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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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auch unaufhörlich zwingt, sich selbst zu überwinden'in allen seinen Bedürfnissen
wie Hunger, Durst und Ermüdung und in seinen Gefühlen wie Furcht. Haß
und Liebe, und welches den Vorgesetzten zum alleinigen Bestimmer seines ge¬
stimmten Handelns und Strebens macht, diese Disciplin ist eine so furchtbare
Macht und widerspricht dergestalt dem gegenwärtigen Drang nach individueller
Freiheit, daß sie eine geraume Zeit erfordert, ehe sie im Soldaten heimisch ge¬
worden ist, so heimisch, daß er bei jeder Gelegenheit, wo er aus dem bürger¬
lichen Leben wieder in die Reihen eines Truppenthcils tritt, sich in der Truppe
wieder fest, sicher, im Gehorsam frei fühlt. -- Die Disciplin soll den Sol¬
daten dergestalt in die Hand des Vorgesetzten arbeiten, daß er nicht nur dessen
Befehle ausführt, sondern auch mit Fröhlichkeit und allen Kräften seines Kör-
Pers und seiner Seele die Vollkommenheit der Ausführung erstrebt. Das mili¬
tärische Gesetz muß ihn dergestalt erfaßt haben, daß die Freiheit ihm nur im
Gesetz möglich ist. Nach dieser Richtung hat die Disciplin dieselbe Aufgabe
wie der Staat selbst. Und je mehr der Staat diese Aufgabe zu erfüllen weiß,
desto kürzerer Dienstzeit bedarf es, um den Soldaten in der Disciplin heimisch
zu machen. -- Je kleiner der Staat, desto schlechter die Disciplin in der Truppe;
denn je kleiner der Staat, desto mehr kommt individueller Einfluß zur Geltung,
desto mehr machen sich augenblickliche Bedürfnisse gegenüber der Unwandelbarkeit
des Gesetzes geltend, desto weniger Respect hat der Einzelne vor der unwider¬
stehlichen Gewalt des Gesammtwillens, der sich in Recht und Gesetz ausdrückt.
Je kleiner der Staat, um so länger müßte also die Dienstzeit sein. In Deutsch¬
land gilt beinahe die umgekehrte Regel.

Je mehr das Gesetz allein, allgewaltig, unerschüttert, in einem Staat regiert,
um so naturgemäßer ist in der Truppe die Disciplin entwickelt und um so
kürzer kann die Dienstzeit sein. Hieraus erklärt sich die Kraft der Heere in
den Republiken der alten Zeit, so lange sie aus den freien Bürgern formirt
wurden. Hieraus entspringt die Möglichkeit jeden Engländer augenblicklich und
im gefährlichsten Moment zum Wahrer des Gesetzes, zum Constabler zu machen.
Aus dem Werthe, welchen der Engländer auf die Erfüllung des Gesetzes legt,
erklärt sich auch die Strenge der Diöciplinargcsetze in der englischen Armee.

Aber auch je mehr Autorität die Verfassung eines Landes einzelnen Ständen
gewährt, und je mehr diese Stände die Führerschaft in der Armee inne haben,
um so leichter handhabt sich die Disciplin in der Truppe, und um so besser ist
die letztere. Aus diesem Grunde sind die mecklenburgischen Truppen vor allen
andern kleinen deutschen Kontingenten so tüchtig. Darin -liegt auch die Kraft
des englischen Heeres und der Armee der Cvnföderirten in Nordamerika.

Je mehr in einem Staate das Gesetz nur der Ausfluß eines Einzelwillens
ist. um so schwieriger ist die Handhabung der Disciplin in der Truppe, um
so länger muß die Dienstzeit sein, und um so mehr muß das Interesse des


auch unaufhörlich zwingt, sich selbst zu überwinden'in allen seinen Bedürfnissen
wie Hunger, Durst und Ermüdung und in seinen Gefühlen wie Furcht. Haß
und Liebe, und welches den Vorgesetzten zum alleinigen Bestimmer seines ge¬
stimmten Handelns und Strebens macht, diese Disciplin ist eine so furchtbare
Macht und widerspricht dergestalt dem gegenwärtigen Drang nach individueller
Freiheit, daß sie eine geraume Zeit erfordert, ehe sie im Soldaten heimisch ge¬
worden ist, so heimisch, daß er bei jeder Gelegenheit, wo er aus dem bürger¬
lichen Leben wieder in die Reihen eines Truppenthcils tritt, sich in der Truppe
wieder fest, sicher, im Gehorsam frei fühlt. — Die Disciplin soll den Sol¬
daten dergestalt in die Hand des Vorgesetzten arbeiten, daß er nicht nur dessen
Befehle ausführt, sondern auch mit Fröhlichkeit und allen Kräften seines Kör-
Pers und seiner Seele die Vollkommenheit der Ausführung erstrebt. Das mili¬
tärische Gesetz muß ihn dergestalt erfaßt haben, daß die Freiheit ihm nur im
Gesetz möglich ist. Nach dieser Richtung hat die Disciplin dieselbe Aufgabe
wie der Staat selbst. Und je mehr der Staat diese Aufgabe zu erfüllen weiß,
desto kürzerer Dienstzeit bedarf es, um den Soldaten in der Disciplin heimisch
zu machen. — Je kleiner der Staat, desto schlechter die Disciplin in der Truppe;
denn je kleiner der Staat, desto mehr kommt individueller Einfluß zur Geltung,
desto mehr machen sich augenblickliche Bedürfnisse gegenüber der Unwandelbarkeit
des Gesetzes geltend, desto weniger Respect hat der Einzelne vor der unwider¬
stehlichen Gewalt des Gesammtwillens, der sich in Recht und Gesetz ausdrückt.
Je kleiner der Staat, um so länger müßte also die Dienstzeit sein. In Deutsch¬
land gilt beinahe die umgekehrte Regel.

Je mehr das Gesetz allein, allgewaltig, unerschüttert, in einem Staat regiert,
um so naturgemäßer ist in der Truppe die Disciplin entwickelt und um so
kürzer kann die Dienstzeit sein. Hieraus erklärt sich die Kraft der Heere in
den Republiken der alten Zeit, so lange sie aus den freien Bürgern formirt
wurden. Hieraus entspringt die Möglichkeit jeden Engländer augenblicklich und
im gefährlichsten Moment zum Wahrer des Gesetzes, zum Constabler zu machen.
Aus dem Werthe, welchen der Engländer auf die Erfüllung des Gesetzes legt,
erklärt sich auch die Strenge der Diöciplinargcsetze in der englischen Armee.

Aber auch je mehr Autorität die Verfassung eines Landes einzelnen Ständen
gewährt, und je mehr diese Stände die Führerschaft in der Armee inne haben,
um so leichter handhabt sich die Disciplin in der Truppe, und um so besser ist
die letztere. Aus diesem Grunde sind die mecklenburgischen Truppen vor allen
andern kleinen deutschen Kontingenten so tüchtig. Darin -liegt auch die Kraft
des englischen Heeres und der Armee der Cvnföderirten in Nordamerika.

Je mehr in einem Staate das Gesetz nur der Ausfluß eines Einzelwillens
ist. um so schwieriger ist die Handhabung der Disciplin in der Truppe, um
so länger muß die Dienstzeit sein, und um so mehr muß das Interesse des


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[0279] auch unaufhörlich zwingt, sich selbst zu überwinden'in allen seinen Bedürfnissen wie Hunger, Durst und Ermüdung und in seinen Gefühlen wie Furcht. Haß und Liebe, und welches den Vorgesetzten zum alleinigen Bestimmer seines ge¬ stimmten Handelns und Strebens macht, diese Disciplin ist eine so furchtbare Macht und widerspricht dergestalt dem gegenwärtigen Drang nach individueller Freiheit, daß sie eine geraume Zeit erfordert, ehe sie im Soldaten heimisch ge¬ worden ist, so heimisch, daß er bei jeder Gelegenheit, wo er aus dem bürger¬ lichen Leben wieder in die Reihen eines Truppenthcils tritt, sich in der Truppe wieder fest, sicher, im Gehorsam frei fühlt. — Die Disciplin soll den Sol¬ daten dergestalt in die Hand des Vorgesetzten arbeiten, daß er nicht nur dessen Befehle ausführt, sondern auch mit Fröhlichkeit und allen Kräften seines Kör- Pers und seiner Seele die Vollkommenheit der Ausführung erstrebt. Das mili¬ tärische Gesetz muß ihn dergestalt erfaßt haben, daß die Freiheit ihm nur im Gesetz möglich ist. Nach dieser Richtung hat die Disciplin dieselbe Aufgabe wie der Staat selbst. Und je mehr der Staat diese Aufgabe zu erfüllen weiß, desto kürzerer Dienstzeit bedarf es, um den Soldaten in der Disciplin heimisch zu machen. — Je kleiner der Staat, desto schlechter die Disciplin in der Truppe; denn je kleiner der Staat, desto mehr kommt individueller Einfluß zur Geltung, desto mehr machen sich augenblickliche Bedürfnisse gegenüber der Unwandelbarkeit des Gesetzes geltend, desto weniger Respect hat der Einzelne vor der unwider¬ stehlichen Gewalt des Gesammtwillens, der sich in Recht und Gesetz ausdrückt. Je kleiner der Staat, um so länger müßte also die Dienstzeit sein. In Deutsch¬ land gilt beinahe die umgekehrte Regel. Je mehr das Gesetz allein, allgewaltig, unerschüttert, in einem Staat regiert, um so naturgemäßer ist in der Truppe die Disciplin entwickelt und um so kürzer kann die Dienstzeit sein. Hieraus erklärt sich die Kraft der Heere in den Republiken der alten Zeit, so lange sie aus den freien Bürgern formirt wurden. Hieraus entspringt die Möglichkeit jeden Engländer augenblicklich und im gefährlichsten Moment zum Wahrer des Gesetzes, zum Constabler zu machen. Aus dem Werthe, welchen der Engländer auf die Erfüllung des Gesetzes legt, erklärt sich auch die Strenge der Diöciplinargcsetze in der englischen Armee. Aber auch je mehr Autorität die Verfassung eines Landes einzelnen Ständen gewährt, und je mehr diese Stände die Führerschaft in der Armee inne haben, um so leichter handhabt sich die Disciplin in der Truppe, und um so besser ist die letztere. Aus diesem Grunde sind die mecklenburgischen Truppen vor allen andern kleinen deutschen Kontingenten so tüchtig. Darin -liegt auch die Kraft des englischen Heeres und der Armee der Cvnföderirten in Nordamerika. Je mehr in einem Staate das Gesetz nur der Ausfluß eines Einzelwillens ist. um so schwieriger ist die Handhabung der Disciplin in der Truppe, um so länger muß die Dienstzeit sein, und um so mehr muß das Interesse des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/279>, abgerufen am 23.07.2024.