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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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weisen. Erst dadurch würde das Originale und Charakteristische des centralen
Volksstammes erkannt werden, welcher früh in getrennte Territorien zersplittert
wurde und doch bis in die neueste Zeit' ein starkes Gefühl seiner innern Ein¬
heit und Zusammengehörigkeit bewahrt hat. Die localen Sammlungen müssen
über die ganze Landschaft ausgedehnt und die für das Verarbeite" des Mate¬
rials geeigneten Kräfte aus ganz Thüringen gewählt werden.

Ja, der beste Gewinn wird sich erst dann ergeben, wenn man das Terrain
für die Sammlungen noch weiter ausdehnt. Die Thüringer sind mit den Nord-
franken seit einem Jahrtausend aufs innigste verhüllte", nicht nur an der Wald¬
grenze sind sie in einander geflossen, die Thüringer sind bis tief in das Frän¬
kische hineingedrungen und die Franken haben Thüringen mit zahlreichen An¬
siedelungen durchsetzt. Im Gegensatz beider Nationalität sowohl als in der
gemeinsamen volkstümlichen Habe ist die nahe Verwandtschaft beider Stämme
sehr deutlich. Sie bilden für wissenschaftliche Behandlung ihrer Alterthümer in
der That eine Einheit, wie etwa für den Astronomen ein, Doppelstern. Das
fränkische Gebiet, welches zu diesem Zweck aufzunehmen ist, umfaßt die sächsi¬
schen Herzogthümer Meiningen und Coburg, Schleusingen und Sust mit Aus¬
schluß eines kleinern östlichen Grenzstrichs des Herzogthums Meiningen, welcher
slavische Unterlage hal. Und es würden dabei die hessischen Enclaven: Schmal-
kalden u. s. w. besondere Beachtung verdienen. In der räumlich kleinern Land¬
schaft Nvrdfranten ist das Interesse an diesen Ueberresten alter Zeit fast leb¬
hafter und thätiger gewesen als in Thüringen. Eine Menge Vorarbeiten sind
dort gethan und tüchtige Mitarbeiter wären zu gewinnen.

Für die Methode endlich, nach welcher das Sammeln und Verarbeiten
angelegt werden möchte, hat sich anderswo folgender Weg als zweckmäßig er¬
wiesen. Wer irgend mit dem Volk in sicherer Verbindung steht, vermag als
Sammler die wichtigsten Dienste zu leisten, vor andern Geistliche, Schullehrer,
Forstbeamte und solche, welche selbst in einem thüringischen Dorfe aufgewachsen
sind. Für diese Sammler werde eine kurze Instruction ausgearbeitet, welche
genau darstellt, was und wie gesammelt werden muß. Das einlaufende Mate¬
rial wird nach den einzelnen Fächern geordnet, Märchen und Sagen, Volks¬
lieder, Räthsel und Kinderrcime; Feste, Spiele und Gebräuche, Aberglauben,
Namen der Dörfer, Flurstücke, Familien, Eintheilung der Dorfflur, Antiqui¬
täten. Und wenn man die Dialekte hineinziehen will' Sammlungen von Pro¬
vinzialismen und Sprüchwörter des Volkes. Jede dieser Abtheilungen wird
einem Bearbeiter übergeben, welche selbständig die gelehrte Arbeit besorgen,
nachdem sie sich unter einander über die Hauptgesichtspunkte geeinigt haben.
Das ganze Unternehmen könnte von dem Ausschuß eines zu bildenden Vereins
eingeleitet werden, als Mirglied des Vereins mare jeder willkommen, der ent¬
weder als Sammler thätig sein will, oder als Abonnent die Möglichkeit einer


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weisen. Erst dadurch würde das Originale und Charakteristische des centralen
Volksstammes erkannt werden, welcher früh in getrennte Territorien zersplittert
wurde und doch bis in die neueste Zeit' ein starkes Gefühl seiner innern Ein¬
heit und Zusammengehörigkeit bewahrt hat. Die localen Sammlungen müssen
über die ganze Landschaft ausgedehnt und die für das Verarbeite» des Mate¬
rials geeigneten Kräfte aus ganz Thüringen gewählt werden.

Ja, der beste Gewinn wird sich erst dann ergeben, wenn man das Terrain
für die Sammlungen noch weiter ausdehnt. Die Thüringer sind mit den Nord-
franken seit einem Jahrtausend aufs innigste verhüllte», nicht nur an der Wald¬
grenze sind sie in einander geflossen, die Thüringer sind bis tief in das Frän¬
kische hineingedrungen und die Franken haben Thüringen mit zahlreichen An¬
siedelungen durchsetzt. Im Gegensatz beider Nationalität sowohl als in der
gemeinsamen volkstümlichen Habe ist die nahe Verwandtschaft beider Stämme
sehr deutlich. Sie bilden für wissenschaftliche Behandlung ihrer Alterthümer in
der That eine Einheit, wie etwa für den Astronomen ein, Doppelstern. Das
fränkische Gebiet, welches zu diesem Zweck aufzunehmen ist, umfaßt die sächsi¬
schen Herzogthümer Meiningen und Coburg, Schleusingen und Sust mit Aus¬
schluß eines kleinern östlichen Grenzstrichs des Herzogthums Meiningen, welcher
slavische Unterlage hal. Und es würden dabei die hessischen Enclaven: Schmal-
kalden u. s. w. besondere Beachtung verdienen. In der räumlich kleinern Land¬
schaft Nvrdfranten ist das Interesse an diesen Ueberresten alter Zeit fast leb¬
hafter und thätiger gewesen als in Thüringen. Eine Menge Vorarbeiten sind
dort gethan und tüchtige Mitarbeiter wären zu gewinnen.

Für die Methode endlich, nach welcher das Sammeln und Verarbeiten
angelegt werden möchte, hat sich anderswo folgender Weg als zweckmäßig er¬
wiesen. Wer irgend mit dem Volk in sicherer Verbindung steht, vermag als
Sammler die wichtigsten Dienste zu leisten, vor andern Geistliche, Schullehrer,
Forstbeamte und solche, welche selbst in einem thüringischen Dorfe aufgewachsen
sind. Für diese Sammler werde eine kurze Instruction ausgearbeitet, welche
genau darstellt, was und wie gesammelt werden muß. Das einlaufende Mate¬
rial wird nach den einzelnen Fächern geordnet, Märchen und Sagen, Volks¬
lieder, Räthsel und Kinderrcime; Feste, Spiele und Gebräuche, Aberglauben,
Namen der Dörfer, Flurstücke, Familien, Eintheilung der Dorfflur, Antiqui¬
täten. Und wenn man die Dialekte hineinziehen will' Sammlungen von Pro¬
vinzialismen und Sprüchwörter des Volkes. Jede dieser Abtheilungen wird
einem Bearbeiter übergeben, welche selbständig die gelehrte Arbeit besorgen,
nachdem sie sich unter einander über die Hauptgesichtspunkte geeinigt haben.
Das ganze Unternehmen könnte von dem Ausschuß eines zu bildenden Vereins
eingeleitet werden, als Mirglied des Vereins mare jeder willkommen, der ent¬
weder als Sammler thätig sein will, oder als Abonnent die Möglichkeit einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/227>, abgerufen am 23.07.2024.