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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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durfte man ihm nicht mit leeren Höflichkeitsphrasen kommen, die er mit einem
ironischen Lächeln abschnitt, oder mit endlosen Klagen, die eine ungeduldige
Handbewegung verkürzten, oder mit geschwätzigen Abschweifungen, die ihn ernst,
zurückhaltend und einsilbig machten. In den Salons, die er freilich in seinen
späteren Jahren nur selten besuchte, war er sehr gesprächig, voll heitern Hu¬
mors, und eilte gern von Gruppe zu Gruppe, die Sprachen mit Leichtigkeit
wechselnd, der französischen und italienischen -- den abscheulichen piemontesischen
Dialekt nicht ausgenommen -- als zweier Muttersprachen mächtig, das Eng¬
lische geläufig, das Deutsche sehr gebrochen redend. Wie scharf sein Urtheil,
wie kaustisch sein Witz, wie groß sein Freimuth gewesen, bekunden seine Briefe.
Unumwunden sagt er gerade heraus, was er denkt, ohne Ansehn der Person.
Es gab keinen, mochte er noch so hochgestellt sein, den er nicht mit seinem
Maße gemessen, an dem er nicht seinen Witz geübt hätte. Der Witz ist eine
gefährliche, zweischneidige Waffe, die leicht auch den. der sie führt, verwundet;
aber Cavour, obwohl ihm das Wort stets natürlich und ungesucht auf die Lippe
trat, verstand es doch immer so einzurichten,.daß die doppelte Schärfe nur den
Gegner traf, in der Kammer und in der Presse wie im gesellschaftliche" Zirkel.
Im Kreise seiner Freunde war er durch Laune und Munterkeit stets das be¬
lebende Element, zumal in seiner früheren Zeit, wo die Anmuth seines Geistes
sogar den ihm zunächst Stehenden die große politische Kapacität verbarg, die
unter dieser leichten Hülle versteckt lag. Er verstand die große Kunst, auch im
Gespräche allen alles zu sein; mit einem außerordentlichen AccvmmodationS-
vermögen begabt, wußte er ebensogut mit seinen kleinen Cousinen von ihrer
Mädchenschule und seinen Bauern von ihrer Ernte zu plaudern, wie mit den
Diplomaten von den Geheimnissen der Cabinete oder den Salondamen von
den Mysterien der Gesellschaft. Er hatte den Grundsatz, sich nie zu lang¬
weilen, und was mehr war, er verstand ihn zu befolgen, indem er sich jeder¬
mann verständlich zu machen, auf jedermanns Ideen einzugehn, jeden auf
sein Steckenpferd zu setzen und so aus jedem einen Funken herauszulocken wußte.
In seiner Ausdrucksweise und seinem Benehmen war nichts Gezwungenes und Er¬
künsteltes, sondern alles einfach und natürlich: keine kalte Herablassung und
conventionelle Höflichkeit, sondern das reine Interesse an allem Menschlichen.

Mit der Zeit freilich ging eine Veränderung in seinem Wesen vor.
Die eigenthümliche Frische, der charakteristische Humor schwinden auch jetzt
noch nicht aus seinen Reden wie aus seinen Briefen; aber es war. als ob
das einnehmende Lächeln, die milde Heiterkeit nur noch auf der Oberfläche
schwebten, und zuweilen konnte sein Antlitz auch den strengen, ehernen Aus¬
druck annehmen, welchen eine unerschütterliche Willenskraft, ein unbeugsamer
Entschluß bei fortwährender innerer Beschäftigung mit ernsten gewichtigen
Dingen den Zügen aufdrückt. Aber auch damals noch war und blieb er.


durfte man ihm nicht mit leeren Höflichkeitsphrasen kommen, die er mit einem
ironischen Lächeln abschnitt, oder mit endlosen Klagen, die eine ungeduldige
Handbewegung verkürzten, oder mit geschwätzigen Abschweifungen, die ihn ernst,
zurückhaltend und einsilbig machten. In den Salons, die er freilich in seinen
späteren Jahren nur selten besuchte, war er sehr gesprächig, voll heitern Hu¬
mors, und eilte gern von Gruppe zu Gruppe, die Sprachen mit Leichtigkeit
wechselnd, der französischen und italienischen — den abscheulichen piemontesischen
Dialekt nicht ausgenommen — als zweier Muttersprachen mächtig, das Eng¬
lische geläufig, das Deutsche sehr gebrochen redend. Wie scharf sein Urtheil,
wie kaustisch sein Witz, wie groß sein Freimuth gewesen, bekunden seine Briefe.
Unumwunden sagt er gerade heraus, was er denkt, ohne Ansehn der Person.
Es gab keinen, mochte er noch so hochgestellt sein, den er nicht mit seinem
Maße gemessen, an dem er nicht seinen Witz geübt hätte. Der Witz ist eine
gefährliche, zweischneidige Waffe, die leicht auch den. der sie führt, verwundet;
aber Cavour, obwohl ihm das Wort stets natürlich und ungesucht auf die Lippe
trat, verstand es doch immer so einzurichten,.daß die doppelte Schärfe nur den
Gegner traf, in der Kammer und in der Presse wie im gesellschaftliche» Zirkel.
Im Kreise seiner Freunde war er durch Laune und Munterkeit stets das be¬
lebende Element, zumal in seiner früheren Zeit, wo die Anmuth seines Geistes
sogar den ihm zunächst Stehenden die große politische Kapacität verbarg, die
unter dieser leichten Hülle versteckt lag. Er verstand die große Kunst, auch im
Gespräche allen alles zu sein; mit einem außerordentlichen AccvmmodationS-
vermögen begabt, wußte er ebensogut mit seinen kleinen Cousinen von ihrer
Mädchenschule und seinen Bauern von ihrer Ernte zu plaudern, wie mit den
Diplomaten von den Geheimnissen der Cabinete oder den Salondamen von
den Mysterien der Gesellschaft. Er hatte den Grundsatz, sich nie zu lang¬
weilen, und was mehr war, er verstand ihn zu befolgen, indem er sich jeder¬
mann verständlich zu machen, auf jedermanns Ideen einzugehn, jeden auf
sein Steckenpferd zu setzen und so aus jedem einen Funken herauszulocken wußte.
In seiner Ausdrucksweise und seinem Benehmen war nichts Gezwungenes und Er¬
künsteltes, sondern alles einfach und natürlich: keine kalte Herablassung und
conventionelle Höflichkeit, sondern das reine Interesse an allem Menschlichen.

Mit der Zeit freilich ging eine Veränderung in seinem Wesen vor.
Die eigenthümliche Frische, der charakteristische Humor schwinden auch jetzt
noch nicht aus seinen Reden wie aus seinen Briefen; aber es war. als ob
das einnehmende Lächeln, die milde Heiterkeit nur noch auf der Oberfläche
schwebten, und zuweilen konnte sein Antlitz auch den strengen, ehernen Aus¬
druck annehmen, welchen eine unerschütterliche Willenskraft, ein unbeugsamer
Entschluß bei fortwährender innerer Beschäftigung mit ernsten gewichtigen
Dingen den Zügen aufdrückt. Aber auch damals noch war und blieb er.


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[0298] durfte man ihm nicht mit leeren Höflichkeitsphrasen kommen, die er mit einem ironischen Lächeln abschnitt, oder mit endlosen Klagen, die eine ungeduldige Handbewegung verkürzten, oder mit geschwätzigen Abschweifungen, die ihn ernst, zurückhaltend und einsilbig machten. In den Salons, die er freilich in seinen späteren Jahren nur selten besuchte, war er sehr gesprächig, voll heitern Hu¬ mors, und eilte gern von Gruppe zu Gruppe, die Sprachen mit Leichtigkeit wechselnd, der französischen und italienischen — den abscheulichen piemontesischen Dialekt nicht ausgenommen — als zweier Muttersprachen mächtig, das Eng¬ lische geläufig, das Deutsche sehr gebrochen redend. Wie scharf sein Urtheil, wie kaustisch sein Witz, wie groß sein Freimuth gewesen, bekunden seine Briefe. Unumwunden sagt er gerade heraus, was er denkt, ohne Ansehn der Person. Es gab keinen, mochte er noch so hochgestellt sein, den er nicht mit seinem Maße gemessen, an dem er nicht seinen Witz geübt hätte. Der Witz ist eine gefährliche, zweischneidige Waffe, die leicht auch den. der sie führt, verwundet; aber Cavour, obwohl ihm das Wort stets natürlich und ungesucht auf die Lippe trat, verstand es doch immer so einzurichten,.daß die doppelte Schärfe nur den Gegner traf, in der Kammer und in der Presse wie im gesellschaftliche» Zirkel. Im Kreise seiner Freunde war er durch Laune und Munterkeit stets das be¬ lebende Element, zumal in seiner früheren Zeit, wo die Anmuth seines Geistes sogar den ihm zunächst Stehenden die große politische Kapacität verbarg, die unter dieser leichten Hülle versteckt lag. Er verstand die große Kunst, auch im Gespräche allen alles zu sein; mit einem außerordentlichen AccvmmodationS- vermögen begabt, wußte er ebensogut mit seinen kleinen Cousinen von ihrer Mädchenschule und seinen Bauern von ihrer Ernte zu plaudern, wie mit den Diplomaten von den Geheimnissen der Cabinete oder den Salondamen von den Mysterien der Gesellschaft. Er hatte den Grundsatz, sich nie zu lang¬ weilen, und was mehr war, er verstand ihn zu befolgen, indem er sich jeder¬ mann verständlich zu machen, auf jedermanns Ideen einzugehn, jeden auf sein Steckenpferd zu setzen und so aus jedem einen Funken herauszulocken wußte. In seiner Ausdrucksweise und seinem Benehmen war nichts Gezwungenes und Er¬ künsteltes, sondern alles einfach und natürlich: keine kalte Herablassung und conventionelle Höflichkeit, sondern das reine Interesse an allem Menschlichen. Mit der Zeit freilich ging eine Veränderung in seinem Wesen vor. Die eigenthümliche Frische, der charakteristische Humor schwinden auch jetzt noch nicht aus seinen Reden wie aus seinen Briefen; aber es war. als ob das einnehmende Lächeln, die milde Heiterkeit nur noch auf der Oberfläche schwebten, und zuweilen konnte sein Antlitz auch den strengen, ehernen Aus¬ druck annehmen, welchen eine unerschütterliche Willenskraft, ein unbeugsamer Entschluß bei fortwährender innerer Beschäftigung mit ernsten gewichtigen Dingen den Zügen aufdrückt. Aber auch damals noch war und blieb er.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/298>, abgerufen am 23.07.2024.