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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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bezeichnen. Davon sind in Thüringen drei nachzuweisen: Hulda, Frau Holla
(die gnädige); dann Berchta (die glänzende); endlich Harcho^).

Diese beiden höchsten Götter, Herr und Herrin, wurden nach zwei Haupt¬
richtungen aufgefaßt. Sie regierten das Menschenleben als die Gebieter des
Volkes und sie regierten das Leben der Natur, nicht ebenso mächtig wie die
Schicksale der Einzelnen. Als Naturgötter hatten sie für ihr Volk vom Ur-
beginn der Zeit bis zum Weltende einen unaufhörlichen Kampf gegen feindliche
Dämonen, zerstörungslustige Ungeheuer, zu bestehen.

' Denn das Leben des Deutschen unter rauhem nordischen Himmel wurde,
durch Sommer und Winter zweitheilig. Alljährlich sah er im Frühjahr die
Lebenskraft erwachen, alljährlich im Herbst dahinschwinden. Wenn der Saft
der Bäume aus der Tiefe heraufstieg, begann der Kampf, der Sieg, die Sommer¬
herrschaft der Mcnschcngötter. Wenn im Herbst die Blätter zur Erde sanken,
wichen die Götter vor den andringenden Ricsengewalten des Reifes und Schnees
in die Tiefen ihrer Haine, in das Innere der heiligen Berge zurück. In den
Bergen warteten sie, bis ihre Zeit wieder kam. Sehr zahlreich sind
die thüringischen Localsagen, welche von den Wundern der Berge zu berichten
wissen. Ein Sterblicher, der durch glücklichen Zufall eindringt, betritt weite
Hallen, er sieht schlafende Männer, er hört wiehernde Rosse u. s. w. Am
berühmtesten von allen diesen Bergsagcn ist die des Kiffhäusers. Der greise
König, welcher dort am Secirtisch sit.it, den Sterblichen müde frägt, ob die
Naben noch um den Berg fliegen, sagt, daß er harren müsse, bis der dürre
Baum draußen grünen werde, dem das Mittelalter am Kiffhäuser den Namen
Friedrich Barbarossa gegeben hat, ist der alle Götterfürst Wuotan. Die Raben
. sind bei allen Germanenstämmen seine heiligen Bögel, und ähnliche Sage
hängt noch heut an vielleicht zwanzig verschiedenen Bergen Deutschlands.

Wie sich aber am Kiffhäuser die Erinnerung an den hoben Gott, der das
Frühjahr erwartet, bewahrte, so am Hörselberg dieselbe Erinnerung an die große
Naturgöttin. Dort wohnt Frau Hulda, welche gelehrte Mönche des Mittel¬
alters mit dem lateinischen Götternamen Frau Benus versahen und sehr mi߬
trauisch betrachteten. Bei dieser Umbildung des Namens hat die Göttin auch
einige von den Eigenschaften der Benus angenommen. Sie lockt sterbliche



') Ob II",ruekÄ, von u^rue? -- Die Namen sind, so viel sich aus den sehr ungenügenden
Sammlungen schließen läßt, nicht gleichmäßig über Thüringen verbreitet, Berchta herrscht
im Osten, an der südlichen Saale und im Orlagan, Sie ist wahrscheinlich durch Markomannen
denen sie noch heut gehört, in den Süden der Saale getragen. Holla ist überall im Lande
bekannt, sie reicht bis nach Obersachsen und Schlesien, ist Thüringern, Hessen und Nordfrankcn
gemeinsam. Aber der heimische oder altcingcbürgcrte Gottcrname Harche ist Name der Erden¬
mutter auch bei "iedersächstschen Stämmen. Ob er durch die Franken in das Land getragen
ist. (Itoroäiirs, Ousrrckü?), oder durch sächsische Einwanderung, darüber darf man zur Zeit
noch rann eine Vermuthung wagen.
Grenzboten II. 1864. 27

bezeichnen. Davon sind in Thüringen drei nachzuweisen: Hulda, Frau Holla
(die gnädige); dann Berchta (die glänzende); endlich Harcho^).

Diese beiden höchsten Götter, Herr und Herrin, wurden nach zwei Haupt¬
richtungen aufgefaßt. Sie regierten das Menschenleben als die Gebieter des
Volkes und sie regierten das Leben der Natur, nicht ebenso mächtig wie die
Schicksale der Einzelnen. Als Naturgötter hatten sie für ihr Volk vom Ur-
beginn der Zeit bis zum Weltende einen unaufhörlichen Kampf gegen feindliche
Dämonen, zerstörungslustige Ungeheuer, zu bestehen.

' Denn das Leben des Deutschen unter rauhem nordischen Himmel wurde,
durch Sommer und Winter zweitheilig. Alljährlich sah er im Frühjahr die
Lebenskraft erwachen, alljährlich im Herbst dahinschwinden. Wenn der Saft
der Bäume aus der Tiefe heraufstieg, begann der Kampf, der Sieg, die Sommer¬
herrschaft der Mcnschcngötter. Wenn im Herbst die Blätter zur Erde sanken,
wichen die Götter vor den andringenden Ricsengewalten des Reifes und Schnees
in die Tiefen ihrer Haine, in das Innere der heiligen Berge zurück. In den
Bergen warteten sie, bis ihre Zeit wieder kam. Sehr zahlreich sind
die thüringischen Localsagen, welche von den Wundern der Berge zu berichten
wissen. Ein Sterblicher, der durch glücklichen Zufall eindringt, betritt weite
Hallen, er sieht schlafende Männer, er hört wiehernde Rosse u. s. w. Am
berühmtesten von allen diesen Bergsagcn ist die des Kiffhäusers. Der greise
König, welcher dort am Secirtisch sit.it, den Sterblichen müde frägt, ob die
Naben noch um den Berg fliegen, sagt, daß er harren müsse, bis der dürre
Baum draußen grünen werde, dem das Mittelalter am Kiffhäuser den Namen
Friedrich Barbarossa gegeben hat, ist der alle Götterfürst Wuotan. Die Raben
. sind bei allen Germanenstämmen seine heiligen Bögel, und ähnliche Sage
hängt noch heut an vielleicht zwanzig verschiedenen Bergen Deutschlands.

Wie sich aber am Kiffhäuser die Erinnerung an den hoben Gott, der das
Frühjahr erwartet, bewahrte, so am Hörselberg dieselbe Erinnerung an die große
Naturgöttin. Dort wohnt Frau Hulda, welche gelehrte Mönche des Mittel¬
alters mit dem lateinischen Götternamen Frau Benus versahen und sehr mi߬
trauisch betrachteten. Bei dieser Umbildung des Namens hat die Göttin auch
einige von den Eigenschaften der Benus angenommen. Sie lockt sterbliche



') Ob II»,ruekÄ, von u^rue? — Die Namen sind, so viel sich aus den sehr ungenügenden
Sammlungen schließen läßt, nicht gleichmäßig über Thüringen verbreitet, Berchta herrscht
im Osten, an der südlichen Saale und im Orlagan, Sie ist wahrscheinlich durch Markomannen
denen sie noch heut gehört, in den Süden der Saale getragen. Holla ist überall im Lande
bekannt, sie reicht bis nach Obersachsen und Schlesien, ist Thüringern, Hessen und Nordfrankcn
gemeinsam. Aber der heimische oder altcingcbürgcrte Gottcrname Harche ist Name der Erden¬
mutter auch bei »iedersächstschen Stämmen. Ob er durch die Franken in das Land getragen
ist. (Itoroäiirs, Ousrrckü?), oder durch sächsische Einwanderung, darüber darf man zur Zeit
noch rann eine Vermuthung wagen.
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[0217] bezeichnen. Davon sind in Thüringen drei nachzuweisen: Hulda, Frau Holla (die gnädige); dann Berchta (die glänzende); endlich Harcho^). Diese beiden höchsten Götter, Herr und Herrin, wurden nach zwei Haupt¬ richtungen aufgefaßt. Sie regierten das Menschenleben als die Gebieter des Volkes und sie regierten das Leben der Natur, nicht ebenso mächtig wie die Schicksale der Einzelnen. Als Naturgötter hatten sie für ihr Volk vom Ur- beginn der Zeit bis zum Weltende einen unaufhörlichen Kampf gegen feindliche Dämonen, zerstörungslustige Ungeheuer, zu bestehen. ' Denn das Leben des Deutschen unter rauhem nordischen Himmel wurde, durch Sommer und Winter zweitheilig. Alljährlich sah er im Frühjahr die Lebenskraft erwachen, alljährlich im Herbst dahinschwinden. Wenn der Saft der Bäume aus der Tiefe heraufstieg, begann der Kampf, der Sieg, die Sommer¬ herrschaft der Mcnschcngötter. Wenn im Herbst die Blätter zur Erde sanken, wichen die Götter vor den andringenden Ricsengewalten des Reifes und Schnees in die Tiefen ihrer Haine, in das Innere der heiligen Berge zurück. In den Bergen warteten sie, bis ihre Zeit wieder kam. Sehr zahlreich sind die thüringischen Localsagen, welche von den Wundern der Berge zu berichten wissen. Ein Sterblicher, der durch glücklichen Zufall eindringt, betritt weite Hallen, er sieht schlafende Männer, er hört wiehernde Rosse u. s. w. Am berühmtesten von allen diesen Bergsagcn ist die des Kiffhäusers. Der greise König, welcher dort am Secirtisch sit.it, den Sterblichen müde frägt, ob die Naben noch um den Berg fliegen, sagt, daß er harren müsse, bis der dürre Baum draußen grünen werde, dem das Mittelalter am Kiffhäuser den Namen Friedrich Barbarossa gegeben hat, ist der alle Götterfürst Wuotan. Die Raben . sind bei allen Germanenstämmen seine heiligen Bögel, und ähnliche Sage hängt noch heut an vielleicht zwanzig verschiedenen Bergen Deutschlands. Wie sich aber am Kiffhäuser die Erinnerung an den hoben Gott, der das Frühjahr erwartet, bewahrte, so am Hörselberg dieselbe Erinnerung an die große Naturgöttin. Dort wohnt Frau Hulda, welche gelehrte Mönche des Mittel¬ alters mit dem lateinischen Götternamen Frau Benus versahen und sehr mi߬ trauisch betrachteten. Bei dieser Umbildung des Namens hat die Göttin auch einige von den Eigenschaften der Benus angenommen. Sie lockt sterbliche ') Ob II»,ruekÄ, von u^rue? — Die Namen sind, so viel sich aus den sehr ungenügenden Sammlungen schließen läßt, nicht gleichmäßig über Thüringen verbreitet, Berchta herrscht im Osten, an der südlichen Saale und im Orlagan, Sie ist wahrscheinlich durch Markomannen denen sie noch heut gehört, in den Süden der Saale getragen. Holla ist überall im Lande bekannt, sie reicht bis nach Obersachsen und Schlesien, ist Thüringern, Hessen und Nordfrankcn gemeinsam. Aber der heimische oder altcingcbürgcrte Gottcrname Harche ist Name der Erden¬ mutter auch bei »iedersächstschen Stämmen. Ob er durch die Franken in das Land getragen ist. (Itoroäiirs, Ousrrckü?), oder durch sächsische Einwanderung, darüber darf man zur Zeit noch rann eine Vermuthung wagen. Grenzboten II. 1864. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/217>, abgerufen am 23.07.2024.