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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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nicht überschätzen, aber wie viel man auch der zufälligen Bildung des Ein¬
zelnen anrechne, es bleibt immer noch in Ton, Farbe und den geschilderten
Zuständen viel übrig, was uns als gemcingiltig und charakteristisch für Land
und Menschen gelten darf.

So aber berichtet der Mähre Gregor Jakubetz aus Markt-Oels über seine
religiösen Kämpfe:

Am Feste Aller Seelen im Fegfeuer des Jahres 1778 wurde von dem
römischen Priester Pater Andreas Krbeczek gepredigt, da ich Georg Jakubetz
unter dem Primatvr Gregor Linhart im Amte stand, und daher an jenem Tage
im Mantel in die Kirche zu dem geistlichen Kartenspiele gehen mußte. Als
dieser Pater Krbeczek zu predigen anfing, da begann er sogleich, gemäß jenem
Kartenspiele -- diesen Tag lobend zu erheben, so. daß demselben kein andrer
Tag während des ganzen Jahres gleich käme, an welchem den armen Seelen
aus den Qualen des Fegfeuers geholfen werden könnte, denn dieser Tag sei
allein bestimmt zur Erlösung aus den Leiden und Qualen des Fegfeuers. Ach!
mit welch großer Freude erwarten diesen Tag die armen Seelen in ihrem
Leiden! -- Gedenket daher eurer lieben Eltern, Brüder, Schwestern und Bluts¬
verwandten, der heutige Tag und kein anderer ist zu ihrer Erlösung bestimmt.
Ach, gedenket ihrer mit dem Gebete des Herrn und dem Engelsgruße, denn
diese bemitleidenswerthen Seelen warten nicht nur ein Jahr, zwei, drei, vier,
zwanzig, fünfzig Jahre, ach vielleicht warten manche hundert Jahre auf diesen
heutigen Tag, daher gedenket ihrer. -- Als dies die Leute hörten, welche
Gottes Wort und das Testament des Herrn nicht kennen, da singen sie an zu
weinen, so, daß ein Lärm in der Kirche entstand und während solcher Er¬
mahnungen gaben sie ihre Groschen auf Fürbitten. Als derselbe Priester seine
Predigt beendete, da brachte ihm der Kirchendiener das Berzeichniß auf die
Kanzel. -- Nachdem ich jene Predigt angehört und die durch selbe zum Schluch¬
zen bewogene Menge gesehen hatte, dachte ich mir, daß es da viele Groschen
geben werde. Ich befand mich damals unter einer solchen römischen Macht,
daß ich sogar ihren Rosenkranz in der Hand bei mir führte, durch welchen sie
den Kalmücken gleichen (wie davon zu lesen ist in dem Buche Josefs -- Seite
31 und 32 gedruckt in Prag). Als der Priester zu lesen anfing für den und
den Verstorbenen, ließ ick die Kugeln fallen, um zu erfahren, wie viele ihrer
sein werden, und es waren ihrer 112. und als er für selbe darnach zu beten
anfing, zählte ich wieder zurück, und er hatte für 32 abgebetet und verkündigte
gleich darauf, daß wegen Kürze der Zeit die übrigen Fürbitten auf den künftigen
Sonntag verlegt würden. Und er hatte seine Predigt so ausgeführt, daß kein
Tag im ganzen Jahre geeignet sei zur Erlösung der armen Seelen außer diesem
Tage. -- Als er aber 112 Groschen bekommen hatte, verschob er ihnen diesen


nicht überschätzen, aber wie viel man auch der zufälligen Bildung des Ein¬
zelnen anrechne, es bleibt immer noch in Ton, Farbe und den geschilderten
Zuständen viel übrig, was uns als gemcingiltig und charakteristisch für Land
und Menschen gelten darf.

So aber berichtet der Mähre Gregor Jakubetz aus Markt-Oels über seine
religiösen Kämpfe:

Am Feste Aller Seelen im Fegfeuer des Jahres 1778 wurde von dem
römischen Priester Pater Andreas Krbeczek gepredigt, da ich Georg Jakubetz
unter dem Primatvr Gregor Linhart im Amte stand, und daher an jenem Tage
im Mantel in die Kirche zu dem geistlichen Kartenspiele gehen mußte. Als
dieser Pater Krbeczek zu predigen anfing, da begann er sogleich, gemäß jenem
Kartenspiele — diesen Tag lobend zu erheben, so. daß demselben kein andrer
Tag während des ganzen Jahres gleich käme, an welchem den armen Seelen
aus den Qualen des Fegfeuers geholfen werden könnte, denn dieser Tag sei
allein bestimmt zur Erlösung aus den Leiden und Qualen des Fegfeuers. Ach!
mit welch großer Freude erwarten diesen Tag die armen Seelen in ihrem
Leiden! — Gedenket daher eurer lieben Eltern, Brüder, Schwestern und Bluts¬
verwandten, der heutige Tag und kein anderer ist zu ihrer Erlösung bestimmt.
Ach, gedenket ihrer mit dem Gebete des Herrn und dem Engelsgruße, denn
diese bemitleidenswerthen Seelen warten nicht nur ein Jahr, zwei, drei, vier,
zwanzig, fünfzig Jahre, ach vielleicht warten manche hundert Jahre auf diesen
heutigen Tag, daher gedenket ihrer. — Als dies die Leute hörten, welche
Gottes Wort und das Testament des Herrn nicht kennen, da singen sie an zu
weinen, so, daß ein Lärm in der Kirche entstand und während solcher Er¬
mahnungen gaben sie ihre Groschen auf Fürbitten. Als derselbe Priester seine
Predigt beendete, da brachte ihm der Kirchendiener das Berzeichniß auf die
Kanzel. — Nachdem ich jene Predigt angehört und die durch selbe zum Schluch¬
zen bewogene Menge gesehen hatte, dachte ich mir, daß es da viele Groschen
geben werde. Ich befand mich damals unter einer solchen römischen Macht,
daß ich sogar ihren Rosenkranz in der Hand bei mir führte, durch welchen sie
den Kalmücken gleichen (wie davon zu lesen ist in dem Buche Josefs — Seite
31 und 32 gedruckt in Prag). Als der Priester zu lesen anfing für den und
den Verstorbenen, ließ ick die Kugeln fallen, um zu erfahren, wie viele ihrer
sein werden, und es waren ihrer 112. und als er für selbe darnach zu beten
anfing, zählte ich wieder zurück, und er hatte für 32 abgebetet und verkündigte
gleich darauf, daß wegen Kürze der Zeit die übrigen Fürbitten auf den künftigen
Sonntag verlegt würden. Und er hatte seine Predigt so ausgeführt, daß kein
Tag im ganzen Jahre geeignet sei zur Erlösung der armen Seelen außer diesem
Tage. — Als er aber 112 Groschen bekommen hatte, verschob er ihnen diesen


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[0192] nicht überschätzen, aber wie viel man auch der zufälligen Bildung des Ein¬ zelnen anrechne, es bleibt immer noch in Ton, Farbe und den geschilderten Zuständen viel übrig, was uns als gemcingiltig und charakteristisch für Land und Menschen gelten darf. So aber berichtet der Mähre Gregor Jakubetz aus Markt-Oels über seine religiösen Kämpfe: Am Feste Aller Seelen im Fegfeuer des Jahres 1778 wurde von dem römischen Priester Pater Andreas Krbeczek gepredigt, da ich Georg Jakubetz unter dem Primatvr Gregor Linhart im Amte stand, und daher an jenem Tage im Mantel in die Kirche zu dem geistlichen Kartenspiele gehen mußte. Als dieser Pater Krbeczek zu predigen anfing, da begann er sogleich, gemäß jenem Kartenspiele — diesen Tag lobend zu erheben, so. daß demselben kein andrer Tag während des ganzen Jahres gleich käme, an welchem den armen Seelen aus den Qualen des Fegfeuers geholfen werden könnte, denn dieser Tag sei allein bestimmt zur Erlösung aus den Leiden und Qualen des Fegfeuers. Ach! mit welch großer Freude erwarten diesen Tag die armen Seelen in ihrem Leiden! — Gedenket daher eurer lieben Eltern, Brüder, Schwestern und Bluts¬ verwandten, der heutige Tag und kein anderer ist zu ihrer Erlösung bestimmt. Ach, gedenket ihrer mit dem Gebete des Herrn und dem Engelsgruße, denn diese bemitleidenswerthen Seelen warten nicht nur ein Jahr, zwei, drei, vier, zwanzig, fünfzig Jahre, ach vielleicht warten manche hundert Jahre auf diesen heutigen Tag, daher gedenket ihrer. — Als dies die Leute hörten, welche Gottes Wort und das Testament des Herrn nicht kennen, da singen sie an zu weinen, so, daß ein Lärm in der Kirche entstand und während solcher Er¬ mahnungen gaben sie ihre Groschen auf Fürbitten. Als derselbe Priester seine Predigt beendete, da brachte ihm der Kirchendiener das Berzeichniß auf die Kanzel. — Nachdem ich jene Predigt angehört und die durch selbe zum Schluch¬ zen bewogene Menge gesehen hatte, dachte ich mir, daß es da viele Groschen geben werde. Ich befand mich damals unter einer solchen römischen Macht, daß ich sogar ihren Rosenkranz in der Hand bei mir führte, durch welchen sie den Kalmücken gleichen (wie davon zu lesen ist in dem Buche Josefs — Seite 31 und 32 gedruckt in Prag). Als der Priester zu lesen anfing für den und den Verstorbenen, ließ ick die Kugeln fallen, um zu erfahren, wie viele ihrer sein werden, und es waren ihrer 112. und als er für selbe darnach zu beten anfing, zählte ich wieder zurück, und er hatte für 32 abgebetet und verkündigte gleich darauf, daß wegen Kürze der Zeit die übrigen Fürbitten auf den künftigen Sonntag verlegt würden. Und er hatte seine Predigt so ausgeführt, daß kein Tag im ganzen Jahre geeignet sei zur Erlösung der armen Seelen außer diesem Tage. — Als er aber 112 Groschen bekommen hatte, verschob er ihnen diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/192>, abgerufen am 23.07.2024.