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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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seiner rasch und wohl vorbereitet nach der guten Regel, welche sagt: man ist
nie zu stark. Eben dieser Uebermacht halber, welche, wie bekannt, auch aus
negativem Wege darin zu finden ist, daß man des Gegners Stärke schwächt,
benutze man die günstige Jahreszeit, den Winter, der, wenn er stark eintritt wie
jetzt, den besten Theil der defensiven Kraft des Feindes, das Wasser, lahm
legt. Bei 12" Kälte frieren die Schlei und die Eider, bei l8° der kleine Belt.
Also ein Winterfeldzug mit numerischer Uebermacht läßt die Aufgabe sehr
leicht erscheinen. In einer andern Jahreszeit würde sie viel Blut und Zeit
kosten, man wäre dann darauf angewiesen, gegen die Stellung des Dcmnewerks
eine yuasi Belagerung zu eröffnen, welche freilich geeignet wäre, sehr inter¬
essante Probleme, wie sie heute durch die großen Erfindungen im Gebiete aller
Schußwaffen noch ungelöst vorliegen, zum Austrag zu bringen.

Für die preußische Armee aber wäre überhaupt nichts so wichtig, als eine
Gelegenheit zu finden, das so kühn allgemein eingeführte Zündnadelgewehr die
Probe des Ernstes bestehen zu lassen. Bestände es sie, wie alle Aussicht dazu
vorhanden, so wäre damit der Armee eine Ueberlegenheit gesichert, die garnicht
hoch genug anzuschlagen ist. Ist diese Ueberlegenheit aber möglich, so liegt sie
allein in dem System des Ladens von hinten und in der Gefechtsweise, welche
dadurch möglich wird, also darin, daß der Soldat nicht nur im Liegen schießen,
sondern auch laden kann, in einer Stellung, welche ihn nur wenig dem Feuer
des Gegners aussetzt, wahrend dieser sich ihm wenigstens während des Ladens
ganz Preis geben muß.

Freilich müßte dann auch die ganze Dressur und alle Uebung darauf be¬
rechnet sein, diesen ungeheuren Vortheil recht ausbeuten zu können. Die In¬
fanterie müßte lernen ö. Ja ?ureo in einer Art Kriech-Taktik zu fechten.
Zunächst würde dann die dreigliedrige Stellung fallen, die in der preußischen
Armee gerade wunderbarerweise allein noch festgehalten wird, obschon man
hier am ersten Grund hätte, sie abzuthun. Demnächst müßte der Anzug nur
auf diese Gefechtsart berechnet sein, weite Kleider, ein kleiner Fallkragen, ein
leichtes Käppi; eine Bajonnetscheide daneben, ein großes Messer, und jeder vierte
Mann ein Beil, das wäre die Ausrüstung der Infanterie für solche Gefechts¬
weise. Wir fragen: könnte sich irgend eine Verschanzung halten, wenn
sie unter das Feuer einer solchen auf der Erde oder in leicht aufzuwerfenden
Gräben liegenden Infanterie gebracht würde? Oder wäre sie zu halten gegen
eine sie concentrisch angreifende moderne Artillerie, welche mit der Sicherheit
einer Büchse auf 1800 Schritte schießt?

Ferner ist künftig nicht die reine Ebene das günstigste Terrain für die
Vertheidigung, weil sie der jetzigen furchtbaren Feuerwaffe den freiesten Spiel¬
raum, die sicherste Wirkung gewährt. Das sind lauter Fragen, denen sich noch
viele anschließen ließen, welche der Beantwortung des Ernstes der Erfahrung


seiner rasch und wohl vorbereitet nach der guten Regel, welche sagt: man ist
nie zu stark. Eben dieser Uebermacht halber, welche, wie bekannt, auch aus
negativem Wege darin zu finden ist, daß man des Gegners Stärke schwächt,
benutze man die günstige Jahreszeit, den Winter, der, wenn er stark eintritt wie
jetzt, den besten Theil der defensiven Kraft des Feindes, das Wasser, lahm
legt. Bei 12" Kälte frieren die Schlei und die Eider, bei l8° der kleine Belt.
Also ein Winterfeldzug mit numerischer Uebermacht läßt die Aufgabe sehr
leicht erscheinen. In einer andern Jahreszeit würde sie viel Blut und Zeit
kosten, man wäre dann darauf angewiesen, gegen die Stellung des Dcmnewerks
eine yuasi Belagerung zu eröffnen, welche freilich geeignet wäre, sehr inter¬
essante Probleme, wie sie heute durch die großen Erfindungen im Gebiete aller
Schußwaffen noch ungelöst vorliegen, zum Austrag zu bringen.

Für die preußische Armee aber wäre überhaupt nichts so wichtig, als eine
Gelegenheit zu finden, das so kühn allgemein eingeführte Zündnadelgewehr die
Probe des Ernstes bestehen zu lassen. Bestände es sie, wie alle Aussicht dazu
vorhanden, so wäre damit der Armee eine Ueberlegenheit gesichert, die garnicht
hoch genug anzuschlagen ist. Ist diese Ueberlegenheit aber möglich, so liegt sie
allein in dem System des Ladens von hinten und in der Gefechtsweise, welche
dadurch möglich wird, also darin, daß der Soldat nicht nur im Liegen schießen,
sondern auch laden kann, in einer Stellung, welche ihn nur wenig dem Feuer
des Gegners aussetzt, wahrend dieser sich ihm wenigstens während des Ladens
ganz Preis geben muß.

Freilich müßte dann auch die ganze Dressur und alle Uebung darauf be¬
rechnet sein, diesen ungeheuren Vortheil recht ausbeuten zu können. Die In¬
fanterie müßte lernen ö. Ja ?ureo in einer Art Kriech-Taktik zu fechten.
Zunächst würde dann die dreigliedrige Stellung fallen, die in der preußischen
Armee gerade wunderbarerweise allein noch festgehalten wird, obschon man
hier am ersten Grund hätte, sie abzuthun. Demnächst müßte der Anzug nur
auf diese Gefechtsart berechnet sein, weite Kleider, ein kleiner Fallkragen, ein
leichtes Käppi; eine Bajonnetscheide daneben, ein großes Messer, und jeder vierte
Mann ein Beil, das wäre die Ausrüstung der Infanterie für solche Gefechts¬
weise. Wir fragen: könnte sich irgend eine Verschanzung halten, wenn
sie unter das Feuer einer solchen auf der Erde oder in leicht aufzuwerfenden
Gräben liegenden Infanterie gebracht würde? Oder wäre sie zu halten gegen
eine sie concentrisch angreifende moderne Artillerie, welche mit der Sicherheit
einer Büchse auf 1800 Schritte schießt?

Ferner ist künftig nicht die reine Ebene das günstigste Terrain für die
Vertheidigung, weil sie der jetzigen furchtbaren Feuerwaffe den freiesten Spiel¬
raum, die sicherste Wirkung gewährt. Das sind lauter Fragen, denen sich noch
viele anschließen ließen, welche der Beantwortung des Ernstes der Erfahrung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/94>, abgerufen am 27.08.2024.