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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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recht auf ihn. In seinen Schauspielen spricht zu uns die Tiefe des Gedankens,
die Innigkeit der Empfindung, die nicht englisch, nicht deutsch, sondern ein
gemeinsames Erdtheil des germanischen Stammes ist. Wie hätten unsere großen
Dichter sich an Shakespeare emporranken können, wenn er uns fremd gegen¬
überstände und nicht vielmehr dem deutschen Volksgeiste in seinem innersten
Wesen homogen wäre?

Aber was wir von ihm empfangen an Anregung, Vorbild und Leitung
-- den Dank dafür haben wir Shakespeare durch die eifrigsten Bemühungen
reichlich abgestattet. Deutscher Fleiß, deutsche Gelehrsamkeit, deutsche Be¬
geisterung haben seinen Text hergestellt, seine Dunkelheiten erläutert, seine Schön¬
heit erkannt und gepriesen und sür seine Anerkennung und Verbreitung die
wirksamste Propaganda gemacht.
"

So war es denn gerechtfertigt, wenn Deutschland den Geburtstag dieses
Genius wie den Geburtstag eines seiner Söhne feierte. Unter allen Shakc-
spcarefciern in Deutschland aber (die französische wurde verboten, die englische
scheint sich hauptsächlich durch geschmacklose Massenhaftigkeit ausgezeichnet zu
haben) war die in Weimar wohl die großartigste und würdigste. Sieben histo¬
rische Schauspiele Shakespeares wurden vom 23. April an in der Festwoche
vorgeführt. Ein Theil derselben wurde jetzt zum ersten Male gegeben, jeden¬
falls aber war die unmittelbare Aufeinanderfolge und Aneinanderreihung ein
noch nie dagewesener Versuch. Sämmtliche Stücke wurden in einer Bearbei¬
tung des Generalintendanten der weimarischen Bühne, Franz Dingelstedt, zur
Darstellung gebracht.

Die Leser d. Bl. werden sich vielleicht noch des Referats erinnern, welches
vor einigen Monaten über die vier ersten Stücke, die damals allein, gleichsam
zur Probe, aufgeführt worden waren, in den Grenzboten gegeben wurde.
Hieran reihe sich uun ein kurzer Bericht über die Einrichtung und Darstellung
der drei letzten Stücke der Hevtalogie (Heinrich der Sechste, 1/und 2. Theil.
Richard der Dritte) zur Ergänzung jenes frühern Referats.

Es muß zunächst bemerkt werden, daß in der dingelstedlischen Bearbeitung
der erste Theil der Trilogie König Heinrich der Sechste weggelassen ist. Es fehlt
also die Zeit der unglücklichen Kriege Frankreichs mit England und die ganze
Geschichte der Jungfrau Von Orleans. In welcher Weise dieser später doch
Erwähnung gethan wird, werden wir nachher sehen, sowie den Ort bezeichnen,
wohin die einzige Hauptscene, welche von diesem Theil in die Bearbeitung auf¬
genommen worden ist, versetzt wurde. Im Ganzen kann man sich mit dieser
Streichung einverstanden erklären. Zwar verlieren wir damit die köstlichen
Scenen zwischen Talbot und seinem jugendlichen heldenhaften Sohn, welche
von einem Hauch heroischer Vaterlandsliebe durchweht sind; es entgeht uns die
wichtige Scene zwischen Mortimer im Gefängniß und Plantagenet. dem späteren


Grenzboten II. 1804. 33

recht auf ihn. In seinen Schauspielen spricht zu uns die Tiefe des Gedankens,
die Innigkeit der Empfindung, die nicht englisch, nicht deutsch, sondern ein
gemeinsames Erdtheil des germanischen Stammes ist. Wie hätten unsere großen
Dichter sich an Shakespeare emporranken können, wenn er uns fremd gegen¬
überstände und nicht vielmehr dem deutschen Volksgeiste in seinem innersten
Wesen homogen wäre?

Aber was wir von ihm empfangen an Anregung, Vorbild und Leitung
— den Dank dafür haben wir Shakespeare durch die eifrigsten Bemühungen
reichlich abgestattet. Deutscher Fleiß, deutsche Gelehrsamkeit, deutsche Be¬
geisterung haben seinen Text hergestellt, seine Dunkelheiten erläutert, seine Schön¬
heit erkannt und gepriesen und sür seine Anerkennung und Verbreitung die
wirksamste Propaganda gemacht.
"

So war es denn gerechtfertigt, wenn Deutschland den Geburtstag dieses
Genius wie den Geburtstag eines seiner Söhne feierte. Unter allen Shakc-
spcarefciern in Deutschland aber (die französische wurde verboten, die englische
scheint sich hauptsächlich durch geschmacklose Massenhaftigkeit ausgezeichnet zu
haben) war die in Weimar wohl die großartigste und würdigste. Sieben histo¬
rische Schauspiele Shakespeares wurden vom 23. April an in der Festwoche
vorgeführt. Ein Theil derselben wurde jetzt zum ersten Male gegeben, jeden¬
falls aber war die unmittelbare Aufeinanderfolge und Aneinanderreihung ein
noch nie dagewesener Versuch. Sämmtliche Stücke wurden in einer Bearbei¬
tung des Generalintendanten der weimarischen Bühne, Franz Dingelstedt, zur
Darstellung gebracht.

Die Leser d. Bl. werden sich vielleicht noch des Referats erinnern, welches
vor einigen Monaten über die vier ersten Stücke, die damals allein, gleichsam
zur Probe, aufgeführt worden waren, in den Grenzboten gegeben wurde.
Hieran reihe sich uun ein kurzer Bericht über die Einrichtung und Darstellung
der drei letzten Stücke der Hevtalogie (Heinrich der Sechste, 1/und 2. Theil.
Richard der Dritte) zur Ergänzung jenes frühern Referats.

Es muß zunächst bemerkt werden, daß in der dingelstedlischen Bearbeitung
der erste Theil der Trilogie König Heinrich der Sechste weggelassen ist. Es fehlt
also die Zeit der unglücklichen Kriege Frankreichs mit England und die ganze
Geschichte der Jungfrau Von Orleans. In welcher Weise dieser später doch
Erwähnung gethan wird, werden wir nachher sehen, sowie den Ort bezeichnen,
wohin die einzige Hauptscene, welche von diesem Theil in die Bearbeitung auf¬
genommen worden ist, versetzt wurde. Im Ganzen kann man sich mit dieser
Streichung einverstanden erklären. Zwar verlieren wir damit die köstlichen
Scenen zwischen Talbot und seinem jugendlichen heldenhaften Sohn, welche
von einem Hauch heroischer Vaterlandsliebe durchweht sind; es entgeht uns die
wichtige Scene zwischen Mortimer im Gefängniß und Plantagenet. dem späteren


Grenzboten II. 1804. 33
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/265>, abgerufen am 23.07.2024.