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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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deren Lösung seine siegreichen Waffen vorbereitet haben, dem Willen der Be¬
teiligten überlassen; Oestreich befindet sich nicht in dieser glücklichen Lage. Auf
die Anerkennung Oestreichs hat nur das Recht der Legitimität zu rechnen, und
-- die vollendete Thatsache. Aber die förmliche Sanctionirung des Princips
der nationalen'Selbstbestimmung als höchsten Gesetzes der geschichtlichen Ent¬
wickelung, eines Princips, das, einmal durch den europäischen Consensus an¬
erkannt, kein höheres Ziel als die völlige Auflösung des Kaiserstaats verfolgen
würde, ist von Oestreich nicht zu erwarten. Es ist daher vollkommen der Lage
der Dinge entsprechend, daß der Fortschritt Oestreichs in der Schleswig-holsteinischen
Angelegenheit, der uns von Wien aus gemeldet wird, wenn eine derartige
Wendung, was wir bis jetzt noch sehr bezweifeln, wirklich stattgefunden hat,
nicht die nationale Seite der Frage berücksichtigt, sondern die Entscheidung des
wiener Cabinets von der Entscheidung über das Recht der Erbfolge abhängig
macht.

Die Verlegenheit Oestreichs ist nicht gering. Aber sie ist selbstverschuldet.
Hätten die deutschen Großmächte die Waffen ergriffen für das von ganz Deutsch¬
land und den Stimmen der Herzogthümer anerkannte Recht des Herzogs Frie¬
drich, so würde der Erfolg der deutschen Waffen auch ohne weiteres die Lösung .
der Schleswig-holsteinischen Frage gewesen sein. Oestreich hat diesen Standpunkt
nicht eingenommen, weil ihm die Integrität Dänemarks wichtiger war, als das
Loos der Herzogthümer. Daß ein glücklicher Verlauf des Krieges nicht gestatten
würde, dieses Kampfesziel.festzuhalten, das sah die östreichische Diplomatie in
ihrer eingebildeten Selbstgefälligkeit und in dem Mangel an Voraussicht, der
sie gegenwärtig kennzeichnet, nicht ein. Weshalb Preußen, wenn auch nicht
ohne bedeutende Nestrictionen, doch im Wesentlichen der östreichischen Auffassung
sich angeschlossen hat, ob es nur durch eine Accommodation die Mitwirkung
Oestreichs sich hat sichern wollen, oder ob es deshalb ohne ein bestimmtes Ziel
in den Kampf gegangen ist, um dasselbe als natürliches Resultat aus dem Ver¬
lauf der Begebenheiten sich entwickeln zu lassen: darüber wird erst die Zukunft
mit ihren dereinstigen Enthüllungen ein sicheres Urtheil fällen können. Jeden¬
falls befand die preußische Politik sich in der verhältnißmäßig vortheilhaften
Lage, daß jeder Erfolg der preußischen Waffen sie in der Richtung der natio¬
nalen Wünsche, deren Erfüllung in dem Interesse Preußens lag, weiter drängen
mußte, daß also ein von den Verhältnissen abgcnöthigtcs Aufgeben des ur¬
sprünglich, sei es zum Schein, sei es aus Unklarheit oder Unentschlossenheit.
eingenommenen Standpunktes vom Gesichtspunkte einer wahrhaft preußischen
Politik aus betrachtet, nicht als eine Niederlage, sondern als ein Erfolg der
preußischen Politik anzusehen ist. Insofern also konnte die preußische Negierung
unbedenklich ohne Programm oder mit einem unvollkommenen Programm zur
Action schreiten, als sie wissen konnte, daß aus einem glücklichen Erfolge der


deren Lösung seine siegreichen Waffen vorbereitet haben, dem Willen der Be¬
teiligten überlassen; Oestreich befindet sich nicht in dieser glücklichen Lage. Auf
die Anerkennung Oestreichs hat nur das Recht der Legitimität zu rechnen, und
— die vollendete Thatsache. Aber die förmliche Sanctionirung des Princips
der nationalen'Selbstbestimmung als höchsten Gesetzes der geschichtlichen Ent¬
wickelung, eines Princips, das, einmal durch den europäischen Consensus an¬
erkannt, kein höheres Ziel als die völlige Auflösung des Kaiserstaats verfolgen
würde, ist von Oestreich nicht zu erwarten. Es ist daher vollkommen der Lage
der Dinge entsprechend, daß der Fortschritt Oestreichs in der Schleswig-holsteinischen
Angelegenheit, der uns von Wien aus gemeldet wird, wenn eine derartige
Wendung, was wir bis jetzt noch sehr bezweifeln, wirklich stattgefunden hat,
nicht die nationale Seite der Frage berücksichtigt, sondern die Entscheidung des
wiener Cabinets von der Entscheidung über das Recht der Erbfolge abhängig
macht.

Die Verlegenheit Oestreichs ist nicht gering. Aber sie ist selbstverschuldet.
Hätten die deutschen Großmächte die Waffen ergriffen für das von ganz Deutsch¬
land und den Stimmen der Herzogthümer anerkannte Recht des Herzogs Frie¬
drich, so würde der Erfolg der deutschen Waffen auch ohne weiteres die Lösung .
der Schleswig-holsteinischen Frage gewesen sein. Oestreich hat diesen Standpunkt
nicht eingenommen, weil ihm die Integrität Dänemarks wichtiger war, als das
Loos der Herzogthümer. Daß ein glücklicher Verlauf des Krieges nicht gestatten
würde, dieses Kampfesziel.festzuhalten, das sah die östreichische Diplomatie in
ihrer eingebildeten Selbstgefälligkeit und in dem Mangel an Voraussicht, der
sie gegenwärtig kennzeichnet, nicht ein. Weshalb Preußen, wenn auch nicht
ohne bedeutende Nestrictionen, doch im Wesentlichen der östreichischen Auffassung
sich angeschlossen hat, ob es nur durch eine Accommodation die Mitwirkung
Oestreichs sich hat sichern wollen, oder ob es deshalb ohne ein bestimmtes Ziel
in den Kampf gegangen ist, um dasselbe als natürliches Resultat aus dem Ver¬
lauf der Begebenheiten sich entwickeln zu lassen: darüber wird erst die Zukunft
mit ihren dereinstigen Enthüllungen ein sicheres Urtheil fällen können. Jeden¬
falls befand die preußische Politik sich in der verhältnißmäßig vortheilhaften
Lage, daß jeder Erfolg der preußischen Waffen sie in der Richtung der natio¬
nalen Wünsche, deren Erfüllung in dem Interesse Preußens lag, weiter drängen
mußte, daß also ein von den Verhältnissen abgcnöthigtcs Aufgeben des ur¬
sprünglich, sei es zum Schein, sei es aus Unklarheit oder Unentschlossenheit.
eingenommenen Standpunktes vom Gesichtspunkte einer wahrhaft preußischen
Politik aus betrachtet, nicht als eine Niederlage, sondern als ein Erfolg der
preußischen Politik anzusehen ist. Insofern also konnte die preußische Negierung
unbedenklich ohne Programm oder mit einem unvollkommenen Programm zur
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/292>, abgerufen am 23.07.2024.