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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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fand, wer etwa um die Mitte März durch Bayern reiste, die öffentliche Meinung
überall und fast ungetheilt dem Andenken des Königs günstig. Die Klagen
über seine Arbeitsscheu, seine vielen Reisen außer Landes, den Mißbrauch der
Cabinctsregicrung, die lähmende Unentschlossenheit -- alle waren verstummt
und wie keines der ultramontanen und urbajuwarisch gesinnten Blätter daran
dachte, die während früherer Jahre unausgesetzt erhobenen Beschuldigungen über
die Berufung fremder, protestantischer Gelehrten in den Rückblicken auf die
Regierung des Königs auch nur zu erwähnen, so schwiegen auch die paar
Organe der liberalen Partei, welche Bayern besitzt und dickte" in ihrer Be¬
urtheilung des Verstorbenen die Beschwerden zurück, die sie so oft gegen den
Lebenden ins Feld geführt hatten, ja als etwa fünf oder sechs Tage nach des
Königs Tode ein Leitartikel der "Süddeutschen Zeitung" in der gemäßigtesten
Sprache aber ohne jene zarte Rücksicht ein wirkliches Urtheil über Max den
Zweiten aussprach, fühlte man sich selbst in liberalen Kreisen unangenehm be¬
rührt. Unter solchen Umständen ist es nicht leicht, dem verstorbenen König
gerecht zu werden. Man wird gut thun bei der Beurtheilung eines Regenten
nicht das ideale Bild eines Musterfürstcn neben ihn zu halten, sondern ich" mit
andern Fürsten, zunächst mit seinem Vorgänger zu vergleichen. Bei einer solchen
Vergleichung kann Maximilian der Zweite nur gewinnen. Gegen die Regierung
Ludwigs des Ersten gehalten, darf die seinige in der That eine Mustcrrcgicrung
genannt werden. Etwas spät sah König Ludwig ein, daß es ihm unmöglich
sei constitutionell zu regieren und nachdem er früher mit Emphase erklärt hatte, er
möchte kein absoluter Herrscher sein, blieb ihm keine andere Wahl als abzudanken.
Der neue König hatte als Kronprinz mehr als einmal entschieden auf Seite
der Opposition gestanden. Namentlich so abgeschmackten Forderungen seines
Vaters, wie die jetzt fast vergessene, die doch einst so lebhafte Stürme hervor¬
rief, über die Kniebeugung der Protestanten bei kirchlichen Aufzügen der
Katholiken hatte der Kronprinz in der ersten Kammer und im Palais rücksichts¬
los opponire; seinem ganzen Wesen widerstrebten die klerikalen Tendenzen, durch
welche sich sein Vater so lange und so entschieden leiten ließ. Nicht umsonst
hatte er seine Studien in Göttingen und in Berlin gemacht, das Wesen des
Ultramontanismus war seiner sein angelegten Natur ebenso antipathisch als
das specifische Baycrnthum mit seiner plumpen Aufdringlichkeit. Darum ver¬
lebte er, fern von den Hofkreisen der Hauptstadt, wo man ihn nicht verstand,
in der glücklichsten Zurückgezogenheit auf Hohenschwangau eine Reihe von
Jahren, ganz den Anregungen seiner Studien hingegeben und der geistreichen
Unterhaltung mit bedeutenden Männern,^ die er um sich zu versammeln wußte,
denen er, auch wenn sie nicht mehr bei ihm verweilten, in eingehender Corre-
spondenz nahe und eng verbunden blieb.

Aus dieser Muße rief ihn das Jahr 1848 aus den Thron. Aber er war nicht


fand, wer etwa um die Mitte März durch Bayern reiste, die öffentliche Meinung
überall und fast ungetheilt dem Andenken des Königs günstig. Die Klagen
über seine Arbeitsscheu, seine vielen Reisen außer Landes, den Mißbrauch der
Cabinctsregicrung, die lähmende Unentschlossenheit — alle waren verstummt
und wie keines der ultramontanen und urbajuwarisch gesinnten Blätter daran
dachte, die während früherer Jahre unausgesetzt erhobenen Beschuldigungen über
die Berufung fremder, protestantischer Gelehrten in den Rückblicken auf die
Regierung des Königs auch nur zu erwähnen, so schwiegen auch die paar
Organe der liberalen Partei, welche Bayern besitzt und dickte» in ihrer Be¬
urtheilung des Verstorbenen die Beschwerden zurück, die sie so oft gegen den
Lebenden ins Feld geführt hatten, ja als etwa fünf oder sechs Tage nach des
Königs Tode ein Leitartikel der „Süddeutschen Zeitung" in der gemäßigtesten
Sprache aber ohne jene zarte Rücksicht ein wirkliches Urtheil über Max den
Zweiten aussprach, fühlte man sich selbst in liberalen Kreisen unangenehm be¬
rührt. Unter solchen Umständen ist es nicht leicht, dem verstorbenen König
gerecht zu werden. Man wird gut thun bei der Beurtheilung eines Regenten
nicht das ideale Bild eines Musterfürstcn neben ihn zu halten, sondern ich» mit
andern Fürsten, zunächst mit seinem Vorgänger zu vergleichen. Bei einer solchen
Vergleichung kann Maximilian der Zweite nur gewinnen. Gegen die Regierung
Ludwigs des Ersten gehalten, darf die seinige in der That eine Mustcrrcgicrung
genannt werden. Etwas spät sah König Ludwig ein, daß es ihm unmöglich
sei constitutionell zu regieren und nachdem er früher mit Emphase erklärt hatte, er
möchte kein absoluter Herrscher sein, blieb ihm keine andere Wahl als abzudanken.
Der neue König hatte als Kronprinz mehr als einmal entschieden auf Seite
der Opposition gestanden. Namentlich so abgeschmackten Forderungen seines
Vaters, wie die jetzt fast vergessene, die doch einst so lebhafte Stürme hervor¬
rief, über die Kniebeugung der Protestanten bei kirchlichen Aufzügen der
Katholiken hatte der Kronprinz in der ersten Kammer und im Palais rücksichts¬
los opponire; seinem ganzen Wesen widerstrebten die klerikalen Tendenzen, durch
welche sich sein Vater so lange und so entschieden leiten ließ. Nicht umsonst
hatte er seine Studien in Göttingen und in Berlin gemacht, das Wesen des
Ultramontanismus war seiner sein angelegten Natur ebenso antipathisch als
das specifische Baycrnthum mit seiner plumpen Aufdringlichkeit. Darum ver¬
lebte er, fern von den Hofkreisen der Hauptstadt, wo man ihn nicht verstand,
in der glücklichsten Zurückgezogenheit auf Hohenschwangau eine Reihe von
Jahren, ganz den Anregungen seiner Studien hingegeben und der geistreichen
Unterhaltung mit bedeutenden Männern,^ die er um sich zu versammeln wußte,
denen er, auch wenn sie nicht mehr bei ihm verweilten, in eingehender Corre-
spondenz nahe und eng verbunden blieb.

Aus dieser Muße rief ihn das Jahr 1848 aus den Thron. Aber er war nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/151>, abgerufen am 23.07.2024.