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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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hundert Jahren vom großen Seeberg über Thal und Hügel schaut, der wird
wahrscheinlich auf eine sehr veränderte Landschaft schauen, denn überall im
Felde werden sich einzelne Hofstätten mit Baumgruppen und kleinen Obst-
Pflanzungen erheben. Unterdes, ist sehr zu wünschen, daß unter den Beamten,
welche mit der neuen Auftheilung der Dorffluren beschäftigt sind, eine Persön¬
lichkeit sich finde, welche eine genaue Kenntniß der alten Flurverhältnisse auch für
die Wissenschaft verwerthet, wie dies in andern deutschen Landschaften bereits
geschehen ist*).

Außer dieser volksmäßigen Habe muß aber noch an ein anderes Besitz-
thum unserer Dörfer erinnert werden, welches zwar nicht für die Urzeit, wohl
aber für die letzten Jahrhunderte thüringischer Geschichte Wichtigkeit hat. In
vielen Gemeinden des Herzogthums sind Urkunden, Dorsacten. alte Kirchen-
bücher und Flurbücher oder Aufzeichnungen Einzelner im Pfarr- und Dorf¬
archiv erhalten, leider meist ungeordnet und verwüstet. Für die localen Tra¬
ditionen sowohl als für die Culturgeschichte ist Einzelnes davon sehr werthvoll,
und es ist dringend zu wünschen, daß es einer Sorglosigkeit entrissen werde,
welche ihm noch immer Verderben droht. lLinc Durchmusterung dieser Dorf-
traditioncn ist eine mühevolle und zeitraubende Arbeit, aber sie kann sehr wohl
durch vereinte Kraft Mehrer bewirkt werden, welche nach denselben Gesichts¬
punkten ihre Auswahl treffen. Nicht nur für die Geschichte und Statistik des
Ortes, auch für Sitte, Sage. Brauch der Gegend liegt darin noch viel Un¬
bekanntes vergraben.

Aus der Uebersicht, welche hier gegeben wurde, erhellt, wie umfangreich
das Gebiet ist, welches dem unterrichteten Sammler geöffnet ist. In der That kann
die Stoffmenge nur durch das Zusammenarbeiten Mehrer bewältigt werden.
Viele würden bei dem Sammeln der einzelnen örtlichen Ueberlieferungen thätig
sein können, einige Gelehrte würden die Verarbeitung des aufgesammelten Ma¬
terials übernehmen müssen

Wenn aber eine solche patriotische Arbeit zum Nutzen unserer Wissenschaft
unternommen wird, so ist in jeder Hinsicht wünschenswerth, daß sie sich nicht
auf das Herzogthum Gotha allein beschränke, sondern das ganze Gebiet des
alten Thüringens zwischen Saale und Werra. Harz und Wald umfasse, erst
dadurch wird möglich, einen Einblick in die poetische Habe, das Sprachgut und
die nationalen Besonderheiten des thüringischen Stammes zu erhalten, die
fremden Volkselemente, welche sich ihm gemischt haben, hie und da nachzu-



") Wie der praktische Geschäftsmann seine Kenntnisse mich der Wissenschaft nutzbar machen
kann, lehrt z, V, das Werk von öl-. August Weihen: Urkunde" schlesischer Dörfer, zur Geschichte
der ländlichen Verhältnisse und der Flurciutheilung; Breslau, Joseph Max 18im. Es ist nach
dieser Richtung ein Muster fleißiger Arbeit.

hundert Jahren vom großen Seeberg über Thal und Hügel schaut, der wird
wahrscheinlich auf eine sehr veränderte Landschaft schauen, denn überall im
Felde werden sich einzelne Hofstätten mit Baumgruppen und kleinen Obst-
Pflanzungen erheben. Unterdes, ist sehr zu wünschen, daß unter den Beamten,
welche mit der neuen Auftheilung der Dorffluren beschäftigt sind, eine Persön¬
lichkeit sich finde, welche eine genaue Kenntniß der alten Flurverhältnisse auch für
die Wissenschaft verwerthet, wie dies in andern deutschen Landschaften bereits
geschehen ist*).

Außer dieser volksmäßigen Habe muß aber noch an ein anderes Besitz-
thum unserer Dörfer erinnert werden, welches zwar nicht für die Urzeit, wohl
aber für die letzten Jahrhunderte thüringischer Geschichte Wichtigkeit hat. In
vielen Gemeinden des Herzogthums sind Urkunden, Dorsacten. alte Kirchen-
bücher und Flurbücher oder Aufzeichnungen Einzelner im Pfarr- und Dorf¬
archiv erhalten, leider meist ungeordnet und verwüstet. Für die localen Tra¬
ditionen sowohl als für die Culturgeschichte ist Einzelnes davon sehr werthvoll,
und es ist dringend zu wünschen, daß es einer Sorglosigkeit entrissen werde,
welche ihm noch immer Verderben droht. lLinc Durchmusterung dieser Dorf-
traditioncn ist eine mühevolle und zeitraubende Arbeit, aber sie kann sehr wohl
durch vereinte Kraft Mehrer bewirkt werden, welche nach denselben Gesichts¬
punkten ihre Auswahl treffen. Nicht nur für die Geschichte und Statistik des
Ortes, auch für Sitte, Sage. Brauch der Gegend liegt darin noch viel Un¬
bekanntes vergraben.

Aus der Uebersicht, welche hier gegeben wurde, erhellt, wie umfangreich
das Gebiet ist, welches dem unterrichteten Sammler geöffnet ist. In der That kann
die Stoffmenge nur durch das Zusammenarbeiten Mehrer bewältigt werden.
Viele würden bei dem Sammeln der einzelnen örtlichen Ueberlieferungen thätig
sein können, einige Gelehrte würden die Verarbeitung des aufgesammelten Ma¬
terials übernehmen müssen

Wenn aber eine solche patriotische Arbeit zum Nutzen unserer Wissenschaft
unternommen wird, so ist in jeder Hinsicht wünschenswerth, daß sie sich nicht
auf das Herzogthum Gotha allein beschränke, sondern das ganze Gebiet des
alten Thüringens zwischen Saale und Werra. Harz und Wald umfasse, erst
dadurch wird möglich, einen Einblick in die poetische Habe, das Sprachgut und
die nationalen Besonderheiten des thüringischen Stammes zu erhalten, die
fremden Volkselemente, welche sich ihm gemischt haben, hie und da nachzu-



") Wie der praktische Geschäftsmann seine Kenntnisse mich der Wissenschaft nutzbar machen
kann, lehrt z, V, das Werk von öl-. August Weihen: Urkunde» schlesischer Dörfer, zur Geschichte
der ländlichen Verhältnisse und der Flurciutheilung; Breslau, Joseph Max 18im. Es ist nach
dieser Richtung ein Muster fleißiger Arbeit.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/226>, abgerufen am 23.07.2024.