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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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wie Dingelstedt sehr passend den Ausdruck Shakespeares: ana Ist us all de>
in"cuta.lion! übertragen hat.

Der vierte Act beginnt mit den Volksscenen unter Cade. welche Rolle an
Herrn Dessoir einen vortrefflichen Vertreter fand. Wer ihn als Falstaff gesehen
und nun jetzt wieder sah, mußte erfreut gestehen, daß dieser Schauspieler nicht
sich selbst, sondern seine Rollen spielt. Welch ein unbedeutender, nichtswürdiger
Strolch ist sein Cade und doch wie komisch, sogar unsere Theilnahme fesselnd!
Das Arrangement der Scene in seiner Buntheit und Lebendigkeit bot wieder
ein sehr erfreuliches Bild. An die Stelle von Suffvlks Ermordung durch die
Seeräuber, die mit Recht gestrichen ist, hat Dingelstedt einen sehr langen Brief
desselben gesetzt, den d.le Königin vorliest: eine schon a xrioii in Betreff der
Zweckmäßigkeit anzuzweifelnde dramatische Einrichtung, die, wie mir schien, sich
auch auf der Bühne nicht bewährte. Die Decoration London mit der Themse,
welche den eindringenden Cade umrahmte, war sehr hübsch. Den Abfall des
schwankenden Volkshaufenö von Cade glaubt Dingelstedt durch eine voraus¬
gehende Unzufriedenheit mit dem Führer motivirc" zu müssen, während bei
Shakespeare d.le reine Wetterwendischteit, die er dem Volke überhaupt zuschreibt,
es ist, die diesen Uebergang bewerkstelligt. In demselben Sinn ist Folgendes
verändert. Buckingham setzt auf CadeS Kopf einen Preis und bei Shakespeare
machen sich auch sofort bona, dicke einige auf den Preis zu verdienen: Dingel¬
stedt aber läßt diese Verfolger durch den Ausspruch eines andern aufhalten:


Ein tüchtig Volk spielt nicht die Polizei.

Das ist zwar sachlich wahr: aber diesem ganz verständigen Liberalismus fehlt
nur für das fünfzehnte Jahrbundert die poetische Wahrheit, von Shake¬
speares Herzensmeinung noch ganz abgesehen. Der Aufzug schließt mit der An¬
kunft der Boten Uorks, die seinen Heranzug und seine Kronprätentionen
melden.

Die erste Scene des 5. Acts ist die letzte des ganzen zweiten Theils bei
Shakespeare. Es ist so arrangirt, daß uns nicht eigentlich Kämpfe, sondern
die Resultate derselben, Flucht und Verfolgung, vorgeführt werden, wobei ich
nur erinnern will, daß das Blut an der Binde CliffordS doch wohl besser weg¬
bleibt. Dergleichen allzu realistische Wahrheit verletzt uns in Deutschland,
während sie den Romanen gefällt, wie ich denn einst in der Gesellschaft der
Ristori einen Schauspieler die Weste aufreiße" und in seinem rothen Blute
öd. h. einer rothen Flanelljacke) wühlen sah. Die erste Scene des dritten Theils
bei Shakespeare bildet die letzte des 5. Auszugs bei Dingelstedt: Zusammen¬
treffen beider Parteien im Parlamentshaus und endlicher Vergleich, daß Heinrich
lebenslänglich herrschen, Apel folgen soll, wogegen denn Margarethe für ihren
Sohn Protest erhebt. Das Schlußbild war ein wohlgefügtes, reich geordnet.

Ueber den 2. Theil Heinrichs des Sechsten (in Dingelstedts Eintheilung)


wie Dingelstedt sehr passend den Ausdruck Shakespeares: ana Ist us all de>
in«cuta.lion! übertragen hat.

Der vierte Act beginnt mit den Volksscenen unter Cade. welche Rolle an
Herrn Dessoir einen vortrefflichen Vertreter fand. Wer ihn als Falstaff gesehen
und nun jetzt wieder sah, mußte erfreut gestehen, daß dieser Schauspieler nicht
sich selbst, sondern seine Rollen spielt. Welch ein unbedeutender, nichtswürdiger
Strolch ist sein Cade und doch wie komisch, sogar unsere Theilnahme fesselnd!
Das Arrangement der Scene in seiner Buntheit und Lebendigkeit bot wieder
ein sehr erfreuliches Bild. An die Stelle von Suffvlks Ermordung durch die
Seeräuber, die mit Recht gestrichen ist, hat Dingelstedt einen sehr langen Brief
desselben gesetzt, den d.le Königin vorliest: eine schon a xrioii in Betreff der
Zweckmäßigkeit anzuzweifelnde dramatische Einrichtung, die, wie mir schien, sich
auch auf der Bühne nicht bewährte. Die Decoration London mit der Themse,
welche den eindringenden Cade umrahmte, war sehr hübsch. Den Abfall des
schwankenden Volkshaufenö von Cade glaubt Dingelstedt durch eine voraus¬
gehende Unzufriedenheit mit dem Führer motivirc» zu müssen, während bei
Shakespeare d.le reine Wetterwendischteit, die er dem Volke überhaupt zuschreibt,
es ist, die diesen Uebergang bewerkstelligt. In demselben Sinn ist Folgendes
verändert. Buckingham setzt auf CadeS Kopf einen Preis und bei Shakespeare
machen sich auch sofort bona, dicke einige auf den Preis zu verdienen: Dingel¬
stedt aber läßt diese Verfolger durch den Ausspruch eines andern aufhalten:


Ein tüchtig Volk spielt nicht die Polizei.

Das ist zwar sachlich wahr: aber diesem ganz verständigen Liberalismus fehlt
nur für das fünfzehnte Jahrbundert die poetische Wahrheit, von Shake¬
speares Herzensmeinung noch ganz abgesehen. Der Aufzug schließt mit der An¬
kunft der Boten Uorks, die seinen Heranzug und seine Kronprätentionen
melden.

Die erste Scene des 5. Acts ist die letzte des ganzen zweiten Theils bei
Shakespeare. Es ist so arrangirt, daß uns nicht eigentlich Kämpfe, sondern
die Resultate derselben, Flucht und Verfolgung, vorgeführt werden, wobei ich
nur erinnern will, daß das Blut an der Binde CliffordS doch wohl besser weg¬
bleibt. Dergleichen allzu realistische Wahrheit verletzt uns in Deutschland,
während sie den Romanen gefällt, wie ich denn einst in der Gesellschaft der
Ristori einen Schauspieler die Weste aufreiße» und in seinem rothen Blute
öd. h. einer rothen Flanelljacke) wühlen sah. Die erste Scene des dritten Theils
bei Shakespeare bildet die letzte des 5. Auszugs bei Dingelstedt: Zusammen¬
treffen beider Parteien im Parlamentshaus und endlicher Vergleich, daß Heinrich
lebenslänglich herrschen, Apel folgen soll, wogegen denn Margarethe für ihren
Sohn Protest erhebt. Das Schlußbild war ein wohlgefügtes, reich geordnet.

Ueber den 2. Theil Heinrichs des Sechsten (in Dingelstedts Eintheilung)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/270>, abgerufen am 23.07.2024.