Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.Der Werth alter Ueberlieferungen ans den Dörfern Thüringens Wir Modernen sind so sehr gewöhnt, unsere Kenntniß vergangener Zeiten ") Das Folgende ist ein Vortrag, welcher i" Goebel gehalten wurde und den Zweck hatte, das Sammeln alter Dorfcrinnerungen im Herzogthum anzuregen. Grenzboten II. 18V4. 26
Der Werth alter Ueberlieferungen ans den Dörfern Thüringens Wir Modernen sind so sehr gewöhnt, unsere Kenntniß vergangener Zeiten ") Das Folgende ist ein Vortrag, welcher i» Goebel gehalten wurde und den Zweck hatte, das Sammeln alter Dorfcrinnerungen im Herzogthum anzuregen. Grenzboten II. 18V4. 26
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Der Werth alter Ueberlieferungen ans den Dörfern
Thüringens
Wir Modernen sind so sehr gewöhnt, unsere Kenntniß vergangener Zeiten
aus Büchern und schriftlichen Aufzeichnungen zu entnehmen, daß uns jede
andere Art der Ueberlieferung fremdartig und unwesentlich erscheint. In der
That sind die Aufzeichnungen der Menschen, welche vor uns gelebt haben, die
Hauptquelle unsers geschichtlichen Wissens. Zumal wenn sie berichten, was den
Schreibern von ihrer eigenen Zeit und ihrer Vorzeit bekannt war. Wo diese
Niederschriften versagen, wird unsere Kunde spärlich. Wir sind dann auf einige
andere, mit den Sinnen faßbare Ueberreste angewiesen, welche sich aus der
Urzeit bis auf die Gegenwart erhielten, auf alte Bauwerke und wenn wir
noch weiter zurückgehen, auf die Reliquien, welche in Gräbern der Urzeit,
im Schutt der obern Erdschichten hier und da gefunden werden. Wir haben
aber- kein Recht anzunehmen, daß die Buchstabenschrift bis über das Jahr
1000 vor Chr. hinaufreicht; bis etwa zum Jahr 2500 vor Chr. geben uns die
Baudenkmäler des alten Aegyptens und Babylons mit ihrer — nur unvoll¬
ständig zu deutenden — Zeichenschrift einige Kunde. Für die Jahrtausende
vorher entnehmen wir einzelne und unsichere Nachrichten fast nur aus dem
Schutt des Erdbodens. Reste alter Waffen aus Feuerstein, Knochen, einfaches
Hausgeräth haben in schützender Umhüllung des Torfmoors oder in trockenen
Höhlen dem Untergang widerstanden. Erst in neuester Zeit ist die Wissenschaft
zu dem Bekenntniß genöthigt worden, daß auch in Mitteleuropa schon das
Menschengeschlecht hauste, lange bevor die letzte große Umwälzung der Erde
(Sündfluth) stattfand, in einer Zeit, wo noch der Tiger in den Wäldern Frank¬
reichs seine Beute packte und eine vorsündfluthliche Hyäne über den Gräbern
der Menschengeschlechter heulte. Man hat menschliches Gebein und Geräth
gefunden, vermischt mit den Knochen fremdartiger und ausgestorbener Thier¬
gattungen, unter Umständen, welche unzweifelhaft machen, daß Menschen und
Thiere zu gleicher Zeit gelebt haben. Wann? vermögen wir nicht zu bestim¬
men, aber die Geologie macht wahrscheinlich, daß die ältesten Spuren des
") Das Folgende ist ein Vortrag, welcher i» Goebel gehalten wurde und den Zweck hatte,
das Sammeln alter Dorfcrinnerungen im Herzogthum anzuregen.
Grenzboten II. 18V4. 26
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