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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Männer in den Berg. In dem alten Volksliede vom Ritter Tannhäuser wird
uns berichtet, wie der Ritter sich durch Anrufung der Jungfrau Maria von
der Göttin löst, aber von dem harten Papst verworfen, auf den Christenhimmel
verzichtet und wieder zur Heideugöttin zurückkehrt.

Wenn das deutsche Volk seine höchsten Götter im Berge Hausen ließ, so
ist ihm auch eigenthümlich, daß es dieselben Gestalten als Menschenbeherrscher
im Lande umherziehend dachte, wie sie von Ort zu Ort schweben, Leben und
Tod ihres Volkes weihend. Auch hier bewahrt Thüringen zwei Sagenkreise in
schöner Vollständigkeit.

Zunächst die Erinnerung an Wuotan, den gewaltigen Schlachtengott. Er
selbst in der Heidenzeit eine riesige Greisengestalt in dunklem Mantel, mit
herabhängendem Hut, auf weißem Rosse durch die Lüfte reitend, hinter ihm
sein kriegerisches Gcistergefolge, die Schlachtjungfrauen, welche die Seelen ge¬
fallener Krieger von der Wahlstatt in des Gottes Behausung geleiten, und die
Geister der gefallenen Helden, so brauste der Geisterzug in Zeiten der Noth
und Gefahr, vor Krieg und Schlachten durch die Lüfte, dann flogen die Ra¬
ben des Gottes um sein Haupt, seine Kriegshunde heulten, die Rosse schnoben
Feuer, die Wipfel der Bäume bogen sich; dann warf sich der sterbliche Mensch
auf das Antlitz, mit Halloh und Sturmesbrausen durchfuhr Wuotans Herr die
Gaue, der Göttervater weihte den Kampf seines Volkes, lor die Sieger und
die er durch den Tod zu sich Heraufziehen wollte. Aus der Bezeichnung Wodans
Heer hat das Volk im Mittelalter das wüthende Heer gemacht, die wilde Jagd.
Der große Asengott ist in einen Jäger verwandelt, er hat hier und da sogar
die Namen eines Menschen erhalten, aber die Lebendigkeit, mit welcher unser
'Volk noch heut die Sagen vom wilden Jäger bewahrt, ist ein Beweis, wie
mächtig und großartig der Eindruck war, den der reisige Zug des Asengottes
einst machte. Noch braust der Zug nach der Meinung der Landleute über die
Fichten des thüringer Waldes, beim Hörselberg weiß man, daß die wilde
Jagd dort aus und einzieht, man sieht Noßtapfen vor der Höhle des Berges
und hört drinnen Trimmen und Getümmel.

Aber nicht nur im Kriegssturm durchfuhren die Götter die Landschaft,
auch friedlich durchzogen sie die Dörfer. Höfe und Fluren, um die Arbeit ih¬
res Volkes zu segnen. Diese friedlichen Umzüge waren die großen Feste der
Landschaft, schon den Römern siel das festliche Umherziehen der Götterwagen
und Bilder durch die Landschaften auf, die christliche Kirche des Mittelalters,
ängstlich bemüht, das Heidnische zu vertilgen, das Unvertilgbare aber eng mit
sich zu verbinden, bewahrte lange dieselbe heidnische Gewohnheit. An Stelle
des 'Fahrzeuges und Bildes der Göttermutter wurde das Bild der Jungfrau
Maria, oder eines vornehmen Heiligen durch Stadt und Dorf und rings um
die Grenzen der Flur in festlicher Procession getragen. Diese Festzuge um die


Männer in den Berg. In dem alten Volksliede vom Ritter Tannhäuser wird
uns berichtet, wie der Ritter sich durch Anrufung der Jungfrau Maria von
der Göttin löst, aber von dem harten Papst verworfen, auf den Christenhimmel
verzichtet und wieder zur Heideugöttin zurückkehrt.

Wenn das deutsche Volk seine höchsten Götter im Berge Hausen ließ, so
ist ihm auch eigenthümlich, daß es dieselben Gestalten als Menschenbeherrscher
im Lande umherziehend dachte, wie sie von Ort zu Ort schweben, Leben und
Tod ihres Volkes weihend. Auch hier bewahrt Thüringen zwei Sagenkreise in
schöner Vollständigkeit.

Zunächst die Erinnerung an Wuotan, den gewaltigen Schlachtengott. Er
selbst in der Heidenzeit eine riesige Greisengestalt in dunklem Mantel, mit
herabhängendem Hut, auf weißem Rosse durch die Lüfte reitend, hinter ihm
sein kriegerisches Gcistergefolge, die Schlachtjungfrauen, welche die Seelen ge¬
fallener Krieger von der Wahlstatt in des Gottes Behausung geleiten, und die
Geister der gefallenen Helden, so brauste der Geisterzug in Zeiten der Noth
und Gefahr, vor Krieg und Schlachten durch die Lüfte, dann flogen die Ra¬
ben des Gottes um sein Haupt, seine Kriegshunde heulten, die Rosse schnoben
Feuer, die Wipfel der Bäume bogen sich; dann warf sich der sterbliche Mensch
auf das Antlitz, mit Halloh und Sturmesbrausen durchfuhr Wuotans Herr die
Gaue, der Göttervater weihte den Kampf seines Volkes, lor die Sieger und
die er durch den Tod zu sich Heraufziehen wollte. Aus der Bezeichnung Wodans
Heer hat das Volk im Mittelalter das wüthende Heer gemacht, die wilde Jagd.
Der große Asengott ist in einen Jäger verwandelt, er hat hier und da sogar
die Namen eines Menschen erhalten, aber die Lebendigkeit, mit welcher unser
'Volk noch heut die Sagen vom wilden Jäger bewahrt, ist ein Beweis, wie
mächtig und großartig der Eindruck war, den der reisige Zug des Asengottes
einst machte. Noch braust der Zug nach der Meinung der Landleute über die
Fichten des thüringer Waldes, beim Hörselberg weiß man, daß die wilde
Jagd dort aus und einzieht, man sieht Noßtapfen vor der Höhle des Berges
und hört drinnen Trimmen und Getümmel.

Aber nicht nur im Kriegssturm durchfuhren die Götter die Landschaft,
auch friedlich durchzogen sie die Dörfer. Höfe und Fluren, um die Arbeit ih¬
res Volkes zu segnen. Diese friedlichen Umzüge waren die großen Feste der
Landschaft, schon den Römern siel das festliche Umherziehen der Götterwagen
und Bilder durch die Landschaften auf, die christliche Kirche des Mittelalters,
ängstlich bemüht, das Heidnische zu vertilgen, das Unvertilgbare aber eng mit
sich zu verbinden, bewahrte lange dieselbe heidnische Gewohnheit. An Stelle
des 'Fahrzeuges und Bildes der Göttermutter wurde das Bild der Jungfrau
Maria, oder eines vornehmen Heiligen durch Stadt und Dorf und rings um
die Grenzen der Flur in festlicher Procession getragen. Diese Festzuge um die


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[0218] Männer in den Berg. In dem alten Volksliede vom Ritter Tannhäuser wird uns berichtet, wie der Ritter sich durch Anrufung der Jungfrau Maria von der Göttin löst, aber von dem harten Papst verworfen, auf den Christenhimmel verzichtet und wieder zur Heideugöttin zurückkehrt. Wenn das deutsche Volk seine höchsten Götter im Berge Hausen ließ, so ist ihm auch eigenthümlich, daß es dieselben Gestalten als Menschenbeherrscher im Lande umherziehend dachte, wie sie von Ort zu Ort schweben, Leben und Tod ihres Volkes weihend. Auch hier bewahrt Thüringen zwei Sagenkreise in schöner Vollständigkeit. Zunächst die Erinnerung an Wuotan, den gewaltigen Schlachtengott. Er selbst in der Heidenzeit eine riesige Greisengestalt in dunklem Mantel, mit herabhängendem Hut, auf weißem Rosse durch die Lüfte reitend, hinter ihm sein kriegerisches Gcistergefolge, die Schlachtjungfrauen, welche die Seelen ge¬ fallener Krieger von der Wahlstatt in des Gottes Behausung geleiten, und die Geister der gefallenen Helden, so brauste der Geisterzug in Zeiten der Noth und Gefahr, vor Krieg und Schlachten durch die Lüfte, dann flogen die Ra¬ ben des Gottes um sein Haupt, seine Kriegshunde heulten, die Rosse schnoben Feuer, die Wipfel der Bäume bogen sich; dann warf sich der sterbliche Mensch auf das Antlitz, mit Halloh und Sturmesbrausen durchfuhr Wuotans Herr die Gaue, der Göttervater weihte den Kampf seines Volkes, lor die Sieger und die er durch den Tod zu sich Heraufziehen wollte. Aus der Bezeichnung Wodans Heer hat das Volk im Mittelalter das wüthende Heer gemacht, die wilde Jagd. Der große Asengott ist in einen Jäger verwandelt, er hat hier und da sogar die Namen eines Menschen erhalten, aber die Lebendigkeit, mit welcher unser 'Volk noch heut die Sagen vom wilden Jäger bewahrt, ist ein Beweis, wie mächtig und großartig der Eindruck war, den der reisige Zug des Asengottes einst machte. Noch braust der Zug nach der Meinung der Landleute über die Fichten des thüringer Waldes, beim Hörselberg weiß man, daß die wilde Jagd dort aus und einzieht, man sieht Noßtapfen vor der Höhle des Berges und hört drinnen Trimmen und Getümmel. Aber nicht nur im Kriegssturm durchfuhren die Götter die Landschaft, auch friedlich durchzogen sie die Dörfer. Höfe und Fluren, um die Arbeit ih¬ res Volkes zu segnen. Diese friedlichen Umzüge waren die großen Feste der Landschaft, schon den Römern siel das festliche Umherziehen der Götterwagen und Bilder durch die Landschaften auf, die christliche Kirche des Mittelalters, ängstlich bemüht, das Heidnische zu vertilgen, das Unvertilgbare aber eng mit sich zu verbinden, bewahrte lange dieselbe heidnische Gewohnheit. An Stelle des 'Fahrzeuges und Bildes der Göttermutter wurde das Bild der Jungfrau Maria, oder eines vornehmen Heiligen durch Stadt und Dorf und rings um die Grenzen der Flur in festlicher Procession getragen. Diese Festzuge um die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/218>, abgerufen am 23.07.2024.