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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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ten Falle sich auch zu einer bewaffneten Demonstration, vielleicht gar zur be¬
waffneten Unterstützung Dänemarks entschließen würde. Also nicht von England,
sondern von den Mächten, die es zu einem Kreuzzuge für Dänemark pressen
möchte, wird es abhängen, ob Deutschland in standhafter Verfolgung seiner
Ansprüche eine" materiellen Widerstand fremder Großmächte zu überwinden
haben wird.

Daß Nußland seine gegenwärtigen Verlegenheiten nicht durch einen muth¬
willig heraufbeschworenen Krieg mit Deutschland vermehren wird, bedarf kaum
der Erwähnung, Nußland wird gute Wünsche für Dänemark haben und zu¬
frieden sein, wenn es wider sein Erwarten auf diplomatischem Wege etwas für
den Schützling der europäischen Politik erreicht; darauf aber wird sich seine
Hilfsleistung beschränken. Alles kommt also darauf an, welche Stellung Frank¬
reich im weiteren Verlauf des Conflictes einnehmen -wird. Welches die ver¬
borgenen, tiefsten Gedanken des Kaisers der Franzosen über die brennende
Tagesfrage sind, vermag allerdings niemand zu sagen; es dürfte überhaupt
sehr zweifelhaft sein, ob Napoleon, der gewohnt ist nach den Umständen zu
handeln, und der dabei in seltenem Maße die Gabe besitzt, die Ums-ante zu
seinem Vortheile zu lenken, bereits einen festen Entschluß gefaßt hat, oder ob
er nicht vielmehr beabsichtigt, seine Stellung zu der Frage von der Gestaltung
der allgemeinen europäischen Verhältnisse abhängig zu machen. So viel steht
indessen fest, daß seine bisher eingeschlagene Politik zwar eine zurückhaltende,
aber keineswegs eine den deutschen Ansprüche" unbedingt ungünstige ist, insofern
in der Schleswig-holsteinischen Frage ein Princip zur Sprache kommt, welches
er nicht verletzen lassen kann, ohne die Grundlagen seiner Macht zu untergraben.
Napoleon kann sich über manche Schranken hinwegsetzen, die selbst einer alt-
begründeten Staatsgewalt unüberwindlich sind; dagegen kann er nicbt seine
Hand dazu biete", el" Recht zu zerstöre", aus dem seine Macht ihren Rechts-
titel ableitete, das Recht der freien Selbstbestimmung eines Volles, wobei es
übrigens gleichgiltig ist. ob dies Recht durch allgemeine Comitien, oder ob es
durch bereits bestehende Nepräsentativversammlungen ausgeübt wird.

Als Napoleon zum erste" Male den Gedanken aussprach, daß-die londoner
Abmachungen hinfällig seien, und daß in den Herzogthümern ohne eine Be¬
fragung und Berücksichtigung ihrer eigenen Wünsche ein dauernder Zustand nicht
hergestellt werden könnte, gab ma" sich vielfach übereilt der Hoffnung hin. daß
mit diesem Zugeständnisse seinerseits die Frage der Herzogthümer bereits gelöst
sei. Dabei vergaß man nur eine" Umstand: daß in gleichem Maße wie Napo¬
leon ein Beschützer des Princips der nationalen Selbstbestimmung ist. die eine
der im Kriege mit Dänemark begriffenen Mächte mit eben diesem Princip einen
unversöhnlichen Kampf aus Tod und ^eben führt. Preußen allerdings kann ohne
jede Gefahr für seine politische Existenz die schließliche Entscheidung der Frage.
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ten Falle sich auch zu einer bewaffneten Demonstration, vielleicht gar zur be¬
waffneten Unterstützung Dänemarks entschließen würde. Also nicht von England,
sondern von den Mächten, die es zu einem Kreuzzuge für Dänemark pressen
möchte, wird es abhängen, ob Deutschland in standhafter Verfolgung seiner
Ansprüche eine» materiellen Widerstand fremder Großmächte zu überwinden
haben wird.

Daß Nußland seine gegenwärtigen Verlegenheiten nicht durch einen muth¬
willig heraufbeschworenen Krieg mit Deutschland vermehren wird, bedarf kaum
der Erwähnung, Nußland wird gute Wünsche für Dänemark haben und zu¬
frieden sein, wenn es wider sein Erwarten auf diplomatischem Wege etwas für
den Schützling der europäischen Politik erreicht; darauf aber wird sich seine
Hilfsleistung beschränken. Alles kommt also darauf an, welche Stellung Frank¬
reich im weiteren Verlauf des Conflictes einnehmen -wird. Welches die ver¬
borgenen, tiefsten Gedanken des Kaisers der Franzosen über die brennende
Tagesfrage sind, vermag allerdings niemand zu sagen; es dürfte überhaupt
sehr zweifelhaft sein, ob Napoleon, der gewohnt ist nach den Umständen zu
handeln, und der dabei in seltenem Maße die Gabe besitzt, die Ums-ante zu
seinem Vortheile zu lenken, bereits einen festen Entschluß gefaßt hat, oder ob
er nicht vielmehr beabsichtigt, seine Stellung zu der Frage von der Gestaltung
der allgemeinen europäischen Verhältnisse abhängig zu machen. So viel steht
indessen fest, daß seine bisher eingeschlagene Politik zwar eine zurückhaltende,
aber keineswegs eine den deutschen Ansprüche» unbedingt ungünstige ist, insofern
in der Schleswig-holsteinischen Frage ein Princip zur Sprache kommt, welches
er nicht verletzen lassen kann, ohne die Grundlagen seiner Macht zu untergraben.
Napoleon kann sich über manche Schranken hinwegsetzen, die selbst einer alt-
begründeten Staatsgewalt unüberwindlich sind; dagegen kann er nicbt seine
Hand dazu biete», el» Recht zu zerstöre», aus dem seine Macht ihren Rechts-
titel ableitete, das Recht der freien Selbstbestimmung eines Volles, wobei es
übrigens gleichgiltig ist. ob dies Recht durch allgemeine Comitien, oder ob es
durch bereits bestehende Nepräsentativversammlungen ausgeübt wird.

Als Napoleon zum erste» Male den Gedanken aussprach, daß-die londoner
Abmachungen hinfällig seien, und daß in den Herzogthümern ohne eine Be¬
fragung und Berücksichtigung ihrer eigenen Wünsche ein dauernder Zustand nicht
hergestellt werden könnte, gab ma» sich vielfach übereilt der Hoffnung hin. daß
mit diesem Zugeständnisse seinerseits die Frage der Herzogthümer bereits gelöst
sei. Dabei vergaß man nur eine» Umstand: daß in gleichem Maße wie Napo¬
leon ein Beschützer des Princips der nationalen Selbstbestimmung ist. die eine
der im Kriege mit Dänemark begriffenen Mächte mit eben diesem Princip einen
unversöhnlichen Kampf aus Tod und ^eben führt. Preußen allerdings kann ohne
jede Gefahr für seine politische Existenz die schließliche Entscheidung der Frage.
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[0291] ten Falle sich auch zu einer bewaffneten Demonstration, vielleicht gar zur be¬ waffneten Unterstützung Dänemarks entschließen würde. Also nicht von England, sondern von den Mächten, die es zu einem Kreuzzuge für Dänemark pressen möchte, wird es abhängen, ob Deutschland in standhafter Verfolgung seiner Ansprüche eine» materiellen Widerstand fremder Großmächte zu überwinden haben wird. Daß Nußland seine gegenwärtigen Verlegenheiten nicht durch einen muth¬ willig heraufbeschworenen Krieg mit Deutschland vermehren wird, bedarf kaum der Erwähnung, Nußland wird gute Wünsche für Dänemark haben und zu¬ frieden sein, wenn es wider sein Erwarten auf diplomatischem Wege etwas für den Schützling der europäischen Politik erreicht; darauf aber wird sich seine Hilfsleistung beschränken. Alles kommt also darauf an, welche Stellung Frank¬ reich im weiteren Verlauf des Conflictes einnehmen -wird. Welches die ver¬ borgenen, tiefsten Gedanken des Kaisers der Franzosen über die brennende Tagesfrage sind, vermag allerdings niemand zu sagen; es dürfte überhaupt sehr zweifelhaft sein, ob Napoleon, der gewohnt ist nach den Umständen zu handeln, und der dabei in seltenem Maße die Gabe besitzt, die Ums-ante zu seinem Vortheile zu lenken, bereits einen festen Entschluß gefaßt hat, oder ob er nicht vielmehr beabsichtigt, seine Stellung zu der Frage von der Gestaltung der allgemeinen europäischen Verhältnisse abhängig zu machen. So viel steht indessen fest, daß seine bisher eingeschlagene Politik zwar eine zurückhaltende, aber keineswegs eine den deutschen Ansprüche» unbedingt ungünstige ist, insofern in der Schleswig-holsteinischen Frage ein Princip zur Sprache kommt, welches er nicht verletzen lassen kann, ohne die Grundlagen seiner Macht zu untergraben. Napoleon kann sich über manche Schranken hinwegsetzen, die selbst einer alt- begründeten Staatsgewalt unüberwindlich sind; dagegen kann er nicbt seine Hand dazu biete», el» Recht zu zerstöre», aus dem seine Macht ihren Rechts- titel ableitete, das Recht der freien Selbstbestimmung eines Volles, wobei es übrigens gleichgiltig ist. ob dies Recht durch allgemeine Comitien, oder ob es durch bereits bestehende Nepräsentativversammlungen ausgeübt wird. Als Napoleon zum erste» Male den Gedanken aussprach, daß-die londoner Abmachungen hinfällig seien, und daß in den Herzogthümern ohne eine Be¬ fragung und Berücksichtigung ihrer eigenen Wünsche ein dauernder Zustand nicht hergestellt werden könnte, gab ma» sich vielfach übereilt der Hoffnung hin. daß mit diesem Zugeständnisse seinerseits die Frage der Herzogthümer bereits gelöst sei. Dabei vergaß man nur eine» Umstand: daß in gleichem Maße wie Napo¬ leon ein Beschützer des Princips der nationalen Selbstbestimmung ist. die eine der im Kriege mit Dänemark begriffenen Mächte mit eben diesem Princip einen unversöhnlichen Kampf aus Tod und ^eben führt. Preußen allerdings kann ohne jede Gefahr für seine politische Existenz die schließliche Entscheidung der Frage. * 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/291>, abgerufen am 23.07.2024.