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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Auch der Anfang des vierten Acts entspricht dem shakespeareschein die
Hofscene mit der Botschaft von Frankreich und Warwick. Die folgende Scene
dagegen bringt wieder große Umgestaltungen des shakespeareschcn Textes, Dingel-
stedt läßt die Sachen so verlaufen: Margarethe dringt zu den Zelten Warwicks
König Eduard gefangen und erzählt die Art der Gefangennehmung in aus¬
führlicher Weise, während dieselbe bei Shakespeare sehr knapp und confus
dramatisch vorgeführt wird. Endlich erhebt sich noch zwischen der Königin und
Warwick ein Streit, weil der letztere den König in ritterliche Haft giebt, während
die Königin ihn getödtet wissen will. Alles dies gehört in dieser Form dem
Bearbeiter an. Der letzte Auftritt des Acts (Shakespeare IV. 6), welcher
im Tower spielt, ist, wie ich denke, wesentlich erweitert und, wie mir scheint,
etwas zu lang geworden: jedenfalls sind die Reden des jungen Riclunvnd Zu¬
satz des Bearbeiters. Die Frage des Kindes an Heinrich: "Bist du ein König?"
ist in ihrer pointirter Naivetät von großer Wirkung,

Für die erste Scene des fünften Auszugs sind IV, 7 und 8 mit V, 1 des
Originals zusammengezogen: Eduard verhandelt mit Warwick, Nachricht von
Heinrichs Gefangennahme, Zuzug Verschiedener und Wicderabfall von Clarence.
(Beiläufig will ich bemerken, das; mir die Aenderung der "hastigen Deutschen",
wie Schlegel I>g,8t^ (jcrmMs übersetzt hat, in "rohe Deutsche", wie ich wenig¬
stens zu verstehen geglaubt habe, nicht glücklich scheint). Die folgenden Scenen
bringen den Tod Warwicks und die Gefangennehmung der Königin: übrigens
ist auch hier vieles umgestaltet und anders geordnet, sowie dann bei der Er¬
mordung des Prinzen Eduard der Schmerz und die Verzweiflung der Mutter
viel weiter ausgemalt ist. Der Prinz stirbt mit den Worten: "Lieb Mütterlein,
gute Nacht" und Margarethe verfällt in eine Art von Wahnsinn und begleitet
die Leiche, die Träger bittend, Eduard nicht zu wecken. Das alles ist sehr
modern und sticht gegen die Kraft der shatespeareschen historischen Tragödie
auffallend ab. Hieran schließt Dingelstedt gleich die letzte Scene des Originals
und läßt erst dann die Ermordung Heinrichs durch Moster folgen; auch hat er
dieser Ermordung eine Einleitung vorgesetzt, in welcher Heinrich einen Traum
erzählt, der seinem Sohne, wie er denkt, Glück bedeuten soll: der Zuschauer,
welcher den Tod des Prinzen kennt, faßt den Sinn des zweideutigen Wahr¬
zeichens in seiner wahren unglückseligen Bedeutung. Aber sollen wir hier nicht
wieder einmal nach der Berechtigung, ja selbst nur nach der Zweckmäßigkeit der
Aenderung fragen? Ist der Eingang der Scenen, wie ihn Shakespeare hat:


Kloster.
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gerade' durch den Mangel aller Einleitung, durch den unvorbereiteter, abrupten


Grenzboten II. 18ö4. 34

Auch der Anfang des vierten Acts entspricht dem shakespeareschein die
Hofscene mit der Botschaft von Frankreich und Warwick. Die folgende Scene
dagegen bringt wieder große Umgestaltungen des shakespeareschcn Textes, Dingel-
stedt läßt die Sachen so verlaufen: Margarethe dringt zu den Zelten Warwicks
König Eduard gefangen und erzählt die Art der Gefangennehmung in aus¬
führlicher Weise, während dieselbe bei Shakespeare sehr knapp und confus
dramatisch vorgeführt wird. Endlich erhebt sich noch zwischen der Königin und
Warwick ein Streit, weil der letztere den König in ritterliche Haft giebt, während
die Königin ihn getödtet wissen will. Alles dies gehört in dieser Form dem
Bearbeiter an. Der letzte Auftritt des Acts (Shakespeare IV. 6), welcher
im Tower spielt, ist, wie ich denke, wesentlich erweitert und, wie mir scheint,
etwas zu lang geworden: jedenfalls sind die Reden des jungen Riclunvnd Zu¬
satz des Bearbeiters. Die Frage des Kindes an Heinrich: „Bist du ein König?"
ist in ihrer pointirter Naivetät von großer Wirkung,

Für die erste Scene des fünften Auszugs sind IV, 7 und 8 mit V, 1 des
Originals zusammengezogen: Eduard verhandelt mit Warwick, Nachricht von
Heinrichs Gefangennahme, Zuzug Verschiedener und Wicderabfall von Clarence.
(Beiläufig will ich bemerken, das; mir die Aenderung der „hastigen Deutschen",
wie Schlegel I>g,8t^ (jcrmMs übersetzt hat, in „rohe Deutsche", wie ich wenig¬
stens zu verstehen geglaubt habe, nicht glücklich scheint). Die folgenden Scenen
bringen den Tod Warwicks und die Gefangennehmung der Königin: übrigens
ist auch hier vieles umgestaltet und anders geordnet, sowie dann bei der Er¬
mordung des Prinzen Eduard der Schmerz und die Verzweiflung der Mutter
viel weiter ausgemalt ist. Der Prinz stirbt mit den Worten: „Lieb Mütterlein,
gute Nacht" und Margarethe verfällt in eine Art von Wahnsinn und begleitet
die Leiche, die Träger bittend, Eduard nicht zu wecken. Das alles ist sehr
modern und sticht gegen die Kraft der shatespeareschen historischen Tragödie
auffallend ab. Hieran schließt Dingelstedt gleich die letzte Scene des Originals
und läßt erst dann die Ermordung Heinrichs durch Moster folgen; auch hat er
dieser Ermordung eine Einleitung vorgesetzt, in welcher Heinrich einen Traum
erzählt, der seinem Sohne, wie er denkt, Glück bedeuten soll: der Zuschauer,
welcher den Tod des Prinzen kennt, faßt den Sinn des zweideutigen Wahr¬
zeichens in seiner wahren unglückseligen Bedeutung. Aber sollen wir hier nicht
wieder einmal nach der Berechtigung, ja selbst nur nach der Zweckmäßigkeit der
Aenderung fragen? Ist der Eingang der Scenen, wie ihn Shakespeare hat:


Kloster.
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gerade' durch den Mangel aller Einleitung, durch den unvorbereiteter, abrupten


Grenzboten II. 18ö4. 34
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[0273] Auch der Anfang des vierten Acts entspricht dem shakespeareschein die Hofscene mit der Botschaft von Frankreich und Warwick. Die folgende Scene dagegen bringt wieder große Umgestaltungen des shakespeareschcn Textes, Dingel- stedt läßt die Sachen so verlaufen: Margarethe dringt zu den Zelten Warwicks König Eduard gefangen und erzählt die Art der Gefangennehmung in aus¬ führlicher Weise, während dieselbe bei Shakespeare sehr knapp und confus dramatisch vorgeführt wird. Endlich erhebt sich noch zwischen der Königin und Warwick ein Streit, weil der letztere den König in ritterliche Haft giebt, während die Königin ihn getödtet wissen will. Alles dies gehört in dieser Form dem Bearbeiter an. Der letzte Auftritt des Acts (Shakespeare IV. 6), welcher im Tower spielt, ist, wie ich denke, wesentlich erweitert und, wie mir scheint, etwas zu lang geworden: jedenfalls sind die Reden des jungen Riclunvnd Zu¬ satz des Bearbeiters. Die Frage des Kindes an Heinrich: „Bist du ein König?" ist in ihrer pointirter Naivetät von großer Wirkung, Für die erste Scene des fünften Auszugs sind IV, 7 und 8 mit V, 1 des Originals zusammengezogen: Eduard verhandelt mit Warwick, Nachricht von Heinrichs Gefangennahme, Zuzug Verschiedener und Wicderabfall von Clarence. (Beiläufig will ich bemerken, das; mir die Aenderung der „hastigen Deutschen", wie Schlegel I>g,8t^ (jcrmMs übersetzt hat, in „rohe Deutsche", wie ich wenig¬ stens zu verstehen geglaubt habe, nicht glücklich scheint). Die folgenden Scenen bringen den Tod Warwicks und die Gefangennehmung der Königin: übrigens ist auch hier vieles umgestaltet und anders geordnet, sowie dann bei der Er¬ mordung des Prinzen Eduard der Schmerz und die Verzweiflung der Mutter viel weiter ausgemalt ist. Der Prinz stirbt mit den Worten: „Lieb Mütterlein, gute Nacht" und Margarethe verfällt in eine Art von Wahnsinn und begleitet die Leiche, die Träger bittend, Eduard nicht zu wecken. Das alles ist sehr modern und sticht gegen die Kraft der shatespeareschen historischen Tragödie auffallend ab. Hieran schließt Dingelstedt gleich die letzte Scene des Originals und läßt erst dann die Ermordung Heinrichs durch Moster folgen; auch hat er dieser Ermordung eine Einleitung vorgesetzt, in welcher Heinrich einen Traum erzählt, der seinem Sohne, wie er denkt, Glück bedeuten soll: der Zuschauer, welcher den Tod des Prinzen kennt, faßt den Sinn des zweideutigen Wahr¬ zeichens in seiner wahren unglückseligen Bedeutung. Aber sollen wir hier nicht wieder einmal nach der Berechtigung, ja selbst nur nach der Zweckmäßigkeit der Aenderung fragen? Ist der Eingang der Scenen, wie ihn Shakespeare hat: Kloster. ' 6ova äa/, mzs tora. Vfbat! at z^our book so dg,ra? Xing- Ilour^. H,z?, in^ goocl tora: mz-^ tora, I suoulä hö.^ latlier. gerade' durch den Mangel aller Einleitung, durch den unvorbereiteter, abrupten Grenzboten II. 18ö4. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/273>, abgerufen am 23.07.2024.