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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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und Industriellen geworden, der durch wohlberechnete Unternehmungen und
rationelle Experimente seinem Laterlande wesentliche Dienste leistete, während
er zugleich sein und der Seinigen Vermögen vergrößerte. Was er that, das
that er ganz. quod agis, war einer seiner Lieblingssprüche. Aber wäh¬
rend er ganz in die Geheimnisse der künstlichen Düngerfabrikation vertieft schien,
scheint er doch nie den Gedanken an seine künftige politische Laufbahn außer
Augen gelassen zu haben. Aus dem Studium der Privatökonomie wuchs das
der Nationalökonomie hervor, der einzigen "moralischen" Wissenschaft, die er
selbst gründlich getrieben zu haben erklärt. In unglaublich kurzer Zeit hatte
er die Theorien der größten Meister kennen gelernt, sich mit den bedeutendsten
Nationalökonomen Frankreichs und Englands in Verbindung gesellt, in beiden
Ländern die schwierigsten Fragen praktisch studirt und sich über alles ein klares,
scharfes, oft originelles Urtheil gebildet. Als er 1862 ins Ministerium trat,
sah er sich alsbald genöthigt, außer Handel und Ackerbau auch die Marine zu
übernehmen, bisher für ihn vollständig eine toi'rü incognita. Wenige Monate,
und er war auf diesem Terrain so zu Hause, wie ein Laie es möglicherweise
sein kann.

Cavours Thätigkeit war unermüdlich, seine Arbeitskraft schien unerschöpflich.
Um der Geschäflslast zu genügen, die auf ihm ruhte, während er fast neun
Jahre lang am Staatsruder saß und oft außer der Präsidentschaft mehre der
wichtigsten Ministerportcsenilles in seiner Person vereinigte, stand er jeden Morgen
bald nach vier Uhr auf, obgleich er erst gegen Mitternacht sein Lager suchte.
Von fünf bis neun Uhr war seine Zeit Privatangelegenheiten, Studien und
Bittstellern gewidmet, von zehn bis ein Uhr den Bureauarbciten, Depeschen
und officiellen Audienzen; von eins bis vier Uhr den Kammersilzungen, Minister¬
konseils .'c.. der Abend wiederum der häuslichen Arbeit mit ein- bis zweistündiger
Unterbrechung durch das Theater oder den -- übrigens in dieser Zeit seltenen
-- Besuch eines Gcsellschaftssalons. Oft in bedrängter, kritischer Lage, von
gefährlichen Feinden und noch gefährlicheren falschen Freunden umgeben, oft
nur aus sich selbst Rath, Trost und Hoffnung schöpfend, trug er mit heiterem
Muthe und riesenhafter Kraft diese ungeheure Last von Arbeit, Sorge und
Verantwortlichkeit, bis seine treffliche Konstitution endlich doch unter dem Ueber¬
maß zusammenbrach.

Sein Muth war unerschütterlich. "Ich habe in meinem kleinem Finger
mehr Muth, als manche meiner Gegner im ganzen Körper", rief er einst selbst
aus. Er besaß sowohl die Gattung des Muthes, welche, aus einer gesunden
und kräftigen Konstitution hervorgehend, der Gefahr gleichsam instiucimäßig
kühn entgegentritt, wie den Muth der Reflexion, der in sich selbst den besten
Schul) gegen die Gefahr und die beste Garantie für den Erfolg erkennt. Alle
Drohungen, an denen es weder von mazzinistischer noch von klerikaler Seite


und Industriellen geworden, der durch wohlberechnete Unternehmungen und
rationelle Experimente seinem Laterlande wesentliche Dienste leistete, während
er zugleich sein und der Seinigen Vermögen vergrößerte. Was er that, das
that er ganz. quod agis, war einer seiner Lieblingssprüche. Aber wäh¬
rend er ganz in die Geheimnisse der künstlichen Düngerfabrikation vertieft schien,
scheint er doch nie den Gedanken an seine künftige politische Laufbahn außer
Augen gelassen zu haben. Aus dem Studium der Privatökonomie wuchs das
der Nationalökonomie hervor, der einzigen „moralischen" Wissenschaft, die er
selbst gründlich getrieben zu haben erklärt. In unglaublich kurzer Zeit hatte
er die Theorien der größten Meister kennen gelernt, sich mit den bedeutendsten
Nationalökonomen Frankreichs und Englands in Verbindung gesellt, in beiden
Ländern die schwierigsten Fragen praktisch studirt und sich über alles ein klares,
scharfes, oft originelles Urtheil gebildet. Als er 1862 ins Ministerium trat,
sah er sich alsbald genöthigt, außer Handel und Ackerbau auch die Marine zu
übernehmen, bisher für ihn vollständig eine toi'rü incognita. Wenige Monate,
und er war auf diesem Terrain so zu Hause, wie ein Laie es möglicherweise
sein kann.

Cavours Thätigkeit war unermüdlich, seine Arbeitskraft schien unerschöpflich.
Um der Geschäflslast zu genügen, die auf ihm ruhte, während er fast neun
Jahre lang am Staatsruder saß und oft außer der Präsidentschaft mehre der
wichtigsten Ministerportcsenilles in seiner Person vereinigte, stand er jeden Morgen
bald nach vier Uhr auf, obgleich er erst gegen Mitternacht sein Lager suchte.
Von fünf bis neun Uhr war seine Zeit Privatangelegenheiten, Studien und
Bittstellern gewidmet, von zehn bis ein Uhr den Bureauarbciten, Depeschen
und officiellen Audienzen; von eins bis vier Uhr den Kammersilzungen, Minister¬
konseils .'c.. der Abend wiederum der häuslichen Arbeit mit ein- bis zweistündiger
Unterbrechung durch das Theater oder den — übrigens in dieser Zeit seltenen
— Besuch eines Gcsellschaftssalons. Oft in bedrängter, kritischer Lage, von
gefährlichen Feinden und noch gefährlicheren falschen Freunden umgeben, oft
nur aus sich selbst Rath, Trost und Hoffnung schöpfend, trug er mit heiterem
Muthe und riesenhafter Kraft diese ungeheure Last von Arbeit, Sorge und
Verantwortlichkeit, bis seine treffliche Konstitution endlich doch unter dem Ueber¬
maß zusammenbrach.

Sein Muth war unerschütterlich. „Ich habe in meinem kleinem Finger
mehr Muth, als manche meiner Gegner im ganzen Körper", rief er einst selbst
aus. Er besaß sowohl die Gattung des Muthes, welche, aus einer gesunden
und kräftigen Konstitution hervorgehend, der Gefahr gleichsam instiucimäßig
kühn entgegentritt, wie den Muth der Reflexion, der in sich selbst den besten
Schul) gegen die Gefahr und die beste Garantie für den Erfolg erkennt. Alle
Drohungen, an denen es weder von mazzinistischer noch von klerikaler Seite


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[0301] und Industriellen geworden, der durch wohlberechnete Unternehmungen und rationelle Experimente seinem Laterlande wesentliche Dienste leistete, während er zugleich sein und der Seinigen Vermögen vergrößerte. Was er that, das that er ganz. quod agis, war einer seiner Lieblingssprüche. Aber wäh¬ rend er ganz in die Geheimnisse der künstlichen Düngerfabrikation vertieft schien, scheint er doch nie den Gedanken an seine künftige politische Laufbahn außer Augen gelassen zu haben. Aus dem Studium der Privatökonomie wuchs das der Nationalökonomie hervor, der einzigen „moralischen" Wissenschaft, die er selbst gründlich getrieben zu haben erklärt. In unglaublich kurzer Zeit hatte er die Theorien der größten Meister kennen gelernt, sich mit den bedeutendsten Nationalökonomen Frankreichs und Englands in Verbindung gesellt, in beiden Ländern die schwierigsten Fragen praktisch studirt und sich über alles ein klares, scharfes, oft originelles Urtheil gebildet. Als er 1862 ins Ministerium trat, sah er sich alsbald genöthigt, außer Handel und Ackerbau auch die Marine zu übernehmen, bisher für ihn vollständig eine toi'rü incognita. Wenige Monate, und er war auf diesem Terrain so zu Hause, wie ein Laie es möglicherweise sein kann. Cavours Thätigkeit war unermüdlich, seine Arbeitskraft schien unerschöpflich. Um der Geschäflslast zu genügen, die auf ihm ruhte, während er fast neun Jahre lang am Staatsruder saß und oft außer der Präsidentschaft mehre der wichtigsten Ministerportcsenilles in seiner Person vereinigte, stand er jeden Morgen bald nach vier Uhr auf, obgleich er erst gegen Mitternacht sein Lager suchte. Von fünf bis neun Uhr war seine Zeit Privatangelegenheiten, Studien und Bittstellern gewidmet, von zehn bis ein Uhr den Bureauarbciten, Depeschen und officiellen Audienzen; von eins bis vier Uhr den Kammersilzungen, Minister¬ konseils .'c.. der Abend wiederum der häuslichen Arbeit mit ein- bis zweistündiger Unterbrechung durch das Theater oder den — übrigens in dieser Zeit seltenen — Besuch eines Gcsellschaftssalons. Oft in bedrängter, kritischer Lage, von gefährlichen Feinden und noch gefährlicheren falschen Freunden umgeben, oft nur aus sich selbst Rath, Trost und Hoffnung schöpfend, trug er mit heiterem Muthe und riesenhafter Kraft diese ungeheure Last von Arbeit, Sorge und Verantwortlichkeit, bis seine treffliche Konstitution endlich doch unter dem Ueber¬ maß zusammenbrach. Sein Muth war unerschütterlich. „Ich habe in meinem kleinem Finger mehr Muth, als manche meiner Gegner im ganzen Körper", rief er einst selbst aus. Er besaß sowohl die Gattung des Muthes, welche, aus einer gesunden und kräftigen Konstitution hervorgehend, der Gefahr gleichsam instiucimäßig kühn entgegentritt, wie den Muth der Reflexion, der in sich selbst den besten Schul) gegen die Gefahr und die beste Garantie für den Erfolg erkennt. Alle Drohungen, an denen es weder von mazzinistischer noch von klerikaler Seite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/301>, abgerufen am 23.07.2024.