und der Freiheit, mit kleinen Mittelchen
und Schlichen sein Ziel habe erreichen und ganz Italien in die picmvntesische
Zwangsjacke stecken wollen. Sein zur Schau getragener Liberalismus, behaupten
Andere, sei bloßer Schein, bloßes Mittel zum Zwecke gewesen, während ein
Dritter in persönlichem Ehrgeiz das Motiv seiner ganzen politischen Thätigkeit
findet. Und doch ist Cavours ganzes Leben eine Widerlegung dieser Vorwürfe.
Alles Kleinliche, Engherzige und Maschinenmäßige war ihm verhaßt, ebenso
verhaßt freilich auch alles Unpraktische, Grvßprcchlerischc und Utopische. Er
war ein entschiedener Freund des Selfgovernment und sah in der Aufhebung
aller unnützen Bevormundung der Individuen wie der Corporationen einen
Haupthebel zur Beförderung der Nativnalwohlfcchrt und des rationellen Fort¬
schrittes in materieller wie in moralischer Hinsicht. "Die Negierung," sagte er,
"ist verpflichtet, durch liberale Gesetze die individuelle Initiative und das gemein¬
same Handeln der unter ihrer Verwaltung Stehenden zu begünstigen. Ohne
Nachtheil kann sich ihr Wirkungskreis nicht darüber hinaus erstrecken." -- Selbst
die Beamten- sollten einen möglichst weiten Spielraum der vorgesetzten Behörde
gegenüber behalten, die unnütze Gamaschentnöpferei, kleinliche Controle und
endlose Schreiberei gewisser bnrcaukratischcr Musterstaaten war ihm im hohen
Grade zuwider. "Das Reglement macht aus dem Beamten einen Dummkopf,"
schrieb er. "das ist der Grund, weshalb ich es als Minister nicht liebe. Der
Buchstabe ködert, aber der Gcrst macht lebendig."

"Diese Ideen" (die der Freiheit und Unabhängigkeit), schrieb er als junger
Mann, "bilden einen Theil meiner Existenz. "Ich werde sie bekennen und
festhalten, so lange ich einen Funken Lebenskraft in mir fühle." Als einst
Leon Faucher ur seiner Gegenwart behauptete, mit den liberalen Principien
der Oppositionsmänner sei es alsbald vorüber, wenn sie zur Negierung ge¬
langten, protestirte er auf das lebhafteste. Und in der That, er hatte das
Recht dazu. In den schwierigsten Zeiten, von einer fanatischen Opposition ge°
drängt, während von Außen die Vernichtung drohte, hat er jeder Versuchung,
die ihm oft genug nahe gelegt wurde, vom Parlamente die Suspension der
constitutionellen Garantien zu verlangen, widerstanden und hat es unverhohlen
ausgesprochen: "Wenn man die Verfassung nicht die,Früchte der Freiheit tragen
läßt, die sie hervorbringen soll, so wird sie alles Ansehen verlieren und damit
das Ansehen der Nation selbst verloren gehen."

Und ehrgeizig? -- "I'in'iseir 1^ irrig. rLMtÄiiioiik, xerisoir II mio vorn",
ins. "i tüecio ig xgtricr itgligirg, -- Mein Ruf, mein Name mögen zu Grunde
gehen, wenn nur das italienische Vaterland zu Stande kommt, rief er aus,


Daß Camillo Cavour Italien liebte, muß sogar Nüstvw anerkennen. Aber
er siebt in ihm nur den Bureaukraten und Diplomaten, den Mann der Con-
sorterie, der. großartiger Anschauungen unfähig, ohne Vertrauen in die Volks¬
kraft wie in die Principien des Rechts und der Freiheit, mit kleinen Mittelchen
und Schlichen sein Ziel habe erreichen und ganz Italien in die picmvntesische
Zwangsjacke stecken wollen. Sein zur Schau getragener Liberalismus, behaupten
Andere, sei bloßer Schein, bloßes Mittel zum Zwecke gewesen, während ein
Dritter in persönlichem Ehrgeiz das Motiv seiner ganzen politischen Thätigkeit
findet. Und doch ist Cavours ganzes Leben eine Widerlegung dieser Vorwürfe.
Alles Kleinliche, Engherzige und Maschinenmäßige war ihm verhaßt, ebenso
verhaßt freilich auch alles Unpraktische, Grvßprcchlerischc und Utopische. Er
war ein entschiedener Freund des Selfgovernment und sah in der Aufhebung
aller unnützen Bevormundung der Individuen wie der Corporationen einen
Haupthebel zur Beförderung der Nativnalwohlfcchrt und des rationellen Fort¬
schrittes in materieller wie in moralischer Hinsicht. „Die Negierung," sagte er,
„ist verpflichtet, durch liberale Gesetze die individuelle Initiative und das gemein¬
same Handeln der unter ihrer Verwaltung Stehenden zu begünstigen. Ohne
Nachtheil kann sich ihr Wirkungskreis nicht darüber hinaus erstrecken." — Selbst
die Beamten- sollten einen möglichst weiten Spielraum der vorgesetzten Behörde
gegenüber behalten, die unnütze Gamaschentnöpferei, kleinliche Controle und
endlose Schreiberei gewisser bnrcaukratischcr Musterstaaten war ihm im hohen
Grade zuwider. „Das Reglement macht aus dem Beamten einen Dummkopf,"
schrieb er. „das ist der Grund, weshalb ich es als Minister nicht liebe. Der
Buchstabe ködert, aber der Gcrst macht lebendig."

„Diese Ideen" (die der Freiheit und Unabhängigkeit), schrieb er als junger
Mann, „bilden einen Theil meiner Existenz. „Ich werde sie bekennen und
festhalten, so lange ich einen Funken Lebenskraft in mir fühle." Als einst
Leon Faucher ur seiner Gegenwart behauptete, mit den liberalen Principien
der Oppositionsmänner sei es alsbald vorüber, wenn sie zur Negierung ge¬
langten, protestirte er auf das lebhafteste. Und in der That, er hatte das
Recht dazu. In den schwierigsten Zeiten, von einer fanatischen Opposition ge°
drängt, während von Außen die Vernichtung drohte, hat er jeder Versuchung,
die ihm oft genug nahe gelegt wurde, vom Parlamente die Suspension der
constitutionellen Garantien zu verlangen, widerstanden und hat es unverhohlen
ausgesprochen: „Wenn man die Verfassung nicht die,Früchte der Freiheit tragen
läßt, die sie hervorbringen soll, so wird sie alles Ansehen verlieren und damit
das Ansehen der Nation selbst verloren gehen."

Und ehrgeizig? — „I'in'iseir 1^ irrig. rLMtÄiiioiik, xerisoir II mio vorn«,
ins. «i tüecio ig xgtricr itgligirg, — Mein Ruf, mein Name mögen zu Grunde
gehen, wenn nur das italienische Vaterland zu Stande kommt, rief er aus,


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[0306] Daß Camillo Cavour Italien liebte, muß sogar Nüstvw anerkennen. Aber er siebt in ihm nur den Bureaukraten und Diplomaten, den Mann der Con- sorterie, der. großartiger Anschauungen unfähig, ohne Vertrauen in die Volks¬ kraft wie in die Principien des Rechts und der Freiheit, mit kleinen Mittelchen und Schlichen sein Ziel habe erreichen und ganz Italien in die picmvntesische Zwangsjacke stecken wollen. Sein zur Schau getragener Liberalismus, behaupten Andere, sei bloßer Schein, bloßes Mittel zum Zwecke gewesen, während ein Dritter in persönlichem Ehrgeiz das Motiv seiner ganzen politischen Thätigkeit findet. Und doch ist Cavours ganzes Leben eine Widerlegung dieser Vorwürfe. Alles Kleinliche, Engherzige und Maschinenmäßige war ihm verhaßt, ebenso verhaßt freilich auch alles Unpraktische, Grvßprcchlerischc und Utopische. Er war ein entschiedener Freund des Selfgovernment und sah in der Aufhebung aller unnützen Bevormundung der Individuen wie der Corporationen einen Haupthebel zur Beförderung der Nativnalwohlfcchrt und des rationellen Fort¬ schrittes in materieller wie in moralischer Hinsicht. „Die Negierung," sagte er, „ist verpflichtet, durch liberale Gesetze die individuelle Initiative und das gemein¬ same Handeln der unter ihrer Verwaltung Stehenden zu begünstigen. Ohne Nachtheil kann sich ihr Wirkungskreis nicht darüber hinaus erstrecken." — Selbst die Beamten- sollten einen möglichst weiten Spielraum der vorgesetzten Behörde gegenüber behalten, die unnütze Gamaschentnöpferei, kleinliche Controle und endlose Schreiberei gewisser bnrcaukratischcr Musterstaaten war ihm im hohen Grade zuwider. „Das Reglement macht aus dem Beamten einen Dummkopf," schrieb er. „das ist der Grund, weshalb ich es als Minister nicht liebe. Der Buchstabe ködert, aber der Gcrst macht lebendig." „Diese Ideen" (die der Freiheit und Unabhängigkeit), schrieb er als junger Mann, „bilden einen Theil meiner Existenz. „Ich werde sie bekennen und festhalten, so lange ich einen Funken Lebenskraft in mir fühle." Als einst Leon Faucher ur seiner Gegenwart behauptete, mit den liberalen Principien der Oppositionsmänner sei es alsbald vorüber, wenn sie zur Negierung ge¬ langten, protestirte er auf das lebhafteste. Und in der That, er hatte das Recht dazu. In den schwierigsten Zeiten, von einer fanatischen Opposition ge° drängt, während von Außen die Vernichtung drohte, hat er jeder Versuchung, die ihm oft genug nahe gelegt wurde, vom Parlamente die Suspension der constitutionellen Garantien zu verlangen, widerstanden und hat es unverhohlen ausgesprochen: „Wenn man die Verfassung nicht die,Früchte der Freiheit tragen läßt, die sie hervorbringen soll, so wird sie alles Ansehen verlieren und damit das Ansehen der Nation selbst verloren gehen." Und ehrgeizig? — „I'in'iseir 1^ irrig. rLMtÄiiioiik, xerisoir II mio vorn«, ins. «i tüecio ig xgtricr itgligirg, — Mein Ruf, mein Name mögen zu Grunde gehen, wenn nur das italienische Vaterland zu Stande kommt, rief er aus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/306>, abgerufen am 23.07.2024.